LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
in Verantwortung für die ZukunftLesedauer: 6 Minuten
ANZEIGE

Nachhaltige Kapitalanlage ESG – das Gegenmittel zum Populismus?

Luiz Inácio Lula da Silva, Brasiliens neugewählter Regierungschef, beim Antrittsbesuch in Washington
Luiz Inácio Lula da Silva, Brasiliens neugewählter Regierungschef, beim Antrittsbesuch in Washington: Die Zahl regierender Populisten hat ihren niedrigsten Stand seit zwanzig Jahren erreicht. | Foto: Imago Images / ZUMA Wire
Nicolas Forest, Candriam

Neulich saß ich gemütlich auf dem Sofa, schaltete den Fernseher ein und zappte in einen Bericht über die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani. Ich fühlte mich angesichts dieses Leids und solcher Ungerechtigkeit ziemlich hilflos.

Die Islamische Republik Iran wird seit nahezu 43 Jahren von einem autoritären, theokratischen Regime regiert. Mit 88 Millionen Einwohnern und einem Durchschnittsalter von 32 Jahren ist der Iran ein großes Land mit einer jungen Bevölkerung und historisch guten Bildungs- und Infrastruktursystemen. Leider werden diese Stärken aus der Vergangenheit wie auch die Rechte und Freiheiten des iranischen Volkes von der Regierung mit Füßen getreten.

Laut dem Ländernachhaltigkeitsmodell von Candriam (das die Eignung eines Landes im Hinblick auf Kapitalanlagen bewertet) liegt der Iran an der 118. Stelle von 123 Ländern weltweit. Ein miserables Ergebnis, das auf schweres Versagen bei praktisch jeder von uns angewandten Messgröße hinweist.

Menschenrechte und Freiheiten werden regelmäßig durch die Staatsgewalt verletzt. Die Führung ist katastrophal und Korruption ist Teil des Systems. Armut, Ungleichheit und Unterdrückung sind weit verbreitet. Die Staatsverschuldung ist in den vergangenen Jahren von durchschnittlich 11,8 Prozent des nominalen BIP beziehungsweise 45 Milliarden US-Dollar im Zeitraum 2000-2018 auf 41,5 Prozent des nominalen BIP beziehungsweise 591 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 gestiegen. Die Umweltprobleme haben sich um ein Vielfaches verschärft, was sich in extremer Luftverschmutzung, Wüstenbildung, weit verbreiteten Dürren und Verlust der Biodiversität widerspiegelt. Das Land verfügt über eine bedeutende Produktion fossiler Brennstoffe, doch der Iran zeigt kaum Interesse an Innovation und erneuerbaren Energien.

Alle genannten Faktoren verhindern Investitionen globaler, nachhaltiger Anleger im Land, unabhängig von der Tatsache, dass gegenüber dem unterdrückerischen Regime des Iran von globalen Organisationen umfassende Sanktionen verhängt wurden. Die Entscheidung von ausländischen Investoren, nicht zu investieren und nicht dieses Regime zu unterstützen, ist vor dem Hintergrund von Hinrichtungen, Vergewaltigung und Folter im Land verständlich. Doch die Aufgabe eines verantwortungsbewussten Investors sollte es sein, dazu beizutragen, autoritäre und freiheitsfeindliche Regimes nicht zu finanzieren und nicht zu unterstützen.

Populistische Regierungen stecken zurück

Es gibt indes Grund für Optimismus. Obwohl populistische Regierungen in den letzten Jahren auf dem Vormarsch waren und die tradierten liberal-demokratischen Werte teils vehement hinterfragt wurden, dürfte sich das Blatt im Jahr 2022 gewendet haben. Laut Tony Blair-Institut hat die Zahl regierender Populisten ihren niedrigsten Stand seit zwanzig Jahren erreicht, vor allem in Südamerika, wo viele Mitte-Links-Regierungen die Macht übernommen haben.

Ebenso haben die Ergebnisse der Zwischenwahlen in den USA im November 2022 gezeigt, dass die Kritik an Donald Trump gewachsen ist und viele von Donald Trump unterstützte Kandidaten der Republikaner bei den Midterms scheiterten.

