IW-Experte Michael Voigtländer
Jede dritte Familie in Großstädten lebt in zu kleiner Wohnung
Michael Voigtländer leitet den Bereich globale und regionale Märkte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Foto: Institut der deutschen Wirtschaft
Mietwohnungen sind in deutschen Großstädten teuer und knapp. Viele Familien und Menschen mit Migrationshintergrund leben deshalb auf zu wenig Raum.
Laut einer Definition von Eurostat ist eine Wohnung überbelegt, wenn nicht für jede Person im Haushalt ein Raum zur Verfügung steht. Das gilt etwa, wenn ein Paar mit einem Kind in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebt oder wenn es für zwei Kinder im jugendlichen Alter nur ein Kinderzimmer gibt. Im Folgenden nutzen wir eine simplere Methode, um Haushalte zu identifizieren, die tendenziell beengt wohnen. Das gilt dann, wenn weniger Wohnräume als Haushaltsmitglieder vorhanden sind.
Auf dem Land sind nicht viele Haushalte überbelegt
Das Phänomen der Überbelegung spielt in ländlichen Kommunen und abseits der großen Ballungsgebiete kaum eine Rolle. In Gemeinden unter 2.000 Einwohnern sind zum Beispiel nur ein Prozent der Haushalte betroffen.
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Laut einer Definition von Eurostat ist eine Wohnung überbelegt, wenn nicht für jede Person im Haushalt ein Raum zur Verfügung steht. Das gilt etwa, wenn ein Paar mit einem Kind in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebt oder wenn es für zwei Kinder im jugendlichen Alter nur ein Kinderzimmer gibt. Im Folgenden nutzen wir eine simplere Methode, um Haushalte zu identifizieren, die tendenziell beengt wohnen. Das gilt dann, wenn weniger Wohnräume als Haushaltsmitglieder vorhanden sind.
Auf dem Land sind nicht viele Haushalte überbelegt
Das Phänomen der Überbelegung spielt in ländlichen Kommunen und abseits der großen Ballungsgebiete kaum eine Rolle. In Gemeinden unter 2.000 Einwohnern sind zum Beispiel nur ein Prozent der Haushalte betroffen.
In deutschen Großstädten sieht es anders aus. Dort wohnten im Jahr 2020 6 Prozent der Haushalte in zu kleinen Wohnungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade in Großstädten sehr viele Single-Haushalte leben, die per Definition nicht von Überbelegung betroffen sein können. Entsprechend kumuliert sich das Problem bei einigen Gruppen besonders.
So lebten im Jahr 2020 ein Drittel der Familien in überbelegten Wohnungen. Bei Haushalten mit direktem Migrationshintergrund waren es ein Fünftel. Überproportional häufig sind Haushalte betroffen, in denen der Haushaltsvorstand zwischen 40 und 55 Jahren alt ist (13 Prozent). Das ist ein Hinweis darauf, dass es vor allem in Familien mit älteren Kindern räumlich eng ist.
Die Quote der zu beengt wohnenden Haushalte ist ein guter Indikator, um die Spannung im Wohnungsmarkt zu erfassen. Denn gerade in angespannten Märkten können Familien aufgrund fehlender oder zu teurer Alternativen nicht umziehen. Das kann zu familiären Spannungen beitragen und zum Beispiel den Erfolg von Kindern in der Schule gefährden (Solari/Mare, 2012). Dass Familien auf diese Art auf die Anspannung im Wohnungsmarkt reagieren, zeigt auch die Zahl der Studierenden, die noch zu Hause wohnt. Während es 2003 nur 22,3 Prozent der Studierenden waren, stieg die Quote bis 2018 auf 25,2 Prozent (Berghoff/Hachmeister, 2019).
