Einhaltung von ESG-Standards Nahrung mit Nebenwirkungen: Warum nachhaltige Fonds Lebensmittelkonzerne meiden
Streng genommen sollte ein Fonds mit sehr hohem Nachhaltigkeitsanspruch ausschließlich in Unternehmen investieren, die notwendige Produkte herstellen. Denn selbst das maximal nachhaltig hergestellte Haarspray oder die Luxus-Bag aus Bio-Leder ist eines letztlich nicht: notwendig. Im Umkehrschluss dürfte es eigentlich kaum eine Branche geben, die besser in einen nachhaltigen Fonds passt als die Nahrungsmittelindustrie. Essen müssen schließlich alle.
Tatsächlich ist der Anteil an Nahrungsmittelunternehmen in den meisten tiefgrünen Fonds jedoch verschwindend gering. Im GLS Bank Aktienfonds ist mit dem Bio-Lebensmittelhersteller Sunopta beispielsweise nur ein einziges Unternehmen aus diesem Sektor vertreten, was einem Portfolioanteil von 0,23 Prozent entspricht. Beim B.A.U.M. Fair Future Fonds schaffen es mit der Schweizer Emmi Group, die auf hochwertige Milchprodukte spezialisiert ist und wiederum Sunopta gerade einmal zwei Titel in das knapp 80 Unternehmen umfassende Portfolio. Und beim Murphy & Spitz-Umweltfonds, der in knapp 30 Titel investiert, liegt der Anteil gar bei null.
Warum ist das so?
Nachhaltigkeitsstandards nicht erfüllt
Die Antwort auf diese Frage ist trotz der Vielschichtigkeit der Nahrungsmittelindustrie und der komplexen Fragen des nachhaltigen Investierens auf der Metaebene relativ einfach: Kaum ein börsennotiertes Nahrungsmittelunternehmen erfüllt wesentliche Nachhaltigkeitsstandards in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG). Und das betrifft bedauerlicherweise nicht nur die für ihre Geschäftspraktiken regelmäßig in der Kritik stehenden Mega-Konzerne, sondern auch den Großteil der weniger bekannten und mittelgroßen börsennotierten Unternehmen.
Missstände in der Lebensmittelindustrie: Von Abfall bis Zwangsarbeit
Zu den prominenteren Missständen innerhalb der Lebensmittelindustrie zählen der hohe Anteil gesundheitsschädlicher Produkte in den Sortimenten vieler Hersteller, die enormen Mengen an produziertem Verpackungsmüll sowie der verschwenderische Umgang mit natürlichen Ressourcen wie Land und Wasser – besonders bei der Rinderzucht, dem Anbau von Kakao und Sojabohnen sowie der Palmölproduktion.
Während diese Aspekte inzwischen immer mehr Konsument:innen und Anleger:innen bekannt sind, gibt es einige andere Themen, die in der Breite derzeit noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Dazu zählt einerseits die Emissionsintensität der Lebensmittelproduktion – bis zu 37 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen sind auf das globale Ernährungssystem zurückzuführen – aber auch ein bedeutender sozialer Aspekt: die weit verbreitete Nichteinhaltung fundamentaler Menschenrechte in Lieferketten bis hin zum Einsatz von Zwangsarbeit.
Auf das letztgenannte Thema möchten wir im Folgenden etwas näher eingehen. Unter anderem, weil wir im Rahmen unseres Researchs regelmäßig feststellen, dass selbst Unternehmen, die in vielen anderen Bereichen gut abschneiden, hier Defizite aufweisen.
Lebensmittelindustrie: Menschenrechte werden vernachlässigt
Wie verbreitet der nachlässige Umgang mit Menschenrechten innerhalb der Lebensmittelbranche ist, zeigt unter anderem die NGO „Know the Chain“ in ihrem „Food and Beverage Benchmarking Findings Report 2023“. Der zentrale Befund dieser Untersuchung: Die 60 größten globalen Lebensmittel- und Getränkeunternehmen versäumen es fast durchweg, Zwangsarbeits- und Menschenrechtsrisiken in ihren Lieferketten zu identifizieren und Arbeiter:innen vor diesen zu schützen.