Ist folglich davon auszugehen, dass diese Entwicklungen auf einen strukturellen Wandel hindeuten? Beginnen die Wähler wieder, die Vorzüge einer liberalen Demokratie schätzen zu lernen? Tatsächlich könnten drei große, global relevante Themen einen solchen Trend stützen.

Drei Gründe, warum Demokratien besser dastehen

Erstens: der Krieg in der Ukraine. Der erste Jahrestag des Konflikts macht die tödlichen Folgen einer autoritären Herrschaft deutlich. Vor dem Krieg gab es viele, die Russlands Wirtschaft angesichts der starken makroökonomischen Fundamentaldaten des Landes als gutes Investitionsziel ansahen.

Die Warnungen und Führungsprobleme, die von vielen Anlegern ignoriert wurden, haben sich nun als richtig erwiesen. Es war die richtige Entscheidung, nicht in Russland zu investieren, wenn man an die Sanktionen denkt, die dem Land nun auferlegt worden sind. Dies ist ein Beleg dafür, dass reine Finanzanalysen ohne ESG-Faktoren Risiken nicht adäquat bewerten. Anleger sollten aus dem Krieg in der Ukraine lernen.

 

Zweitens: die Covid-Krise. Nach der anfänglichen Panik und den vielen Ungewissheiten hat die Pandemie eindeutig die Vorteile einer guten Regierungsführung, von Zusammenarbeit und Transparenz gezeigt. Die Null-Covid-Politik und die anschließende abrupte Kehrtwende der kommunistischen Partei Chinas haben trotz ihrer vielleicht besten Absichten nur dazu gedient, ihre mangelnde Achtung der Menschen- und Bürgerrechte zu verdeutlichen – mit der tragischen Konsequenz von schließlich Millionen von Todesfällen.

Die Diskussion über den richtigen Ansatz haben die demokratischen Länder für sich entschieden. Sie ließen so schnell wie möglich ihre Bevölkerung impfen und debattierten offen die Gefahren einer lang anhaltenden Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten. Kein gesellschaftliches System war in der Pandemie frei von Fehlern und Schwächen, aber die liberalen Demokratien haben sich gegenüber den populistischen und autoritären Regimen als stärker erwiesen. Vielerorts haben die Menschen den liberaldemokratischen Ansatz wieder zu schätzen gelernt.

Drittens: die globale Erwärmung und die steigende Zahl extremer Klimaereignisse. Vor nicht allzu langer Zeit haben einige Regierungen das globale Phänomen noch abgestritten, doch nun bekommt die Natur die Oberhand. In Europa waren die letzten sieben Jahre die heißesten je gemessenen Jahre (Quelle: Copernicus Climate Change Service). Laut einem Bericht der US-Bundesregierung verursachten im Jahr 2022 schwere Wetterkatastrophen in den Vereinigten Staaten Schäden in Höhe von 165 Milliarden US-Dollar – die höchste jemals verzeichnete Jahressumme. Alle Regierungen rund um die Welt werden mit den Herausforderungen des Klimawandels konfrontiert sein, der gewaltige Auswirkungen auf die nachhaltige Verschuldung einzelner Länder haben wird. Volkswirtschaften, die den Klimawandel ignorieren, werden für Investitionen inakzeptabel werden.

„Weltherrschaft“ als Scheinargument

Lange Zeit waren humanitäre Werte ein gefundenes Fressen für autoritäre Regimes. Diese Werte werden inzwischen als „westliches Streben nach Weltherrschaft“ kritisiert und müssen verteidigt werden. Nicht nur, weil es sich um einen uneigennützigen Einsatz handelt, sondern auch, weil es für Sie als Investor eine Herausforderung für die Zukunft ist.

Wird eine Regierung, die einen Krieg vom Zaun bricht, die Rechte ihrer Bürger mit Füßen tritt und der globalen Erderwärmung keine Beachtung schenkt, ihre Schulden an die internationalen Gläubiger zurückzahlen? Alle Anzeichen und die jüngsten Entwicklungen sprechen dafür, dass das nicht der Fall sein wird. Wenn alle Anleger anfangen würden, ihre Investitionen mit entsprechender Umsicht zu tätigen, könnten liberale Demokratien, gestützt durch universelle Werte, weiterhin die Oberhand behalten und sogar an Attraktivität gewinnen.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen