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Schaatsschulden: Darum ist Inflation nicht immer schlecht

In letzter Zeit ist offenbar einer der eigentlich bekannten Inflationseffekte aus dem Blick geraten: Inflation kann den Wert von Schulden verringern. Der geliehene (feste oder nominale) Geldbetrag kann bei einem allgemeinen Preisauftrieb im Vergleich zum Einkommen schrumpfen. Anders ausgedrückt: Ein steigendes Nominaleinkommen erhöht die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers.
Das gilt auch für Staaten. Wenn alle anderen Faktoren gleich bleiben, führen höhere Preise, Löhne und Einkommen zu steigenden Steuereinnahmen. Die Haushaltslage sollte sich dadurch also verbessern. In der Realität bleiben allerdings oft nicht alle Faktoren gleich. Wie wir nur zu gut wissen, sind Europas Staatsschulden in den letzten Jahren ebenfalls gestiegen.
Als der beste Maßstab für die Kreditwürdigkeit eines Landes gilt die Höhe seiner Verschuldung im Verhältnis zur Größe seiner Wirtschaft. Um diese zu berechnen, favorisieren die meisten Wirtschaftswissenschaftler das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Kennzahl. Je höher dieser Wert ist, desto weniger kreditwürdig ist ein Land und desto teurer sollte es für die Regierung sein, Kredite aufzunehmen. So ist es zumindest in der Theorie.
Deutschland ist der Maßstab für die Kreditkosten
In Europa ist Deutschland der Maßstab, an dem die Kreditkosten der anderen Staaten gemessen werden. Wenn wir darüber sprechen, wie sich die Renditeaufschläge Italiens oder Spaniens gegenüber Bundesanleihen entwickelt haben, dann sagen wir damit eigentlich: Wie hat sich nach Einschätzung des Markets das Kreditrisiko dieser Länder im Verhältnis zu Deutschland verändert?
Natürlich ist Deutschland seit langem eines der – wenn nicht sogar das – kreditwürdigste Land in Europa. Das führt uns zu einer interessanten Frage: Wie hat sich die Kombination aus höherer Kreditaufnahme und gestiegener Inflation auf die Staatsfinanzen ausgewirkt? Und, was für Anleiheinvestoren noch interessanter ist: Wie hat sich die Dynamik zwischen den Ländern entwickelt?
Beginnen wir mit den nordeuropäischen Ländern, die vom Anleihemarkt traditionell als die qualitativ besseren Schuldner des Kontinents eingeschätzt werden. Seit dem Höchststand der Schuldenquoten Anfang 2021 verbessert sich die Kennzahl „Staatsschulden im Verhältnis zum BIP“ durchschnittlich um 5,23 Prozent. Im Detail: In Deutschland sank sie um 3,8 Prozent, in Frankreich um 5,0 Prozent und in den Niederlanden um 6,9 Prozent.

Griechenland vorn, Großbritannien weniger erfreulich
In wichtigen Peripherieländern fiel die Verbesserung noch sehr viel eindrucksvoller aus: Ihre Staatsschuldenquote sank im Durchschnitt um 22,66 Prozent. Eine besondere Erwähnung verdient Griechenland, wo die Kennzahl im gleichen Zeitraum um über 40 Prozent gesunken ist.

In Großbritannien sieht die Lage weniger erfreulich aus: Dort hat sich die Staatsschuldenquote im Beobachtungszeitraum tatsächlich sogar verschlechtert. Das „Office for National Statistics“ hat kürzlich gemeldet, dass die Schuldenquote die Marke von 100 Prozent knapp überschritten hat – zum ersten Mal seit Anfang der 1960er Jahre. Und das trotz der im Vergleich zum übrigen Europa anhaltend höheren Inflation.

Dieser Analyse lässt sich eine nicht unwichtige Frage anschließen: Was bedeutet das für die Preise von Vermögenswerten?
Wenn sich die Trends fortsetzen, liegt folgende Schlussfolgerung nahe: Da sich die Staatsfinanzen in der Peripherie schneller verbessern als in den Kernstaaten, werden sich die Spreads gegenüber Bundesanleihen weiter verengen. Als Beispiel hier der Vergleich der 10-jährigen Staatsanleihen Italiens und Deutschlands:

Wie wir sehen, sind die Kosten der italienischen Regierung für eine 10-jährige Anleihe zwar höher als vor einem Jahr. Sie sind aber nicht so stark gestiegen wie in Deutschland. Die Differenz zwischen den 10-jährigen Staatsanleiherenditen der beiden Länder ist von etwa 2,3 Prozent im letzten Sommer auf heute etwa 1,6 Prozent gesunken.

Die Lage in Großbritannien sieht da deutlich anders aus: Der Abstand zwischen 10-jährigen Gilts und 10-jährigen Bundesanleihen hat sich seit Anfang des Jahres um etwa 1 Prozent vergrößert. Abgesehen von der Haushaltsperiode unter Premierministern Liz Truss und ihrem Finanzminister Kwasi Kwarteng im Herbst 2022 haben wir derartige Spreads seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr gesehen.