M&G-Fondsmanager Richard Halle „Value-Aktien setzen ihren Höhenflug fort“
DAS INVESTMENT: Warum sollten Anleger zurzeit in Aktienfonds investieren?
Richard Halle: Nun, dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zuvorderst sind Aktien in diesem von starker Teuerung geprägten Kapitalmarkt besonders aussichtsreich. Ein Deutscher sagte mir vor einigen Jahren, wer die Inflation küsst, ist auch mit ihr verheiratet. Und ich habe das Gefühl, dass wir vielleicht für lange Zeit eine kräftige Inflation haben werden. Und deswegen sollten Anleger Sachwerte ins Auge fassen, deren Preise ebenfalls anziehen. Aktien sind so ein echter Vermögenswert.
Und was spricht für Ihre konkrete Anlagestrategie mit Europa- und Value-Schwerpunkt?
Halle: Ich bin überzeugt, dass es Europäern durchaus leichter fällt, in heimische Aktien zu investieren, weil man dort lebt und die Gesellschaften in der eigenen Währung handeln kann. Vor allem aber sind europäische Titel derzeit sehr günstig, auch für einen internationalen Investor. Speziell für meinen Fonds spricht, dass es einen langen Zeitraum gab, in dem Investoren mit der Suche nach günstig bewerteten Aktien, die dann überdurchschnittlich performen sollten, keinen Erfolg mehr hatten.
Doch nun hat sich dies geändert und die sogenannten Value-Strategien funktionieren wieder. In meinen Augen handelt es sich dabei um eine länger andauernde Trendwende.
Value-Aktien performen nun dauerhaft besser als wachstumsstarke Börsentitel?
Halle: Ja, das hoffe ich doch. Man sollte nicht vergessen, dass Value als Anlagestil über den größten Teil der Börsengeschichte wunderbar funktionierte. Deshalb gibt es so viele Lehrbücher darüber, so viele Universitätskurse und so viele Anleger, die diese Herangehensweise überzeugt. Erst seit der Finanzkrise 2008 funktioniert es nicht mehr.
Schuld daran hatten die einzigartigen Umstände, insbesondere Nullzinsen und quantitative Lockerung. Außerdem startete zu diesem Zeitpunkt eine Hyperglobalisierung, die auch ihren Teil beitrug. Die Performance-Kluft zwischen Value- und Growth-Werten hatte damals ihren Ursprung und ist danach immer weiter gewachsen.
Und was bewirkt jetzt den Dreh in die entgegengesetzte Richtung?
Halle: Es gab im vergangenen Jahr wieder einen enormen Schwenk, nämlich weg von den niedrigen Inflationsraten und hin zum Ende der quantitativen Lockerung. Damit änderte sich zugleich die Konstellation, welche Unternehmen wirtschaftlich gut laufen und welche nicht. Darauf wirkten auch die außergewöhnlichen geopolitischen Ereignisse wie Russlands Angriff auf die Ukraine ein. Unter dem Strich können nun nach 15 Jahren Value-Titel wieder prosperieren.
Welche Gesellschaften sind denn aktuell echte Schnäppchen? Nach welchen Kriterien suchen Sie die Portfolio-Titel aus?
Halle: Um es auf den Punkt zu bringen: Wir kaufen gern preiswert. Also suchen wir im rund 3.000 Titel umfassenden europäischen Aktienuniversum für jede Branche die 25 Prozent, die am günstigsten bewertet sind. Maßgebliche Kennzahl ist das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das den Börsenkurs einer Aktie ihrem Buchwert gegenübergestellt.
Die Marktkapitalisierung des Unternehmens darf 300 Millionen Euro nicht unterschreiten. Es bleiben rund 300 Aktien in der Auswahl, die wir unter den Gesichtspunkten finanzielle Stärke, Management-Qualität und langfristiges Geschäftsmodell weiter durchleuchten. Herauskommen 100 bis 200 Titel, mit denen wir dann das Portfolio bilden, typischerweise mit 60 bis 100 unterschiedlichen Aktien.
Wie genau konstruieren Sie das Portfolio?
Halle: Wir wählen insbesondere die Werte, von denen wir die höchsten Prämien für das jeweils eingegangene Risiko erwarten. Dabei sorgen wir unter anderem dafür, dass kein Titel über 3 Prozent Anteil im Portfolio kommt. Für Branchen und Regionen geben wir keine Grenzen vor. Deren Allokation bestimmt ausschließlich unsere Bottom-up-Titelwahl, sodass Value wirklich der dominante Faktor unserer Anlagestrategie bleibt.
Also spiegelt das hohe Gewicht britischer Aktien keine Vorliebe wider?
Halle: Nein, es steckt keine Präferenz von M&G und auch kein persönlicher Home Bias dahinter – ich bin Südafrikaner. Ganz im Gegenteil war Großbritannien in den ersten acht Jahren des Fonds immer untergewichtet. Spannend wurden die dortigen Aktiengesellschaften erst mit dem Brexit-Votum. Danach fielen Großbritanniens Börsentitel bei Investoren in Ungnade. Wir haben daraufhin genauer hingeschaut und einige Chancen auf der Insel entdeckt. Nicht zuletzt weltweit vertretene Unternehmen, deren Aktien aber eben in London gelistet sind. Dieser besonderen Situation ist das hohe Gewicht im Vereinigten Königreich geschuldet.
Für Deutschland gilt zurzeit das Gegenteil. Finden Sie dort noch Schnäppchen?
Halle: Ja, wir haben gerade im zweiten Halbjahr 2022 zum ersten Mal Siemens-Aktien gekauft und auch in BASF investiert. Wir finden aussichtsreiche Kandidaten und haben diese auch auf unserer Watchlist. Allerdings gehören die deutschen Firmen oftmals nicht zu den günstigsten, weil sie ein gutes Management haben und deswegen bei Investoren beliebt sind. Zu unseren spannendsten Investments gehört etwa die Baumarktkette Hornbach, eine Langzeitposition im Portfolio.
Im zweiten Teil unseres Gesprächs mit Richard Halle erklärt der M&G-Fondsmanager, wie er es mit Bankaktien in seinem Portfolio hält, warum ESG-Titel ins Hintertreffen geraten und welche Investments Halle in diesem Jahr meidet.
Über den Interviewten:
Richard Halle managt den 1,5 Milliarden Euro schweren Value-Aktienfonds M&G European Strategic Value seit dessen Auflegung im Januar 2008, die Anteilsklasse für Euro-Privatanleger startete im September 2018. Halle stammt aus Südafrika und begann 1999 als Branchen-Analyst mit Versicherungsfokus bei der britischen Fondsgesellschaft. 2002 schloss sich der studierte Chartert Financial Analyst (CFA) dem Team für europäische Aktien an und managte mehrere Value-Aktienfonds mit Europa- und Nordamerika-Universum. Erste Karrierestation war für Halle zuvor die Sedgwick Group, wo er als Aktienanalyst arbeitete.