GDV-Chefvolkswirt Klaus Wiener
Brexit-Entscheidung naht – Vorbereitung zählt
Aktualisiert am 30.08.2019 - 09:53 Uhr
Klaus Wiener ist seit 2015 Mitglied der Geschäftsführung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sowie Chefvolkswirt des Gesamtverbandes. Foto: GDV
Großbritannien wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am 30. März 2019 aus der Europäischen Union ausscheiden. Weniger als sechs Monate vor dem Austritt ist aber immer noch offen, wie genau das Land die EU verlassen wird. Die Wahrscheinlichkeit für einen ungeordneten Brexit ist hoch.
Übermittlung personenbezogener Daten ermöglichen
Bei einem „harten Brexit“ verliert die EU-Datenschutz grundverordnung (DSGVO) in Großbritannien zum 30. März 2019 ihre Gültigkeit. Datenübermittlungen nach Großbritannien wären infolgedessen nur noch unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig. Für die Unternehmen hätte dies zahlreiche Konsequenzen etwa in Bezug auf konzerninterne Datenübermittlungen oder die Zusammenarbeit mit Rückversicherern. Gleiche Bedingungen für die Übermittlung von personenbezogenen Daten nach Großbritannien bleiben nach dem Brexit nur dann bestehen, wenn das Datenschutzniveau dort auch weiterhin dem EU-Standard entspricht.
Hierzu ist allerdings...
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Übermittlung personenbezogener Daten ermöglichen
Bei einem „harten Brexit“ verliert die EU-Datenschutz grundverordnung (DSGVO) in Großbritannien zum 30. März 2019 ihre Gültigkeit. Datenübermittlungen nach Großbritannien wären infolgedessen nur noch unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig. Für die Unternehmen hätte dies zahlreiche Konsequenzen etwa in Bezug auf konzerninterne Datenübermittlungen oder die Zusammenarbeit mit Rückversicherern. Gleiche Bedingungen für die Übermittlung von personenbezogenen Daten nach Großbritannien bleiben nach dem Brexit nur dann bestehen, wenn das Datenschutzniveau dort auch weiterhin dem EU-Standard entspricht.
Hierzu ist allerdings ein Angemessenheitsbeschluss der EU-Kommission erforderlich. Im Sinne einer größtmöglichen Rechtssicherheit für die Unternehmen sollten hierfür möglichst zeitnah Vorbereitungen eingeleitet werden. Da ein Angemessenheitsbeschluss jedoch nicht vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU getroffen werden kann, sollte – zumindest für eine Übergangszeit – eine politische Lösung erwogen werden. Die DSGVO sieht daneben auch weitere Übermittlungsformen vor, die im Falle eines „harten Brexit“ zur Anwendung kommen könnten. Hierzu zählen insbesondere
- EU-Standardvertragsklauseln der EU Kommission, die typischerweise für den Datenverkehr mit Drittstaaten eingesetzt werden, aber aktuell vor dem EUGH anhängig sind, sowie
- Binding Corporate Rules für Übertragungen im Konzernverbund. Diese sind allerdings mit einem größeren Aufwand wie etwa Genehmigungsverfahren verbunden. Auf Unternehmensseite müssten entsprechende Vorbereitungen getroffen werden.
Rechtsicherheit für das Derivatebestandsgeschäft
Für die Absicherung von Zins- und anderen Marktrisiken nutzen deutsche Versicherer vielfach den Finanzplatz London. Dies betrifft u. a. den Großteil des Clearings von Eurodenominierten Zinsderivaten von britischen Clearing-Stellen (CCPs). Nach Angaben der Bank of England reicht die Vertragslaufzeit bei Verträgen im Nominalwert von 41 Billionen Pfund aktuell in die Post-Brexit Zeit hinein (Gesamtwert 69 Bil. £). Ohne eine Anerkennung der ESMA oder anderer Übergangsmaßnahmen der EU verlieren UK-CCPs nach dem Brexit die Möglichkeit, clearingpflichtige Derivate für EU-27 Unternehmen zu clearen.
In Bezug auf bestehende grenzüberschreitende OTC-Derivatekontrakte mit UK-Unternehmen besteht zudem die Unsicherheit, inwieweit die Durchführung sog. „Life Cycle Events“ rechtlich noch zulässig ist. Es besteht das Risiko, dass diese OTC-Derivatekontrakte ihre zivilrechtliche Gültigkeit verlieren und damit die Risikoabsicherung beeinträchtigt ist.
Die Unternehmen sind ferner dadurch betroffen, dass nach dem Übergang Großbritanniens zu einem Drittstaat in UK gehandelte bzw. geclearte Derivate nicht mehr als risikomindernd im Sinne von Solvency II angesehen werden könnten mit entsprechenden negativen Konsequenzen für die Solvenzquoten.
Vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexit ist bereits ein deutlicher Ausbau des Clearing-Volumens in der EU zu verzeichnen (siehe Abbildung). Die Anbindung an Clearing-Häuser in der EU-27 ist dabei insbesondere für das Neugeschäft eine wichtige Alternative. Investoren, welche die mit einem „harten Brexit“ verbundenen erheblichen Unsicherheiten in Bezug auf ihre Bestandsgeschäfte vermeiden möchten, werden versuchen, ihre bestehenden grenzüberschreitenden OTC-Derivatekontrakte auf EU-27 Unternehmen zu übertragen. Die Verlagerung des Bestandsgeschäfts dürfte angesichts der kurzen verbleibenden Zeit bis Ende März 2019 jedoch mit zahlreichen rechtlichen und operativen Herausforderungen verbunden sein; auch Marktverwerfungen sind wegen des Umfangs und der Komplexität des Verfahrens nicht auszuschließen. Die Unsicherheit bei den Unternehmen ist demzufolge hoch.
Angesichts der erheblichen praktischen Schwierigkeiten bei der Umstrukturierung von Derivaten und möglicher Risiken für die Finanzstabilität sollten zumindest für das Bestandsgeschäft Übergangsregelungen erwogen werden, die eine geordnete Verlagerung der Derivatetransaktionen in die EU-27 ermöglichen. Hier bedarf es einer gemeinsamen politischen Lösung beider Parteien – wie sie auch Felix Hufeld gefordert hat.
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