Personalexpertin Karin Schambach
Die Zukunft der Mitarbeiterführung

Karin Schambach ist Gründerin und Geschäftsführerin der Personalberatung Indigo Headhunters. Foto: Indigo Headhunters / Canva
Führung ist eine anspruchsvolle Aufgabe – gerade in Umbruchszeiten. Für die Zukunft lassen sich drei Spannungsverhältnisse ausmachen, innerhalb derer Führungskräfte sich positionieren müssen. Spoiler: Einfacher als bisher wird es nicht, wie Karin Schambach schon vorab verrät.
Die Arbeitswelt verändert sich ständig. Neue technologische Hilfsmittel, virtuelle Teams, Homeoffice und Workation – Führungskräfte müssen diese Veränderungen aufgreifen und ihren Führungsstil an die jeweils neue Situation anpassen. Dabei schreiten gesellschaftliche, technologische und rechtliche Entwicklungen im Zweifel in Zukunft eher schneller voran als bisher. Niemand kann mit Gewissheit sa...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Arbeitswelt verändert sich ständig. Neue technologische Hilfsmittel, virtuelle Teams, Homeoffice und Workation – Führungskräfte müssen diese Veränderungen aufgreifen und ihren Führungsstil an die jeweils neue Situation anpassen. Dabei schreiten gesellschaftliche, technologische und rechtliche Entwicklungen im Zweifel in Zukunft eher schneller voran als bisher. Niemand kann mit Gewissheit sagen, welche Aufgaben Führungskräfte in fünf, zehn oder 20 Jahren zu bewältigen haben werden. Doch für die nächsten Jahre zeichnen sich immerhin drei zentrale Spannungsfelder ab, innerhalb derer Führung sich positionieren sollte.
Spannungsfeld Nummer 1: Zwischen Empathie und Sanierung
In den Boom-Jahren seit der Finanzkrise erlebte Führung einen Wandel hin zu mehr Empathie und Individualität. In vielen Unternehmen hielt ein einfühlender, wertschätzender Führungsstil Einzug, der stärker die Bedürfnisse und Wünsche des einzelnen Mitarbeitenden berücksichtigt. In der individuellen Krise sieht die Situation vielerorts anders aus. Gerät ein Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten in Schieflage, so ist der einzige Ausweg oft eine neue Unternehmensleitung, die Kosten senkt und die wirtschaftliche Tragfähigkeit wiederherstellt.
Das Spardiktat kann für das Unternehmen allerdings schnell zu einem neuen Problem führen, unabhängig davon, ob es eine interne oder externe Berufung ist. Eine Krise schwächt die Loyalität der Arbeitnehmer ohnehin schon, und der Rückschritt zu einem stärker autoritären Stil, der vielen Sanierern eigen ist, verstärkt diese Tendenz zusätzlich. In Zeiten knapper Kassen lässt sich dieses Problem auch nicht einfach durch ein höheres Gehalt lösen, zum einen, weil für umfangreiche Erhöhungen kein Budget zur Verfügung steht, zum anderen, weil vielen, insbesondere jüngeren Menschen, heute Unternehmenskultur, Purpose und Sinnhaftigkeit mindestens ebenso wichtig sind wie ein hohes Gehalt.
Andererseits: Verabschieden sich die Leistungsträger aus dem Unternehmen, so wird der wirtschaftliche Turnaround umso schwerer. Selbst wenn er gelingt, kann das Unternehmen längerfristig durch den Verlust der besten Kräfte geschwächt sein. Ideal ist deshalb ein Sanierer, der empathisch führt – dieser Spagat verlangt viel Fingerspitzengefühl, das definitiv die wenigsten Sanierer mitbringen.
Spannungsfeld Nummer 2: Zwischen Effizienzzwang und Lebensqualität
Work-Life-Balance kann viele Gesichter haben. Für den einen geht es um Zeit für die Familie, die nächste möchte vielleicht gerne ein Sabbatical machen, und wieder der nächste würde sich am liebsten mehr ehrenamtlich für gute Zwecke engagieren. Zwischen der Idee eines Teilzeitjobs und der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen gibt es viele Unterschiede, aber eines haben die meisten Ideen gemeinsam: Wir definieren uns nicht ausschließlich über unsere Arbeit. Andere Interessen spielen ebenso eine Rolle. Und heute sind mehr und mehr Menschen bereit, für die Verwirklichung dieser Interessen Nachteile im Beruf zu akzeptieren, etwa ein geringeres Gehalt oder eingeschränkte Karriereoptionen.