Belastung durch Wohnkosten bleibt konstant
Die Quote der Überbelegung ist damit gerade im Vergleich zur Wohnkostenbelastung ein besserer Indikator für die Lage am Wohnungsmarkt. Denn die Wohnkostenbelastung – also der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen – zeigt in den vergangenen zehn Jahren eigentlich keinerlei Veränderungen und bleibt konstant bei einem Niveau von rund 25 Prozent in den Großstädten (vergleiche Sagner et al., 2020). Ursächlich dafür sind positive Einkommensentwicklungen, geringe Anstiege von Mieten im Bestand und eben die Reaktionen vieler Haushalte, nicht umzuziehen, was dann zur Überbelegung führt.
Überbelegung in Wohnungen ist so hoch wie in den 1990er Jahren
Betrachtet man die Überbelegung in deutschen Großstädten im Zeitverlauf, zeigen sich unterschiedliche Phasen des Wohnungsmarktes. Anfang der 1990er Jahre war die Überbelegung besonders hoch. Damals war die Zuwanderung nach Deutschland aufgrund der Wiedervereinigung sehr hoch. Später kam der Jugoslawienkrieg hinzu. In der Spitze erreichte die Überbelegung in den deutschen Städten einen Wert von 37 Prozent bei Familien mit Kindern.
Danach ging die Überbelegung deutlich zurück, weil die Zuwanderung in die Großstädte nachließ und die Bautätigkeit stark angestieg. Allein 1994 wurden in Deutschland über 600.000 Wohnungen gebaut. In der Folge sank die Quote bis auf 23 Prozent im Jahr 2008 bei Familien und 5 Prozent bei allen Mieterhaushalten. Tatsächlich war der Wohnungsmarkt in dieser Phase sehr entspannt, die Mieten stagnierten im Wesentlichen, die Einwohnerentwicklung der Großstädte war verhalten.
Familien sind stark belastet
Mit dem Anstieg der Zuwanderung aus dem In- und Ausland in die Großstädte ist dann die Überbelegungsquote bei Familien wieder deutlich gestiegen und erreichte im Jahr 2018 wiederum 37 Prozent in dieser Gruppe.
Gerade im Jahr 2020 gab es aber einen deutlicheren Rückgang der Überbelegungsquote. Dies deckt sich mit der langsameren Einwohnerentwicklung in Großstädten, die auch auf die Corona-Pandemie zurückführbar ist. Insbesondere die verbesserten Möglichkeiten für mobiles Arbeiten sind für viele Menschen ein Argument, ins günstigere Umland zu ziehen.
Das Gegenstück zu Haushalten in zu beengten Wohnungen sind solche, die in sehr großzügigen Wohnungen leben. Annahmegemäß sind das im Folgenden Haushalte, in denen die Zahl der Zimmer die Zahl der Haushaltsmitglieder um 3 und mehr überschreitet – also etwa der Single-Haushalt in einer Vier-Zimmer-Wohnung.
Das gilt in Großstädten für 6 Prozent der Mieterhaushalte. Rechnerisch könnte die Überbelegung also ausgeglichen werden. Allerdings kann die Wahl einer großen Wohnung auch präferenzgerecht sein, etwa weil häufig Gäste kommen. Zudem muss berücksichtigt werden, dass hier nur Großstädte im Aggregat betrachtet werden. Innerhalb der Großstädte können also beengt und großzügig lebende Haushalte auch stärker auseinanderfallen.
Menschen bleiben in großen Wohnungen
Nichtsdestotrotz deuten die Zahlen aber auf ein gewisses Tauschpotenzial hin – insbesondere mit Blick auf ältere Haushalte. So leben 9 Prozent der Haushalte mit einem Haushaltsvorstand über 70 Jahre in sehr großzügigen Wohnungen. Dies dürfte im Wesentlichen auf den Remanenzeffekt zurückzuführen sein, wonach Haushalte oft auch dann nicht umziehen, wenn die Kinder ausziehen oder der Partner verstirbt.
