GDV-Chefvolkswirt Klaus Wiener
Brexit-Entscheidung naht – Vorbereitung zählt
Aktualisiert am 30.08.2019 - 09:53 Uhr
Klaus Wiener ist seit 2015 Mitglied der Geschäftsführung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sowie Chefvolkswirt des Gesamtverbandes. Foto: GDV
Großbritannien wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 30. März 2019 aus der Europäischen Union ausscheiden. Weniger als sechs Monate vor dem Austritt ist aber immer noch offen, wie genau das Land die EU verlassen wird. Die Wahrscheinlichkeit für einen ungeordneten Brexit ist hoch.
Ende des Passportings „in any case“
Was sind also die wesentlichen Themen so kurz vor dem Tag null, an dem entweder sofort (harter Brexit) oder nach einer Übergangsphase Ende des Jahres 2020 (weicher bzw. geordneter Brexit) der EU-Pass für Finanzdienstleistungen für das grenzüberschreitende Geschäft entfällt? Wir haben drei Punkte identifiziert. Zum einen ist dies die Frage der Gültigkeit insbesondere von langlaufenden Verträgen nach dem Brexit. Schließlich stellt sich die Frage nach dem Umgang mit derivativen Finanzprodukten. Versicherer setzen oftmals Derivate zur optimalen Portfoliosteuerung ein. Angesichts der Größe des Marktes für Derivate ist eine Lösung hier dringend...
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Ende des Passportings „in any case“
Was sind also die wesentlichen Themen so kurz vor dem Tag null, an dem entweder sofort (harter Brexit) oder nach einer Übergangsphase Ende des Jahres 2020 (weicher bzw. geordneter Brexit) der EU-Pass für Finanzdienstleistungen für das grenzüberschreitende Geschäft entfällt? Wir haben drei Punkte identifiziert. Zum einen ist dies die Frage der Gültigkeit insbesondere von langlaufenden Verträgen nach dem Brexit. Schließlich stellt sich die Frage nach dem Umgang mit derivativen Finanzprodukten. Versicherer setzen oftmals Derivate zur optimalen Portfoliosteuerung ein. Angesichts der Größe des Marktes für Derivate ist eine Lösung hier dringend geboten. Hinzu kommt ferner die Frage der ungehinderten Datenübertragung, die ein wesentlicher Bestandteil des Versicherungsgeschäfts ist.
Grenzüberschreitendes Versicherungsgeschäft: Vertragssicherheit zentral
Versicherungsverträge, die im Rahmen des Passporting mit britischen Kunden geschrieben wurden und in die Post-Brexit Zeit hineinreichen, müssen nach dem Brexit nach den aufsichtlichen Regeln für Drittstaaten erbracht werden. Gleichzeitig bleiben die Verträge zivilrechtlich gültig. Darauf haben EIOPA und auch die BaFin mehrfach hingewiesen.
Für eine aufsichtskonforme Vertragsfortführung müssen Unternehmen ihr grenzüberschreitendes Bestandsgeschäft an die Post-Brexit Rahmenbedingungen anpassen. Geeignete Maßnahmen für das Geschäft in UK sind:
- Die Errichtung einer Tochtergesellschaft bzw. einer Drittlandniederlassung in Großbritannien. Hierfür sind die entsprechenden Anträge bei der britischen Aufsicht (PRA) zu stellen.
- Übertragung der bisher von Deutschland aus verwalteten Verträge auf ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in Großbritannien.
In diesem Zusammenhang sind die Unternehmen aufgefordert, ihre Informationspflichten wahrzunehmen und den Kunden über die Auswirkungen des Brexit auf das Vertragsverhältnis zu unterrichten.
Für das Szenario eines „harten Brexit“ hat die britische Regierung eine befristete Zulassung („Temporary Permissions Regime“, TPR) angekündigt. Die Verabschiedung des TPR durch das britische Parlament gilt als sicher. Unternehmen aus der EU-27, die bis zum 29. März 2019 eine Geschäftserlaubnis beantragen oder ihren Beitritt zum TPR erklären, können ihr bisheriges „Passporting“-Geschäft in Großbritannien und Bestandsvertäge für bis zu drei Jahre nach dem Brexit weiterführen. Für Versicherungsverträge, die aufsichtsrechtlich ggf. nicht (mehr) vom TPR erfasst sind, sollen weitere Übergangsregelungen erlassen werden. Im Falle eines geregelten Brexit bleibt der EU-Rechtsrahmen mit der vereinbarten Übergangszeit bis Ende 2020 gültig.
Positiv zu werten ist, dass den Unternehmen damit unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen mehr Zeit für die Anpassung ihres Versicherungsgeschäfts an die Post-Brexit Rahmenbedingungen zur Verfügung steht (siehe auch Tabelle). Die Umstrukturierungsmaßnahmen sollen aber (laut Aussagen der BaFin) ungeachtet der Ankündigung des TPR mit unverminderter Intensität fortgesetzt werden. Bei Anwendung des TPR wird die BaFin nach jetzigen Sachstand eine Geschäftsplanänderung verlangen.
Insgesamt ist der Restrukturierungsprozess u. a. aufgrund umfangreicher Prüfungen der Aufsichtsbehörden aber als sehr zeitintensiv einzustufen. Hiervon sind angesichts der Vielzahl von Anträgen insbesondere auch die in Deutschland tätigen britischen Versicherer betroffen. Grundsätzlich sollte auch im Interesse der Kunden daher unbedingt vermieden werden, dass Unternehmen aufgrund fehlender aufsichtsrechtlicher Genehmigungen Gefahr laufen, „unerlaubtes Versicherungsgeschäft“ zu betreiben. Stattdessen plädieren wir im Sinne der Vertragskontinuität dafür, die Maßnahmen der Unternehmen auf Basis eines „best effort – Ansatzes“ zu bewerten.
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