Auf der anderen Seite sprechen geburtenschwache Jahrgänge und der zunehmende Fachkräftemangel eher für eine längere Wochen- und/oder Lebensarbeitszeit. Insbesondere der Fachkräftemangel wird als eine der zentralen Bedrohungen für deutsche Unternehmen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten angesehen.
Drohen also Verwerfungen im Generationenvertrag und im Sozialsystem? Und wie sollen Unternehmen die Lücke füllen, wenn ältere Mitarbeitende in Rente gehen und jüngere schwer zu finden sind?
Bei der Antwort auf diese Fragen wird Führung eine wesentliche Rolle spielen. Der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen wird künftig stärker als bisher von der Fähigkeit abhängen, Kollegen und Kolleginnen zu halten, ihnen Optionen im Unternehmen aufzuzeigen und sie weiterzuentwickeln. Dazu wird auch gehören, der einen Kollegin das gewünschte Sabbatical zu ermöglichen und dem anderen Kollegen Zeit für die Pflege seiner Eltern einzuräumen. Denn in einem ausgeprägten Arbeitnehmermarkt haben beide jederzeit die Möglichkeit, zu kündigen und sich eine für sie passendere Stelle zu suchen.
Bislang noch zu wenig genutzt wird zudem die Möglichkeit, ältere Kollegen weiter an das Unternehmen zu binden und ihre Erfahrungen zu nutzen. Manche von ihnen möchten nämlich durchaus länger aktiv bleiben, als gesetzliche oder betriebliche Rentenregelungen es vorsehen.
Wie können Führungskräfte den Spagat meistern, individuellen Wünschen entgegenzukommen und Lösungen zu finden, während sie gleichzeitig darauf achten, dass betriebliche Anforderungen erfüllt werden und die Wettbewerbsfähigkeit nicht sinkt?
Spannungsfeld Nummer 3: Zwischen Zentrifugalkräften und Identifikation
Arbeit ist heute mobiler als vor der Pandemie. Homeoffice, Remote Work und Workation sind gekommen, um zu bleiben. Was den Arbeitnehmer freut, braucht auch für die Chefin kein Nachteil zu sein. Mancher Arbeitnehmer arbeitet länger und effizienter im Homeoffice als im Büro und nutzt vielleicht sogar einen Teil der Zeit für die Arbeit, die sonst auf den Arbeitsweg entfallen wäre.
Ein anderer sieht die geringere Kontrolle im Homeoffice vielleicht aber auch als gute Gelegenheit, die Dinge etwas ruhiger angehen zu lassen. Führungskräfte können das nur in Grenzen überprüfen und steuern. Je genauer man versucht, die Arbeitsschritte des einzelnen zu beobachten oder vorzuschreiben, desto schneller rutscht man in den Bereich Micromanagement ab – und das ist zu Recht unbeliebt, weil es unnötig Ressourcen bindet und demotiviert.
Underperformance ist nicht der einzige Nachteil, den der Wandel hin zum Homeoffice mit sich bringen kann. Wenn sich Kolleginnen kaum noch sehen, wenn jede gewissermaßen als Einzelkämpferin in der eigenen Wohnung sitzt, dann leidet leicht das Team-Gefühl, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Die Abstimmung, die früher mit einem Gang ins Nachbarbüro oder auch quer über die Schreibtische lief, muss im virtuellen Team anders dargestellt werden – dabei können wichtige Informationen verloren gehen oder verzögert weitergereicht werden. Die Kreativität leidet, wenn es keinen informellen Austausch mehr gibt, also keine Gespräche in der Kaffeeküche oder auf dem Flur oder auch außerhalb des Gebäudes, bei denen Ideen „nebenbei“ entwickelt werden können. Organisierte und fest terminierte Brainstormings können diese Atmosphäre nicht schaffen.