Auffällig ist, dass die Quote der großzügig belegten Wohnungen zwischen den Jahren 1995 und 2010 kontinuierlich gestiegen ist, dann zunächst gesunken ist und seit 2017 wieder kräftiger steigt. Gerade im Zeitraum 1995 bis 2010 war der Wohnungsmarkt aufgrund der geschaffenen Überkapazitäten im Wohnungsbau eher entspannt, weshalb sich viele Mieter auch sehr große Wohnungen leisten konnten.
Seitdem die Preise auf den Mietwohnungsmärkten erneut anziehen, sinkt die Nachfrage nach großen Wohnungen wieder. Ursächlich für den starken Anstieg seit 2017 dürfte paradoxerweise dennoch die noch stärkere Anspannung im Markt sein. Zwar setzen die hohen Neuvertragsmieten Anreize, eher kleinere Wohnungen anzumieten, bei Bestandsmietern in großen Wohnungen wirkt aber der zunehmende Unterschied zwischen Bestands- und Neuvertragsmieten in die andere Richtung, sprich, ein Verbleib in einer eigentlich zu großen Wohnung ist günstiger.
Bestandsmieten steigen langsamer
Gerade in anziehenden Märkten steigt der Unterschied deutlich an, da sich die Bestandsmieten aufgrund restriktiverer Regulierung deutlich langsamer entwickeln als die Neuvertragsmieten. Kühling et al. (2021) haben daher schon gefordert, die Bestandsmieten müssten an das Marktniveau angeglichen werden, damit Anreize gesetzt werden, passendere Wohnungen anzumieten.
Energiekrise treibt Menschen in kleinere Wohnungen
Eine zusätzliche Belastung der Bestandsmieter durch ein Anheben der Bestandsmieten erscheint in der aktuellen Lage aber kaum angemessen. Allerdings ist zu vermuten, dass die Energiekrise für eine passendere Auswahl der Wohnungen sorgt. Da die Energiekosten zu einem erheblichen Teil über die Wohnfläche bestimmt werden, gibt es nun für Haushalte in sehr großzügigen Wohnungen mehr Anreize, in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Dies könnte unterstützt werden durch Hilfen bei der Wohnungssuche oder aber auch Umzugshilfen.
Wohnungsunternehmen haben sich in der Vergangenheit bereits bemüht, Wohnungstausche zu organisieren, allerdings mit geringen Erfolgen. Unter den neuen Rahmenbedingungen könnten die Chancen hierfür aber etwas besser sein. Das wird jedoch nicht ausreichen, um dem Trend überbelegter Wohnungen entgegenzuwirken. Entscheidend ist, die Bautätigkeit hochzuhalten, was aufgrund steigender Baukosten und zinsbedingt nachlassender Nachfrage schwierig ist. Zumindest sollten die Städte aber bei der Baulandausweisung nicht nachlassen.
Darüber hinaus bedarf es verstärkt Maßnahmen, um im Bestand neue Wohnungen zu errichten. Neben Dachausbauten sollten auch Aufstockungen aktiv gefördert werden, ebenso wie die Schaffung von Einliegerwohnungen – gerade bei selbstgenutztem Wohneigentum.
Literatur
Berghoff, Sonja / Hachmeister, Cort-Denis, 2019, Studentisches Wohnen 2003 und 2018, CHE – Centrum für Hochschulentwicklung (30. November 2022)
Eurostat, o. J., Glossary: Overcrowding rate (30. November 2022)
Kühling, Jürgen / Sebastian, Steffen / Siegloch, Sebastian, 2021, Neue Wege für die Wohnungspolitik von morgen, in: FAZ, (27. Dezember 2022)
Sagner, Pekka / Stockhausen, Maximilian / Voigtländer, Michael, 2020, Wohnen – die neue soziale Frage?, IWAnalysen, Nummer 136, Köln
Solari, Claudia D. / Mare, Robert D., 2012, Housing crowding effects on children’s wellbeing, in: Social Science Research, 41. Jahrgang., Nummer 2, Seiten 464 bis 476
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