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Robert Halver Europa verpennt den Standort-Wettbewerb

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Käme es tatsächlich zum Schwur, zu stark ansteigenden Anleiherenditen, wird die US-Notenbank bei Anleihen wieder zugreifen wie Kinder bei Schokolade. Übrigens, die auch in diesem Jahr stattfindenden Leitzinserhöhungen der Fed halte ich für einen billigen geldpolitischen Trick. Denn sie laufen der Inflation hinterher, ohne sie einfangen zu wollen: Zu Beginn der Zinserhöhungsphase in den USA waren die Notenbankzinsen real, also nach der Preissteigerung, höher als aktuell. 

Amerika macht für Europa nicht mehr die wirtschaftliche Drecksarbeit

Mit diesem amerikanischen Wirtschaftswunder gerät die deutsche und europäische Komfortzone in Bedrängnis. Die USA werden nicht mehr wie früher die Weltwirtschaftserholung betreiben, die dann auch in Europa über Exporte in die USA einen Konjunkturaufschwung einleitet. Den Wirtschaftskuchen will Amerika allein genießen. Dahinter steckt auch, dass der amerikanische Hahn seine Lust am europäischen Hühnerhaufen verloren hat. Geostrategisch ist der pazifische Raum von viel größerer Bedeutung.

Was nun, Europa? Als Lösung will der französische Sonnenkönig die Europäische Transferunion einführen. Mit einem stark durch Deutschland finanzierten Gießkannenprinzip sollen blühende Landschaften herbeigezaubert werden. Ich bin schon sehr erstaunt, wie viele Politiker auch bei uns dieser fixen Idee hinterherlaufen wie Mäuse dem Käse.

Wie soll etwas wirtschaftlich nachhaltig gedeihen, wenn der konjunkturelle Boden durch viel zu wenig Reformdünger unfruchtbar ist? Damit ist der Wettstreit über den besten Wirtschaftsstandort, den Amerika brutal führt, nicht zu gewinnen. Am Ende stehen Steuererhöhungen, Investitionsarmut und mangelndes Wirtschaftswachstum, was den eigenen Standort über die Erhöhung volkswirtschaftlicher Fixkosten noch weiter verschlechtern.

Anstatt soziale Ungleichheit zu beklagen, sollte man sie mit wirtschaftlichen Perspektiven verhindern

Ich verkenne nicht, dass es Deutschland aktuell wirtschaftlich gut geht. Aber die Kunst der Wirtschaftspolitik besteht darin, dass dies auch morgen und übermorgen noch der Fall ist. Wenn die deutsche Volkswirtschaft bei Megathemen wie Digitalisierung und Infrastrukturerneuerung nicht mitmischt, wird sie weggewischt. Das Hurra-Argument, dass die Auslastungsgrade der deutschen Industrie am Anschlag sind, lasse ich nicht gelten. In Deutschland wird zu wenig investiert. So wird ein Schuh daraus.

Selbst eine zukünftig schwache, kleine Große Koalition, die sich leider wenig trauen wird, sollte dennoch wissen, dass das wirtschaftliche Überleben morgen nicht weniger wichtig ist als soziale Gerechtigkeit heute. Ich bin kein kalter Christ. Aber soziale Gerechtigkeit ist dann am besten gewährleistet, wenn sie auf Grundlage einer robusten Wirtschaft, Arbeitsplätzen, Konsum und Steuereinnahmen fußt.

Bevor das Fell des Bären verteilt wird, muss er erlegt werden. Gewisse „naturgesetzliche“ Wirtschaftsfakten können auch viel zu viel süße Moralsoße vergießende politische Gesundbeter nicht ignorieren. Jeder Betreiber einer Knackwurstbude hat mehr Wirtschaftssachverstand als so mancher Wirtschaftspolitiker. 

In einer wettbewerbsstarken Welt ist mit politischer Korrektheit noch kein Job außerhalb von öffentlichen Institutionen geschaffen worden.

Autor Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank in Frankfurt.

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