Schließlich drohen Identifikation und Loyalität zu leiden, wenn der Kontakt zu Kollegen und Vorgesetzten lockerer wird, und wenn insbesondere der Eindruck entsteht, dass die Arbeit ungerecht verteilt wird, eben weil das Konzept Homeoffice von verschiedenen Teammitgliedern unterschiedlich ausgelegt wird. Vielleicht funktioniert das Team in einem anderen Unternehmen besser? Schon vor der Pandemie zahlten sich Arbeitsplatzwechsel für die Karriere aus. Das hat sich nicht geändert. Wenn dann noch Unzufriedenheit hinzukommt, steigt die Wechselbereitschaft weiter.
Wie können Führungskräfte in der neuen, mobilen Arbeitswelt Gemeinsinn und Identifikation stiften? Wie lassen sich hybride Teams am besten steuern? Wie kann die Führungskraft sicherstellen, dass alle Teammitglieder gesehen und gehört werden und mit ihrem Arbeitsplatz so zufrieden sind, dass sie nicht zur Konkurrenz wechseln?
Ansätze zu einem neuen Verständnis von Führung
In einem komplexen Umfeld wie Führung lässt sich nicht einfach ein Schalter umlegen, um eine Aufgabe zu lösen. Es geht immer um das Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren. Einige davon sind seit langem Bestandteil einschlägiger Ratgeber und Schulungen, doch nicht jeder Chef und jede Chefin hat sie verinnerlicht.
Die folgenden Punkte werden eine zentrale Rolle spielen:
Zuhören
Noch mehr als bei Präsenzarbeit drohen in virtuellen Teams die extrovertierten Mitglieder die introvertierten zu übertönen. Manche Menschen sprechen, wenn sie eine Gelegenheit dazu sehen, während andere eher warten, bis sie aufgefordert werden. In einem Video-Call und erst recht in einer hybriden Besprechung kann der Einzelne unter Umständen aber lange warten, bis er aufgefordert wird.
Aus Sicht der Führungskraft bringt diese Dynamik zwei Probleme mit sich: Zum einen werden unter Umständen kreative Ideen, wichtige Hinweise oder kritische Einwände nicht geäußert, und das gesamte Team ist an Ende weniger informiert und orientiert, als es möglich wäre. Zum anderen können Mitglieder demotiviert werden, wenn sie den Eindruck gewinnen, ihre Meinung und ihr Wissen zähle nicht. Sollte ein Leistungsträger kündigen, weil er den Eindruck hat, nicht gehört oder gesehen zu werden, so hat nicht zuletzt der Chef oder die Chefin ein Problem, die es versäumt hat, diesem Eindruck entgegenzuwirken.
Eine wesentliche Qualität für Führungskräfte wird deshalb in Zukunft sein, aktiv zuzuhören, Teammitglieder zur Äußerung aufzufordern und darauf zu achten, dass jeder zu Wort kommt.
Inhaltliches und organisatorisches Verständnis
Branchen- und Unternehmenswissen macht den Unterschied zwischen präziser und vager Führung. Die Führung in virtuellen Teams stellt höhere Anforderungen an das Verständnis für die zu erledigenden Aufgaben, die dafür nötigen Arbeitsschritte und den erforderlichen Aufwand. Nur wer einschätzen kann, wie schwierig und arbeitsintensiv die zu erledigenden Aufgaben und Projekte sind, kann sie sinnvoll verteilen, denn die dezentrale Arbeitsweise macht erschwert eine laufende Kontrolle und Feinjustierung.
Motivation und Teamgeist
Menschen zu motivieren und mitzunehmen ist schon lange ein elementarer Bestandteil guter Führung. In Situationen, in denen einzelne Teammitglieder den Eindruck gewinnen können, nicht gehört und nicht gesehen zu werden, gewinnt die Fähigkeit zu motivieren noch einmal zusätzlich an Bedeutung. Dazu gehört auch, Gemeinsinn zu stiften, ein Wir-ziehen-alle-am-selben-Strang-Gefühl, egal ob jemand nun im Büro sitzt oder zu Hause.
Reflexion
Wenn in virtuellen Teams direkte Rückmeldungen in Form von Mimik und Körpersprache weniger verfügbar werden, steigt die Bedeutung der Selbstreflexion: Wie kommt das, was ich sage oder schreibe, beim Empfänger an? Erreiche ich mit meinem Führungsstil die Ziele, die ich mir setze? Wo kann ich optimieren? Coaching und Mentoring können eine wichtige Hilfestellung bieten.
