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Walter Liebe im Interview „Zweifel an innovativen Geschäftsmodellen sind nicht angebracht“

Walter Liebe, Leiter Intermediäre Deutschland bei Pictet AM
Walter Liebe, Leiter Intermediäre Deutschland bei Pictet AM: „Mittlerweile sind wir an einem Punkt angekommen, an dem nicht mehr länger nur das Wachstumspotenzial von Unternehmen, sondern auch deren Geschäftsmodell allgemein in Frage gestellt wird.“ | Foto: Pictet AM

Herr Liebe, angesichts des „Dreifach-Hammers“ Geldpolitik, Covid und Ukraine wird es vielen Anlegern, in deren Portfolio es in den vergangenen Jahren tendenziell aufwärts ging, mulmig. Was müssen Anleger jetzt wissen? Verkaufen, bis eine mögliche Rezession in den Kursen eingepreist ist? Oder halten, um keine Bärenmarktrally zu verpassen?

Walter Liebe: Im vergangenen halben Jahr haben wir den perfekten Sturm für Themeninvestments, und, allgemeiner gesprochen, für Wachstumsinvestments gesehen. Der Zinsanstieg aufgrund der Inflationsbeschleunigung und der Ukrainekrieg haben die Karten neu gemischt. Außerdem ist das ganze Gefüge der Weltwirtschaft aus dem Lot geraten: Angesichts von Lieferkettenproblemen, Ressourcenknappheiten und Preissteigerungen haben sich die Wachstumsaussichten von innovativen Unternehmen, die zuvor mit hohen Bewertungen belohnt wurden, verschlechtert. Jetzt, da diese Anlegerhoffnungen ausgepreist werden, kommen diese Unternehmen besonders stark unter Druck.

Die Umkehr dieser Euphorie für Konzeptaktien, also Aktien, die bislang noch nicht profitabel sind, hängt nicht zuletzt mit den steigenden Leitzinsen und Anleiherenditen zusammen. Die weit in der Zukunft liegenden Gewinne von Wachstumsunternehmen werden entsprechend mit einem größeren Faktor abdiskontiert als bisher. Das heißt: Je weiter die Gewinne in der Zukunft liegen, desto stärker wird heute abdiskontiert. Mittlerweile sind wir allerdings an einem Punkt angekommen, an dem nicht mehr länger nur das Wachstumspotenzial der Unternehmen, sondern auch deren Geschäftsmodell in Frage gestellt wird. Wir sind daher nahe an einer Investorenkapitulation.

Eigentlich ein guter Einstiegszeitpunkt?

Liebe: Gewiss, wir gehen davon aus, dass der Markt hier weitgehend falsch liegt. Wir sehen technologische Innovationen, die größtenteils marktgängig und zukunftsfähig sind. Wer jeden Tag schaut, wo der Nasdaq-Index gerade steht, übersieht das zukünftige Potenzial.

Tatsächlich driften viele Marktsektoren in den überverkauften Bereich. Welche Sektoren halten sich im aktuellen Umfeld am besten?

Liebe: Die Sektoren, die wir gemeinhin als Value-Sektoren bezeichnen und die in den vergangenen fünf Jahren hinten lagen, sind in der Anlegergunst gestiegen. So sind Energietitel sehr gefragt, und aufgrund des Ukraine-Kriegs bizarrerweise auch Förderer fossiler Energien, die zuvor als Stranded Assets galten. Dieser Trend, der mit den aktuellen Energieengpässen zusammenhängt, wird allerdings bald wieder drehen, es handelt sich hier um tote Kapitalanlagen und ein zyklisches Phänomen, es handelt sich nicht um die strukturelle Wiederbelebung eines niedergehenden Sektors.

Finanztitel, jahrelang von den Anlegern in der Niedrigzinsphase verschmäht, profitieren inzwischen von höheren Zinsen und steileren Zinsstrukturkurven. Höhere Zinsen verschaffen den Banken eine größere Marge im Kredit- und Einlagengeschäft. Banken werden daher wieder von den Anlegern favorisiert, sie legen im laufenden Quartal allerdings Bilanzen vor, die salopp gesprochen, eher so lala ausfallen. Rohstoffinvestments liefen zuletzt hingegen gut. Allerdings sind Energieversorger, Finanzinstitute und Rohstoffkonzerne in Themenfonds eher unterrepräsentiert. Themenfonds sind stattdessen stärker auf Konsum, Technologie, Innovation oder Gesundheit ausgerichtet, Sektoren, die zuletzt unter Druck geraten sind.

Aber um diese Sektoren kommen langfristig ausgerichtete Anleger schwerlich herum, oder?

Liebe: Ein guter Themenfonds wird unterstützt durch langfristige Entwicklungslinien, die als Megatrends bekannt sind. Diese gelten unabhängig von konjunkturellen, zyklischen Schwankungen, Inflationszyklen oder kurzfristigen geopolitischen Aufwallungen. Dazu gehören die Megatrends Urbanisierung, Nachhaltigkeit und auch Technologisierung mit dem Schwerpunkt Gesundheit. Megatrends entwickeln sich stabil, denn es sind langlaufende, gesellschaftspolitische Phänomene, die sich über Jahrzehnte hinweg erstrecken. Wird ein Anlagethema von solchen Megatrends getrieben, dann gewinnt es über die Jahre hinweg an Bedeutung.

Könnten Sie das an einem Beispiel beschreiben?

Liebe: Nehmen wir das Thema Wasser. Es wird immer stärker nachgefragt durch eine steigende Weltbevölkerung; gleichzeitig nehmen aber die Wasserknappheit und der daraus resultierende Wasserstress zu. Unternehmen, die entsprechende Lösungen anbieten, sollten mit guter Wertentwicklung belohnt werden. Wenn jetzt die Zinsen steigen, werden viele Wasserversorger abgestraft, da sie dem Versorgersektor angehören, der als „zins-sensitiv“ gilt. Das hat aber überhaupt nichts mit deren Geschäftsmodellen zu tun. Die allermeisten börsennotierten Wasserunternehmen haben langfristige Verträge, die eine Klausel zum Inflationsausgleich beinhalten – wenn die Preise steigen, ziehen die Wasserpreise und die Einnahmen des Wasserversorgers mit. Kurzfristige Kursschwankungen ändern überhaupt nichts am langfristigen Kalkül eines Themas.

Das sollte auch für Automatisierung und Robotik gelten…

Liebe: Ganz klar. Getragen wird der Megatrend von Technologie- und Wachstumsunternehmen, die Halbleiter einsetzen und auf die global zuverlässige Lieferung von Computerchips angewiesen sind. Sie werden derzeit genauso abgestraft wie Aktien, deren Geschäftsmodell von Covid-Lockdowns nach vorn gepusht wurden. Doch Automatisierung und Robotik profitieren von der Rückverlagerung von Wertschöpfungsketten in die entwickelten Länder. Erfolgreiches „Nearshoring“ oder „Reshoring“, wie das Phänomen heißt, wird nur vonstattengehen, wenn eine sehr starke Automatisierung gewährleistet ist. Die Rückverlagerung von Produktion wird für ein jahrelanges, massives Wachstum des Sektors Robotik und Automatisierung sorgen. In den Kursen ist das derzeit überhaupt nicht zu erkennen.

Zur Orientierung: Welcher Megatrends-Fonds von Pictet AM hat das größte Fondsvolumen?

Liebe: Der größte Themenfonds von Pictet AM ist der Multi-Themenfonds Pictet-Global Megatrend Selection. Es handelt sich dabei um den größten Themenfonds weltweit mit einem Volumen von 11 Milliarden Euro. Er umfasst zwölf verschiedene Themen, die unser Haus als besonders zukunftsträchtig einstuft. Der Fonds ist damit die ideale Lösung für Privatanleger, die sich nicht auf das Timing eines einzelnen Themas kaprizieren wollen.

Welche Themen haben sich in der jüngsten Drawdown-Phase denn robust gezeigt?

Liebe: Das Thema Ernährung hat sich als erstaunlich defensiv erwiesen. Kaufmuster und auch Ernährungsmuster der Menschen verändern sich zwar im Verlauf der Zeit. Sie schwanken aber nicht so stark wie es beispielsweise bei Investitionsgütern, etwa Maschinen, der Fall ist. Wir beobachten auch, dass das Thema Digitalisierung in der Korrekturphase der vergangenen Monate stark abgestraft wurde. Internet- und Social-Media-Plattformen sowie Streaming-Dienste hatten zu leiden. Hier wird unserer Meinung nach die Wachstumsstärke und die Stabilität des Wachstums in den kommenden Jahren völlig unterschätzt. Was jetzt im Thema Digitalisierung eingepreist wird, sind eine einbrechende Nachfrage und damit eine niedrigere Ertragskraft.

Warum wird das Thema Digitalisierung aktuell massiv unterschätzt?

Liebe: Die entsprechenden Unternehmen aus den USA und China werden zukünftig eine starke Ertragskraft und die Fähigkeit an den Tag legen, Cash zu generieren. Man schüttet jetzt das Kind mit dem Bade aus. Es gab manche Themenfonds-Strategien, besonders in den USA, die sich im Tech-Boom auf kühne Höhen schwangen, im Verlauf der vergangenen Monate aber drei Viertel ihres Wertes wieder verloren haben. Aufgrund von sehr aggressiv positionierten Technologiefonds entsteht ein Verkaufsdruck, der alle Werte gleichmäßig unter Druck bringt, sodass nicht mehr unterschieden wird: Was sind die tatsächlich profitablen und stabilen Geschäftsmodelle? Und was sind die von uns ungeliebten Konzeptaktien?

Täuscht der Eindruck, dies als letzte Frage, dass die als einstige Stars gefeierten Manager dieser Fonds inzwischen von den Medien wie Idioten dargestellt werden?

Liebe: Konnte man zuvor schon die Lobpreisungen der Medien nicht verstehen, ist es jetzt verwunderlich, wie hinterfragt wird, ob die Methoden der in der Gunst der Anleger gefallenen Fondsmanager nicht schon immer schlecht gewesen wären. Das jetzt von den Medien propagierte Bloßstellen von vermeintlichen Zockern hilft niemandem. Wir bei Pictet Asset Management sehen jetzt allerdings die Chance, antizyklisch zu agieren. Wir sammeln auf, was ungerechtfertigt unter Druck gesetzt wird – sofern wir es unserer Einschätzung und genauen Analyse nach mit qualitativ hochwertigen Unternehmen zu tun haben.

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