Zwar verpflichteten sich die meisten Unternehmen öffentlich zur Einhaltung von Richtlinien zur Bekämpfung von Zwangsarbeit in ihren Lieferketten, aber nur wenige seien dann auch in der Lage, die Auswirkungen initiierter Maßnahmen nachzuvollziehen und positive Ergebnisse gesichert nachzuweisen. Zudem übersähen sie fast durchweg die Wirkung von Präventivmaßnahmen wie die Förderung der Vereinigungsfreiheit und des Zugangs zu wirksamen Beschwerdemechanismen.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Der Bericht schätzt die Zahl der von Zwangsarbeit betroffenen (erwachsenen) Menschen dabei auf 27,6 Millionen, von denen 13 Prozent im Landwirtschaftssektor ausgebeutet werden. Erwartet wird, dass diese Zahl aufgrund eskalierender Krisen wie dem Klimawandel, geopolitischer Instabilität und steigenden Lebenshaltungskosten weiter ansteigt.
Anfällig für Zwangsarbeit ist die Lebensmittelindustrie besonders aufgrund der Art der benötigten Arbeit. So ist der Anbau von Pflanzen arbeitsintensiv, und die Verarbeitung von Lebensmitteln erfordert häufig gering qualifizierte, manuelle Arbeit, was dazu führt, dass gefährdete Gruppen, wie Minderheiten und Wanderarbeiter, in diesem Sektor überrepräsentiert sind.
Lieferkettenmanagement: Eine Frage der Entscheidung
Wie lassen sich diese Ergebnisse interpretieren? Ist eine effektive Kontrolle der eigenen Lieferketten für Lebensmittelunternehmen vielleicht zu komplex und entsprechend gar nicht möglich, oder ist es eine Frage des Willens und Aufwands?
Ganz klar Letzteres!
Es gibt gangbare Wege, Menschenrechtsrisiken in den Lieferketten zu minimieren. Einige Vorreiter der Branche, wie der bereits erwähnte Bio-Lebensmittelhersteller Sunopta, machen es vor. Das kanadische Unternehmen, dessen Produktpalette pflanzenbasierte Lebensmittel und Getränke wie Hafermilch, Sojaprodukte, Säfte und Limonaden sowie obstbasierte Snacks umfasst, zählt in vielen nachhaltigkeitsrelevanten Bereichen zu den Top-Performern und hat das Thema Lieferkettenmanagement bereits vor einigen Jahren priorisiert. ESG-Ziele werden seither zunehmend in das Lieferkettenmanagement integriert, um ökologische und soziale Risiken zu mindern.
Ein wichtiger Baustein dabei ist der strenge Lieferantenkodex des Unternehmens, der Umwelt- und Sozialstandards für alle Geschäftspartner festlegt. Dieser wird jährlich aktualisiert und enthält unter anderem Vorgaben zu Arbeitsbedingungen und der Sicherheit am Arbeitsplatz, zur Einhaltung allgemeiner ethischer und rechtlicher Vorschriften sowie zu Prozessen und Verfahren. Um sicherzustellen, dass die Lieferanten diese Vorgaben auch tatsächlich einhalten, hat Sunopta deren Kontrolle institutionalisiert.
So sind regelmäßige persönliche Besuche bei Lieferanten ein fester und entscheidender Bestandteil des Lieferketten-Managements. Diese beinhalten nicht nur die Qualitätskontrolle der Inhaltsstoffe und die Untersuchung der Hygienepraktiken der Fabriken und des Personals, sondern zielen auch darauf ab, zu überprüfen, ob dokumentierte Standards und Programme vor Ort korrekt umgesetzt werden. Ergänzend finden in relevanten Abteilungen turnusmäßig Schulungen statt, die zentrale Inhalte des Lieferantenkodex vermitteln und die Mitarbeiter:innen befähigen sollen, dessen Einhaltung systematisch zu überwachen.