Aktive Kommunikation
Nicht alle Entscheidungen sind beliebt oder auch nur auf den ersten Blick überzeugend. Nicht selten ergibt sich der Sinn einer neuen Regel erst aus einer Gesamtschau aller Umstände, über die nicht jeder und jede im Unternehmen verfügt. Nur wer seine Entscheidungen gut genug kommuniziert, um zumindest bei der Mehrheit der Mitarbeitenden Verständnis und Unterstützung für die eigenen Entscheidungen zu erreichen, wird Erfolg haben.
Individuelle Förderung
Gleiches Geld für gleiche Arbeit! Der alte Aufruf passt immer weniger in die aktuelle Arbeitswelt. Nicht nur haben sich Berufe und Aufgabenfelder immer weiter aufgefächert, sodass die eine Arbeit mit der anderen immer schwieriger vergleichbar wird… Es ist auch längst nicht mehr jeder und jede an einem klassischen 40-Stunden-Job interessiert. Das ist kein Phänomen der Millennial-Generation, auch in älteren Altersgruppen gibt es heute eine Bandbreite von hoch engagierten und karriere-orientierten Kolleginnen bis hin zu Menschen, die sich neben dem Beruf noch auf andere Dinge konzentrieren möchten. Das kann ebenso gut ein Sabbatical sein wie eine Fortbildung, Zeit für die Familie oder für pflegebedürftige Angehörige.
Wer keine individuellen Angebote macht, auch und gerade für leistungswillige Mitarbeitende, der läuft Gefahr, die Leistungsträger zu verlieren. Das ist umso bedenklicher, als im Laufe eines Arbeitslebens mehr und weniger intensive Phasen einander abwechseln können. Wer sich heute um seine Kinder kümmern möchte, will vielleicht in zehn Jahren noch einmal richtig durchstarten – und umgekehrt. Förderung, Aufstieg und Vergütung nach dem Prinzip Gießkanne kann heute nicht mehr funktionieren.
Technologieverständnis
Wir erleben gerade die ersten Schritte der Künstlichen Intelligenz (KI). In der Zukunft wird KI immer mehr Routineaufgaben übernehmen und uns damit entlasten. Die für den Menschen verbleibenden Aufgaben werden kreativer, interessanter und anspruchsvoller sein als diejenigen, die wir von der Maschine erledigen lassen. Führung muss die Rahmenbedingungen für diese Entwicklung aufzeigen, den einzelnen Menschen auf die Tech-Reise mitnehmen, den Nutzen von Änderungen vermitteln und möglichen Ängsten begegnen, etwa vor neuen Aufgabenfeldern oder gar Jobverlust.
Diversität
Gemischte Teams erzielen bessere Ergebnisse, sowohl was die Geschlechterverteilung angeht als auch Hautfarbe, Orientierung, Religion und andere Faktoren mehr. Viele, insbesondere jüngere Arbeitnehmer ziehen ein diverses Team einer Monokultur vor. Führung muss dieser Entwicklung Rechnung tragen und sie mit gestalten.
Zweck
Für viele Menschen ist Arbeit heute mehr als nur Broterwerb. Führung muss vermitteln können, was das Unternehmen jenseits von Geschäftszielen und Eigentümerinteressen erreichen möchte, wohin es sich entwickeln soll und wie die Rolle des und der Einzelnen bei dieser Entwicklung aussieht.
Fazit
Der eine oder die andere wird sicherlich einige oder sogar viele dieser Ratschläge schon gehört oder gelesen haben. Doch die Frage ist nicht, was man kennt, sondern was man aktiv umsetzt. Führung entwickelt sich, und Führungskräfte müssen sich selbst mit entwickeln.
Führung wird, gerade in der Krise, empathischer und individueller. Zahlenorientierte Sanierer können gerade in schwierigen Situationen kurzfristig das Ruder herumreißen. Sie werden aber dem Unternehmen langfristig nicht zum Erfolg verhelfen können. Erst in der Krise zeigt sich, wer in den Boom-Jahren als Schönwetterkapitän unterwegs war, oder aber, wer Menschen verstehen, begeistern und mitnehmen kann.
Über die Autorin