GDV-Chefvolkswirt Klaus Wiener
Brexit-Entscheidung naht – Vorbereitung zählt

GDV-Chefvolkswirt Klaus Wiener
Großbritannien wird im Finanzdienstleistungssektor zukünftig eigene Wege gehen. Mit dem Übergang Großbritanniens zum Drittstaat fällt spätestens nach der Übergangsphase zum 1. Januar 2021 der „EU-Pass“ weg; im ungünstigen Falle eines „harten Brexit“ sogar schon zum 30. März 2019.
Der Übergang Großbritanniens zu einem Drittstaat ist mit zahlreichen Konsequenzen für den Finanzdienstleistungssektor...
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Großbritannien wird im Finanzdienstleistungssektor zukünftig eigene Wege gehen. Mit dem Übergang Großbritanniens zum Drittstaat fällt spätestens nach der Übergangsphase zum 1. Januar 2021 der „EU-Pass“ weg; im ungünstigen Falle eines „harten Brexit“ sogar schon zum 30. März 2019.
Der Übergang Großbritanniens zu einem Drittstaat ist mit zahlreichen Konsequenzen für den Finanzdienstleistungssektor verbunden. Zu den wichtigsten Punkten für die Versicherungswirtschaft gehört die Vertragssicherheit („service continuity“), ein möglichst ungehinderter Datentransfer sowie Regelungen für das bestehende Derivategeschäft.
Aufgrund der langen Vorlaufzeit und der bereits erfolgten Vorkehrungen dürfte sich ein „harter Brexit“ nicht als systemisches Risiko erweisen. Gleichwohl sollten die politisch Verantwortlichen in der EU auch für diesen Fall jetzt im Interesse einer größtmöglichen Planungssicherheit Notfallregelungen veröffentlichen.
Special relationship versus Rosinenpickerei
Bis zum voraussichtlichen Austritt des Vereinigten Königreiches (UK) aus der EU ist es nur noch ein knappes halbes Jahr. Und obwohl der Brexit verbunden ist mit potentiell erheblichen Konsequenzen für beide Seiten, ist es bislang nicht gelungen, die genauen Modalitäten des Austritts festzulegen und eine Übereinkunft über das zukünftige Verhältnis zu erzielen. Immerhin haben sich beide Parteien auch im Interesse der Wirtschaft auf einen – noch nicht rechtskräftigen – Übergangszeitraum bis Ende 2020 einigen können. Dass die Verhandlungen sich als sehr schwierig erweisen würden, kommt im Grunde nicht überraschend. Die Briten möchten ihre nationalen Angelegenheiten wieder alleine regeln, dabei aber gleichzeitig eine enge wirtschaftliche Anbindung an die EU behalten. Umgekehrt möchte die EU sicher auch in Zukunft ein gutes Verhältnis zu seinem geographischen Nachbarn haben. Die EU kann den Brexit aber auch nicht durch eine zu enge Anbindung der Briten an den Binnenmarkt zu einem Erfolgsmodell machen. Während die einen also eine „special relationship“ wollen, müssen die anderen „Rosinenpickerei“ zum Schutz der EU vermeiden.
Konkret gibt es zwei Gründe für die wohl festgefahrenen Verhandlungen, die beide miteinander verbunden sind. Zum einen ist dies die Frage der inneririschen Grenze, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Zum anderen ist dies aber auch die Frage nach dem Zugang zum Binnenmarkt. Die britische Regierung hat mit dem sogenannten Checkers-Plan eine Freihandelszone vorgeschlagen, allerdings nur für Waren. In Sachen Dienstleistungsverkehr und in Bezug auf bilaterale internationale Handelsabkommen möchte sich die britische Regierung eine freie Hand sichern. Da der EU-Binnenmarkt aber aus den vier Freiheiten für Güter, Dienstleistungen, Personen und Kapital besteht, wäre damit die Integrität des Binnenmarktes gefährdet. Da der gemeinsame Binnenmarkt ohne Frage das Kronjuwel der EU ist, ist eine Fragmentierung eine „rote Linie“ für die EU.
Risiko eines harten Brexit weiterhin hoch
Zuletzt hat es in beiden Fragen (innerirische Grenze, zukünftiges Verhältnis) allem Anschein nach wieder etwas Bewegung gegeben. Ob die Kompromissbereitschaft aber ausreicht, den gordischen Knoten zu durchschlagen, ist ungewiss. Dabei drängt die Zeit. Damit eine Ratifizierung des Austrittsabkommens noch rechtzeitig sowohl im EU-Parlament als auch im britischen Unterhaus möglich ist (siehe Zeitplan), müssten die Verhandlungen eigentlich in den nächsten vier Wochen zu einem Ende kommen. Natürlich ist prinzipiell auch eine Verlängerung des Verhandlungsrahmens vorstellbar. Allerdings steigt mit jedem weiteren Verhandlungstag die Unsicherheit. Und bei einem Scheitern in allerletzter Minute wären die Friktionen wohl umso größer.
Wir haben in den zurückliegenden Monaten wiederholt über den Stand der Verhandlungen informiert und dabei insbesondere die Anliegen der Versicherungswirtschaft thematisiert. Einer der wesentlichen Punkte, die wir immer wieder betont haben, ist die Pflicht der Versicherungsunternehmen zur Befassung mit diesem Thema, da die Versicherer nicht nur direkt im grenzüberschreitenden Versicherungsgeschäft, sondern auch indirekt etwa in der Kapitalanlage betroffen sein können.
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