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Mikrofinanz: „Viele Journalisten machen sich zum Steigbügelhalter von Bangladeschs Regierung“

Demonstration in Paris für die Unabhängigkeit der Grameen Bank<br>Quelle: Getty Images
Demonstration in Paris für die Unabhängigkeit der Grameen Bank
Quelle: Getty Images
Die tragischen Geschehnisse im Bundesstaat Andhra Pradesh mit einer Selbstmordwelle von Kleinbauern und Kleinkreditnehmern haben eine Welle kritischer Berichterstattung über die Mikrofinanz-Branche nach sich gezogen. Viele Beobachter zeigten sich erschüttert über die Schicksale vieler Kreditnehmer und stellen nun das gesamte System in Frage. Ist es ein Zufall, dass zu gleicher Zeit die Leuchtfigur der Mikrofinanzbranche, Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, von der Regierung aus Altersgründen aus seinem Amt als Vorsitzender der Grameen Bank gedrängt wurde?

Leider ist es vor allem in dem oben genannten indischen Landstrich schon seit Langem Tradition, dass sich verzweifelte Bauern aufgrund von Missernten und Überschuldung das Leben nehmen. Armut und Verzweiflung in breiten indischen Bevölkerungsgruppen gibt es schon seit Jahrhunderten und wurde nicht von Mikrofinanz-Instituten verursacht. Ganz im Gegenteil: Mikrokredite halfen und helfen Millionen Menschen sich durch Arbeit von der größten Armut zu befreien.

Verstoß gegen eherne Grundregel

Erste Untersuchungen in Indien zeigten, dass nur ein kleiner Teil der kritischen Kredite wirklich von Mikrofinanz-Instituten vergeben wurde. Auch stellte sich heraus, dass hier gegen eine eherne Grundregel der Mikrofinanz-Branche verstoßen wurde: Keine Konsumkredite. Leider haben sich auch die beteiligten Mikrofinanzinstitute, unter anderem das jüngst an die Börse gegangene Institut SKS in der Region wenig rühmlich verhalten. Unter dem Druck von Renditeversprechen an die Aktionäre hat nicht nur bei SKS kurzfristige Profitorientierung gegenüber langfristiger Besonnenheit dominiert.

Die Qualität des Kreditvergabeprozesses wurde offensichtlich vernachlässigt, um das geplante Wachstum zu erreichen. Begünstigt wurde die aktuelle Krise auch durch die Tatsache, dass es in Indien kein zentrales Kreditvergabebüro analog zu unserer „Schufa“ gibt, die eine parallele Kreditaufnahme der Schuldner bei mehreren Instituten verhindert hätte. Regulative Staatseingriffe führten nun dazu, dass diese Mikrokreditinstitute selbst in Schwierigkeiten gerieten und viele Schuldner einfach die Zahlungen einstellten. Den Berichten zufolge sind jedoch sowohl lokale Banken als auch die öffentliche Hand bereit, das Mikrofinanzsystem in der Region zu stützen und wieder in geordnete Bahnen zu lenken. 

Die klassischen Risikofaktoren

Zu hohe Marktkonzentration und Mehrfachkredite, überforderte Risikosysteme und eine Erosion der Kreditvergabedisziplin sind die klassischen Risikofaktoren im Mikrokreditgeschäft, die seit Jahren in den Risikostudien von CGAP, einer Forschungsinstitution aus dem Umfeld der Weltbank, beleuchtet werden. Noch im Februar 2010 waren Bosnien- Herzegowina, Pakistan, Marokko und Nicaragua Gegenstand eines Berichts, der die Schwierigkeiten von Instituten in den drei genannten Bereichen schilderte.

Vor allem auch Professor Yunus hat schon lange vor diesen Risiken gewarnt, die für ihn vor allem dann gravierend werden, wenn die Mikrokreditinstitute an die Börse gehen und einem „Mission Drift“ weg von der Entwicklungshilfe, hin zur Profitmaximierung unterliegen.

Mikrofinanz ist kein Allheilmittel, sondern klassisches Kreditgeschäft, das den Grenzgang zwischen Rentabilität für die Geldgeber und Förderung für die Kreditnehmer finden muss. Nicht jeder Kredit wird diesem Anspruch gerecht und nicht jedes Land bietet für dieses Geschäft die richtigen Rahmenbedingungen.
Effizient und nachhaltig ausgerichtete Mikrofinanzinstitute werden auch in Zukunft durch die angebotenen Dienstleistungen ein wichtiger und unverzichtbarer Faktor bei der Senkung von Armut in den Schwellen- und Entwicklungsländern sein. So wie die Genossenschaftsbanken auch in Deutschland und Europa seit über 100 Jahren dazu beigetragen haben, die Einkommenschancen der Landbevölkerung zu verbessern.

Dass die kritische Berichterstattung nun auch Einzelfälle hervorbringt, in denen Kreditnehmer unter dem sozialen Druck ihrer Genossenschaft leiden, darf dabei nicht irritieren. Denn genau das soziale Netzwerk ist die Grundlage genossenschaftlicher Kredite und bietet dem Einzelnen die Chance, einen fairen Kredit zu erhalten, anstatt auf Wucherer angewiesen zu sein oder ganz auf sinnvolle wirtschaftliche Aktivitäten verzichten zu müssen.

Das Erbe der Ärmsten ist in Gefahr

Die Berichterstattung über Mikrofinanz war in den Jahren seit 2006 meist zu überschwänglich und wenig differenziert. Eine kritische Bewertung der Schwachstellen des Systems war eigentlich überfällig, doch es sollte stets konstruktive Kritik sein, die das sinnvolle System weiter voranbringt und optimiert.

Leider fehlt dieser konstruktive Unterton in vielen Berichten über Mikrofinanz. Damit machen sich viele Journalisten zum Steigbügelhalter für die Regierung Bangladeschs. Denn was viele nicht wissen: Grameen ist von Yunus als Genossenschaft gegründet worden. Er hat damals großen Wert darauf gelegt, dass die Anteile den Ärmsten der Armen gehören. Die Überschüsse aus dem Bankgeschäft wurden in Schlüsselbereiche investiert, die das Ziel hatten, ein fundamentales Armutsproblem in Bangladesch zu lösen - daher die Aktivitäten im Bereich Gesundheit, Kommunikation und Bildung. Auch die Erträge dieser Unternehmen wurden nie ausgeschüttet, sondern dienen der weiteren Armutsbekämpfung. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das Führungsvakuum bei Grameen nun genutzt wird, um diesen Konzern und seine Erträge in die Staatstaschen zu lenken.

Die gute Nachricht: Die Erfolgsgeschichte der Mikrokredite wird auch die Regierung von Bangladesch nicht mehr aufhalten können. Die schlechte Nachricht: Das Erbe von Yunus ist durch die negative Berichterstattung und die Kampagne gegen ihn beschädigt. Nachdem sein Rauswurf bei der Grameen Bank nun rechtskräftig ist, ist auch das Erbe der Ärmsten in Bangladesch in Gefahr, schließlich sollten ihnen die Erträge des Grameen-Konzerns zustehen. Man kann Professor Yunus vorwerfen, dass er es versäumt hat, einen Nachfolger aufzubauen, der dieses Erbe sichert. Vielleicht hat er sich aber auch am Finanzminister von Bangladesch orientiert, der ist immerhin schon 77 Jahre alt.

Andreas Korth leitet das Good Growth Institut für globale Vermögens-
entwicklung und berät den BN&P Good Growth Fund (WKN: HAFX2F) bei der Auswahl von sozialen Investments. Der BN&P Good Growth Fund ist ein ethischer Mischfonds mit einem starken Schwerpunkt im Bereich Mikrofinanz. Als Vermögensverwalter und Finanzplaner berät Andreas Korth mit seinem Unternehmen WerteWachstum Hartl, Korth & Co. auch eigene Kunden im privaten und institutionellen Bereich.

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