


Es war ein Urteil, das zunächst nur Brancheninsider aufhorchen ließ: Das Landgericht Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen: 4 HK O 5879/24) entschied im Februar, dass die Risikoeinstufung eines offenen Immobilienfonds nicht korrekt sei. Betroffen war der Uniimmo Wohnen ZBI. Doch die Wellen, die diese Entscheidung schlägt, reichen weit über den konkreten Fall hinaus – und bringen nun andere Marktteilnehmer dazu, ihre Geschäftspraktiken anzupassen.
Die Wohnselect Kapitalverwaltungsgesellschaft stellt nun ab dem 1. Juli 2025 die Bewertung der Immobilien ihres Publikumsfonds Wertgrund Wohnselect D von einem quartalsweisen auf einen monatlichen Turnus um. Eine Maßnahme, zu der das Unternehmen rechtlich nicht verpflichtet ist – schließlich war es weder Partei noch Gegenstand des Rechtsstreits.
„Durch die Anpassung des Bewertungsrhythmus gewährleisten wir Stabilität sowie ein Höchstmaß an Transparenz“, erklärt Marcus Kemmner, Geschäftsführer der Wohnselect Kapitalverwaltungsgesellschaft und Fondsmanager des betroffenen Fonds. Der präventive Schritt schaffe die Voraussetzung für die „Fortführung der Vertriebsbemühungen unserer Partnerinnen und Partner“.
Risikoklassifizierung als Knackpunkt
Im Kern des Nürnberger Urteils steht eine technische, aber für die Fondsbranche zentrale Frage: Dürfen Immobilien-Sondervermögen weiterhin in den Risikoklassen 1 bis 7 eingestuft werden, wenn ihre Immobilien nur quartalsweise bewertet werden? Das Gericht vertritt die Auffassung, dass nur bei monatlicher Bewertung der gehaltenen Vermögensgegenstände die volle Bandbreite der Risikoklassen zur Verfügung steht.
Diese Einschätzung hat weitreichende Folgen. Die Risikoklassifizierung ist nicht nur ein abstraktes Bewertungsinstrument – sie bestimmt maßgeblich, wie Fonds gegenüber Anlegern kommuniziert und vertrieben werden dürfen. Eine falsche Einstufung könnte Vertriebspartner angreifbar machen für Vorwürfe der Falschberatung.
Schutz für den Vertrieb
Hier dürfte die Hauptmotivation für Wertgrunds vorauseilenden Gehorsam liegen. Verbraucherschützer haben bereits angekündigt, aufgrund des Urteils gegen Vertriebe vorzugehen. Die monatliche Bewertung soll eine „rechtssichere Basis“ schaffen, bis eine endgültige gerichtliche Klärung erfolgt.
Wertgrund versucht, aus der Not eine Tugend zu machen: Die häufigere Bewertung erhöhe die Transparenz für Anleger hinsichtlich der Immobilienwerte und deren Veränderungen, heißt es in der Mitteilung. Tatsächlich könnten Investoren von aktuelleren Daten profitieren – auch wenn fraglich bleibt, ob sich Immobilienwerte innerhalb eines Monats so stark verändern, dass eine quartalsweise Bewertung nicht ausreichen würde.
Präzedenzfall für die Branche?
Die Entscheidung von Wertgrund könnte zum Präzedenzfall werden. Andere Fondsgesellschaften dürften genau beobachten, wie sich die rechtliche Situation entwickelt. Sollte das Urteil in höherer Instanz bestätigt werden, müssten womöglich alle offenen Immobilienfonds ihre Bewertungsrhythmen anpassen – mit entsprechenden Kosten und organisatorischem Aufwand.
Für Anleger bedeutet die aktuelle Entwicklung vor allem eines: mehr Unsicherheit in einem Marktsegment, das eigentlich für Stabilität und Berechenbarkeit stehen sollte. Sicher ist nur: Das Nürnberger Urteil hat eine Diskussion angestoßen, die die Branche noch länger beschäftigen dürfte.