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Nationalismus statt Integration Warum Europa jetzt unattraktiver für Anleger wird

In Amerika ist es üblich, sich gegenüber Fremden immer mit Namen und Herkunftsland vorzustellen. Also zum Beispiel „Henry Miller, Arizona“. Der erste Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, wollte das nachmachen. Wenn er seine Kollegen vorstellte, nannte er bei jedem auch das Herkunftsland. Das waren bei ihm aber nicht die Nationalstaaten, sondern schlicht „Europe“. Der Chefvolkswirt etwa hieß Otmar Issing, Europe.

Das hat manch einen Besucher aus Übersee irritiert. Europa war doch keine Heimat. Es war aber die Zeit, in der der Kontinent noch eine viel stärkere Bindungskraft hatte. Diese Euphorie ist verloren gegangen. Heute klingt das anders. Der deutsche Finanzminister Scholz sagt ohne Umschweife: „Der deutsche Finanzminister ist der deutsche Finanzminister“, auch wenn er in Brüssel ist. Sein Kollege aus Den Haag, Wopke Hoekstra, verweist ganz unverblümt allein auf den Nutzen für die Niederlande, nach dem er europapolitische Vorschläge beurteilt.

„Kopernikanische Wende“

Das ist eine kopernikanische Wende. Europa ist nicht mehr die Gemeinschaft, die primär um des Friedens, der gemeinsamen Werte und der gemeinsamen Geschichte und Kultur gewollt wird. Sie ist auf dem Weg zu einer Zweckgemeinschaft, die die Interessen seiner Mitglieder in der Welt besser durchsetzt. Wenn es dem eigenen Volk nutzt, ist man für Europa, wenn nicht, dann eben nicht. Großbritannien tritt aus, weil es glaubt, seine Interessen allein besser zu vertreten. Der Nationalismus treibt auch in Europa seine Blüten.

Martin Hüfner, Assenagon AM

Das zeigt sich auch auf anderen Gebieten. In letzter Zeit haben sich – von der Öffentlichkeit wenig beachtet – einige Mitglieder der Gemeinschaft zu regionalen Gruppen zusammengeschlossen. Sie wollen damit ihren Interessen größere Durchsetzungskraft verleihen. Zuletzt wurde hier die „Hanseatische Liga“ gebildet.

Ihr gehören – unter Führung der Niederlande – die Länder Irland, Finnland, das Baltikum sowie Schweden und Dänemark an. Sie machen sich gerade einen Namen durch ihre Opposition gegen die deutsch-französischen Pläne zur Reform des Euroraums. Da reden auch die Nicht-Euro-Länder Schweden und Dänemark kräftig mit.

Verteidigung und Flüchtlinge

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Bereits seit längerem gibt es die Gruppe „Visegrád V4“. Ihr gehören Polen, Ungarn, die tschechische Republik und die Slowakei an. Ihnen geht es vor allem um die Verteidigungs- und Flüchtlingspolitik. Sie haben bereits eine gemeinsame Kampftruppe aufgestellt und unterhalten eine gemeinsame Botschaft in Südafrika.

»Keine Angst, Europa fällt nicht auseinander.«

Manche empfinden auch Deutschland und Frankreich als eine solche Gruppe. Dem widersprechen Berlin und Paris allerdings vehement. Sie verstehen sich – nicht unbescheiden – nicht als Interessenvertreter, sondern als „Herz Europas“. Gemeinsame Interessen gibt es auch unter den südeuropäischen Ländern. Eine formelle Gruppe ist daraus aber nicht entstanden, jedenfalls bisher nicht.

Großer Wert auf kleine Länder

Eigentlich ist es keine Überraschung, dass sich in einer Gemeinschaft von 27 Ländern mit unterschiedlichen Interessen Gruppen bilden. Koalitionen gab es immer schon. Dass sich diese aber zu Blöcken verfestigen, ist neu. Er hat verschiedene Gründe. Einer ist, dass die „Großen“, vor allem Deutschland und Frankreich, im Vertrauen auf ihr Gewicht offenbar zu wenig Rücksicht auf die Kleineren nehmen.

Diese fühlen sich überfahren. Sie sehen ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt. Das ist eine Gefahr, die in der Gemeinschaft von Anfang an bestand. Der deutsche Bundeskanzler Kohl hatte, in der damals noch kleineren Gemeinschaft, stets großen Wert auf die Zustimmung der kleineren Mitglieder gelegt.

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