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Aktualisiert am 01.11.2010 - 16:30 Uhrin Recht & SteuernLesedauer: 3 Minuten

Müssen Anleger Beratungsfehler durch Prospektlektüre erkennen?

Katja Fohrer, Mattil & Kollegen
Katja Fohrer, Mattil & Kollegen
Der Fall: Ein Anleger verklagt den Vertrieb wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadenersatz. Der Vertrieb wendet Verjährung ein und beruft sich auf im Prospekt enthaltene Hinweise. Beginnt die kenntnisabhängige dreijährige Verjährung bereits mit Übergabe des Verkaufsprospekts, auch wenn der Anleger diesen nicht gelesen hat?

Nein, so der Bundesgerichtshof (BGH) in den Urteilen vom 8. Juli 2010 (Aktenzeichen III ZR 249/09) und vom 22. Juli 2010 (III ZR 203/09). Der BGH hat sich in diesen Leitsatzentscheidungen mit dem von Finanzvertrieben und Banken in Anlegerschutzprozessen häufig vorgebrachten Argument befasst, wonach Anleger einen etwaigen Beratungsfehler bereits mit der Prospektaushändigung selbst hätten erkennen müssen.

Im Fall III ZR 249/09 hatte ein Anleger im Jahr 1999 auf Empfehlung eines freien Finanzvertriebs eine Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds gezeichnet, die sich wegen unzureichender Mieteinnahmen als Verlustgeschäft entpuppte. Der Anleger berief sich auf einen Beratungsfehler, da er eine sichere Anlage wünschte und unter anderem nicht auf ein Totalverlustrisiko hingewiesen worden sei.

Der Anlageberater trat diesen Vorwürfen entgegen und erhob die Einrede der Verjährung mit der Begründung, dass im ausgehändigten Prospekt das Totalverlustrisiko ausdrücklich genannt sei und damit die 3-jährige Verjährung schon im Zeichnungsjahr zu laufen begonnen habe.

Die Verjährung von Schadenersatzansprüchen aus fehlerhafter Anlageberatung und -vermittlung beträgt drei Jahre ab Kenntnis des jeweiligen Beratungsfehlers und beginnt mit Schluss des Jahres der Kenntniserlangung  zu laufen (Paragrafen 195, 199 BGB). Neben der positiven Kenntnis setzt auch eine grob fahrlässige Unkenntnis die Verjährung in Gang. Das heißt, der Anleger kann den Beginn der Verjährungsfrist nicht mutwillig hinauszögern, indem er bewusst „die Augen verschließt“.
Nach Ansicht des BGH ergibt sich jedoch keine grob fahrlässige Unkenntnis des Beratungsfehlers eines Anlageberaters oder der unrichtigen Auskunft eines Anlagevermittlers daraus, dass es der Anleger unterlassen hat, den ihm überreichten Emissionsprospekt durchzulesen und so die Ratschläge und Auskünfte des Anlageberaters oder -vermittlers auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren (III ZR 249/09).

Auch ein Anleger, der bereits eine bestimmte Pflichtverletzung kennt und die erkannte Pflichtverletzung nicht zum Anlass nimmt, den Prospekt nachträglich durchzulesen, handelt nicht grob fahrlässig, auch wenn er bei der Lektüre des Prospekts Kenntnis der weiteren Pflichtverletzungen erlangt hätte (III ZR 203/09).

Fazit: Der Anleger darf den Angaben des Anlageberaters und -vermittlers demnach vertrauen und muss nicht „schlauer“ als der Fachmann sein.

Zur Autorin: Katja Fohrer ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht in der Kanzlei Mattil & Kollegen, München. Zu Ihren Schwerpunkten zählt das Kapitalanlagerecht, sie hat zahlreiche Urteile zugunsten geschädigter Medienfondsanleger erwirkt.

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