Munich Re-Chef im SZ-Interview Joachim Wenning: Feiertage streichen, Kündigungsschutz lockern, Rentenalter anheben
Die Beschäftigten in Deutschland sollten nach Meinung des Vorstandsvorsitzenden des weltweit größten Rückversicherers Munich Re, Joachim Wenning, mehr arbeiten. Es drohe ansonsten durch die Demografie ein weiterer Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Lebensstandard sowie eine Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland. Allein der Rückstand in der Datentechnologie gegenüber den USA und China, die Wenning als Schlüsseltechnologie bezeichnet, zwinge die Deutschen, mehr zu leisten.
Weniger Feiertage
In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) nannte Wenning zahlreiche unpopuläre Maßnahmen. So sollte nach seiner Auffassung die gesetzliche Höchstarbeitsdauer von täglich zehn Stunden gestrichen werden. Auch der Wegfall von Feiertagen ist für den 59-jährigen Manager kein Tabu. „Es gibt keinen Grund, warum Bayern deutlich mehr Feiertage als Hamburg oder Deutschland als viele andere Länder benötigt.“ Ein durchaus bemerkenswerter Vorschlag angesichts der Tatsache, dass das das eigene Unternehmen in Bayern sitzt.
Länger arbeiten, weniger Kündigungsschutz
„Und warum können Deutsche nicht später in Rente gehen? Sie leben doch auch länger.“ Steuerlich geförderte Altersteilzeitregelungen bewirkten, dass vorzeitig ausscheidende Beschäftigte nahezu dasselbe Geld netto ohne Arbeit bekämen, so der Konzernchef. „Solche Anreize für Nichtarbeit muss man reduzieren“. Auch an den Kündigungsschutz will Wenning ran, den es in Zeiten nicht vorhandener Arbeitslosigkeit nicht mehr brauche, wie beispielsweise vor 50 Jahren. „De facto zwingt er Unternehmen, Mitarbeiter weiterzubeschäftigen, mit denen es nicht weiterarbeiten möchte. Wie absurd ist das?“, fragt Wenning im SZ-Interview.
Von der Politik fordert Wennung wegen geringen Wachstums und maroder Infrastruktur ein Programm zum „Turnaround“. Dafür würde der Munich-Re-Chef auch temporär eine höhere Verschuldung unter strengen Auflagen in Kauf nehmen. Allerdings bezeichnete er die aktuelle Bundesregierung auch als „offensichtlich dysfunktional“. Sie bekäme bei schwierigen Entscheidungen die Mehrheiten untereinander nicht hin. „Große Sprünge werden nicht mehr gelingen. Aber man darf sie auch nicht aus der Verantwortung entlassen“, so Wenning.
Crowdstrike-Panne nur mit geringen finanziellen Auswirkungen
Was die Herausforderungen im eigenen Marktumfeld und Unternehmen angeht, äußerte sich der Konzernchef zuversichtlicher. Kein Wunder: Der Rückversicherer präsentierte vergangene Woche einen Gewinnzuwachs von 41 Prozent im zweiten Jahresquartal.
Auch die Schäden durch den Software-Ausfall durch das fehlerhafte Update der Sicherheitsfirma Crowdstrike werde die Ergebniserwartung der Munich Re für das laufende Jahr nicht deutlich tangieren. Der Vorgang selbst habe das Unternehmen ohnehin nicht überrascht, so Wenning. „Bislang entspricht das, was wir von Crowdstrike sehen und verstehen, vollständig unseren Erwartungen an einen solchen Vorfall. Das besorgt uns nicht.“
Hallo, Herr Kaiser!
Pflichtversicherung will er nicht ausschließen
Zu der Debatte über eine Pflichtversicherung für Naturgefahren äußerte sich Wenning im Interview differenziert. Der globale Rückversicherungsmarkt hätte die Kapazität, alle denkbaren Naturereignisse in Deutschland und Europa versichern zu können. Das hätte aber seinen Preis. Der Konzernchef lehnt die Pflicht als solche zwar nicht ab, spricht aber im Fall einer Verpflichtung der Hauseigentümer von einer zu befürchtenden staatlichen Intervention in einen ungestörten marktlichen Preisbildungsprozess. Dies werde mit einem Sozialausgleich einhergehen. Wenning glaubt, dass dann „der Markt sich zurückziehen und der Staat letztlich die Kosten selber tragen müsse – und die werden höher sein als die Versicherungskosten bei Vollversicherung.“
Wenning bei Klimaschutz-Forderungen auf GDV-Linie
Handlungsbedarf bestehe aufgrund des Klimawandels aber allemal, da die Zahl und Intensität der Naturkatastrophen noch deutlich ansteigen werde, auch in Deutschland, so Wenning. Der versicherte Schaden pro Ereignis habe sich bereits in den vergangenen zehn Jahren knapp verdoppelt. Der Konzernchef sieht vor allem den Staat in der Pflicht. Er müsse Überschwemmungszonen schaffen, Deiche ausbauen beziehungsweise Dämme stärken. Damit liegt er ganz auf einer Linie mit dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.
„Es ist richtig, zu fordern, dass Bund, Länder und Kommunen verstärkt in Prävention investieren, weil das der beste Schutz vor Schäden – und demzufolge auch steigenden Versicherungskosten – ist. Wenn der Staat das tut, hat er schon das Wichtigste erledigt“, sagt der Top-Manager der SZ.
KI hilft gegen Fachkräftemangel
Positiv bewerte der Vorstandschef der Munich Re den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Man könne bereits in kürzester Zeit „alle möglichen Vertragswerke mit Tausenden von Tarifen auf bestimmte Deckungskonzepte oder Details analysieren, weil wir vielleicht irgendwo ein Problem erkannt haben, um das wir uns konsequent kümmern müssen.“ Dieser Arbeit hätten früher Juristen leisten müssen. Wenning im Interview: „Dasselbe gilt für Schäden. Was ist gedeckt, was ist nicht gedeckt? Auch das kann die KI beantworten.“
Perspektivisch wird laut des Managers die KI Arbeitsplätze kosten, weil sie Effizienzvorteile generieren wird. Das sieht Wenning aber nicht negativ. „Die KI wird uns helfen, weniger stark unter den demografischen Lasten zu leiden. Viele Menschen gehen in den Ruhestand. Wir werden diese Stellen nicht alle wiederbesetzt bekommen. Da müssen wir froh sein, dass wir die Technik haben, die einen Teil der Arbeit erledigt.“