2022 hat Sunopta sein Instrumentarium im Bereich Lieferkettenmanagement noch um ein weiteres Element ergänzt und ist seither Mitglied von SEDEX (Supplier Ethical Data Exchange) – der weltweit führenden Plattform und Community für Unternehmen, die sich für ethische Geschäftspraktiken in ihren Lieferketten einsetzen. Hier werden Informationen über soziale und ethische Standards ausgetauscht und regelmäßig überprüft, um Arbeitsbedingungen, Umweltschutz und Geschäftspraktiken in der gesamten Lieferkette zu verbessern und mehr Transparenz zu schaffen.
Basics für eine „saubere“ Lieferkette
Die Implementierung eines durchdachten Managementsystems, dazu ein umfassender, strenger und verbindlicher Verhaltenskodex für Lieferanten – inklusive Kontrollmechanismen wie regelmäßige Audits vor Ort – sowie ein hoher Anspruch an sich selbst und der Wille zur Weiterentwicklung: So lässt sich das Basisinstrumentarium grob umreißen, das Unternehmen benötigen, um Menschenrechtsrisiken in der eigenen Lieferkette effektiv zu minimieren.
Und so oder so ähnlich gehen es auch andere Unternehmen an, die als Vorreiter (nicht nur) bei diesem Thema eingeschätzt werden können. Dazu zählen zum Beispiel auch die auf Milchprodukte spezialisierte Schweizer Emmi-Group und der in Bremerhaven beheimatete Tiefkühlkost-Hersteller Frosta AG.
Transparenz- und Nachhaltigkeitsanforderungen wachsen
Wagen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft: Die Lieferketten der Lebensmittelindustrie sind oft lang und komplex. Das macht es in der Tat schwierig, Transparenz und Nachhaltigkeit entlang der gesamten Kette zu gewährleisten. Unmöglich ist es aber nicht und schon ernsthafte Versuche, sich an bestehenden Benchmarks und den skizzierten Best Practice-Beispielen zu orientieren, könnten zu großen Fortschritten im Kampf gegen Zwangsarbeit und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse führen.
Dass sich die Situation mittelfristig verbessern wird, ist erfreulicherweise sehr wahrscheinlich. Ursächlich dafür ist aber nicht die plötzliche Einsichtigkeit der Unternehmen, sondern wachsende Transparenz- und Nachhaltigkeitsanforderungen diverser Stakeholder und eine – unter anderem im Rahmen des europäischen Green Deals – zunehmende Regulatorik, die Unternehmen letztlich zwingen wird, höhere Standards zu gewährleisten.
Was Investor:innen tun können
Unsere abschließende Empfehlung für alle, die in die Nahrungsmittelbranche investieren möchten: Wenn Sie sicherstellen möchten, nur in Unternehmen zu investieren, die Menschenrechtsrisiken in ihren Lieferketten ernst nehmen, schauen Sie genau hin, nutzen Sie, zusätzlich zu den unternehmenseigenen Nachhaltigkeitsreports, unabhängige Informationsquellen wie Berichte von NGOs und achten Sie bei der Wahl eines Fondsanbieters unbedingt darauf, dass dieser Nachhaltigkeit fest in seinem Kerngeschäft verankert hat und das Thema nicht nur für das Marketing nutzt.
Über die Autoren
Natalie Kobiolka ist Senior Sustainability Analyst und Referentin der Geschäftsführung bei der Green Growth Futura GmbH. Das Hamburger Unternehmen berät Vermögensverwalter, Family Offices und Stiftungen bei nachhaltigen Investments. Zudem verantwortet es das Nachhaltigkeitsresearch für den B.A.U.M. Fair Future Fonds.
Moritz Heitmüller verantwortet den Bereich Marketing und Kommunikation der Green Growth Futura GmbH.