Riesige Diskrepanz Natixis-Studie: So viel Rendite erwarten Anleger - und das versprechen die Profis
Die Inflation ist und bleibt hoch. Die Zinsen sind zurück (und werden wohl noch ein Weilchen bleiben). Die Rezession kommt, da sind sich die meisten einig. Oder kommt sie doch nicht? Auf den Finanzmärkten herrscht eine Unsicherheit, die sich vom Profi bis zum Privatanleger durchzieht. Was sie eint ist eine gedämpfte Stimmung angesichts der ins Stocken geratenen Weltkonjunktur. Dennoch bleibt der Großteil der Investoren zuversichtlich, was die langfristige Geldanlage angeht. Einige sogar zu zuversichtlich, zumindest mit Blick auf die erhoffte Rendite.
Das zeigt eine Erhebung des Vermögensverwalters Natixis Investment Managers (IM), die gemeinsam mit Coredata Research erstellt wurde. Befragt wurden 8550 Privatanleger in 23 Ländern und Regionen, unter anderem Nordamerika und Europa.
Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie im Überblick:
- Trotz der anhaltenden Inflation und eines sich verändernden Marktumfelds bleiben mehr als zwei Drittel der 8.550 befragten Privatanleger weltweit optimistisch in Bezug auf ihre Investitionen.
- Die Anleger haben weiterhin hohe Renditeerwartungen, wobei deutsche Anleger sogar eine Rendite von 10,1 Prozent erwarten – und zwar on top auf die Inflation. Professionelle Anleger aus Deutschland halten dagegen 7,0 Prozent für realistisch.
- Obwohl viele Anleger die Wichtigkeit von professioneller Beratung in der heutigen Marktsituation anerkennen, glauben mehr als die Hälfte (51 Prozent) von ihnen, dass sie keinen Finanzberater brauchen, um ihr Geld anzulegen.
- Die am meisten gewünschten Beratungsleistungen sind Finanzplanung und Altersvorsorge.
- Nur 2 Prozent der Teilnehmer wussten, wie steigende Zinsen ihre Anleihen beeinflussen.
- Die größte finanzielle Sorge der Anleger sind steigende Lebenshaltungskosten, gefolgt von unerwarteten großen Ausgaben, Steuererhöhungen und Arbeitsplatzverlust.
- Inflation ist eine große Sorge für mehr als die Hälfte der Anleger, und viele glauben, dass sie mehr investieren müssen, um die Inflation auszugleichen. Allerdings sparen nur 32 Prozent tatsächlich mehr.
- Neben der Inflation sehen 38 Prozent der Anleger eine Rezession als größtes Risiko für ihr Portfolio, gefolgt von Marktvolatilität und steigenden Zinsen.
- Trotz der Unsicherheit über die Auswirkungen steigender Zinsen auf Anleihen glauben 47 Prozent der Anleger, dass Anleihen im Jahr 2023 besser abschneiden könnten als Aktien, woraufhin 46 Prozent ihre Allokation in Anleihen erhöht haben.
- Ungeachtet der mitunter zweistelligen Verluste der meisten großen Indizes im vergangenen Jahr berichteten die Befragten, dass sie im Durchschnitt eine positive Rendite von 1,9 Prozent erzielten, wobei australische Anleger mit 4,3 Prozent an der Spitze standen und deutsche Anleger mit 0,9 Prozent am unteren Ende.
Wunsch und Wirklichkeit bei der Geldanlage
Einer der interessantesten Aspekte der Natixis-Studie sind die Rendite-Erwartungen der Anleger – und die dagegengesetzte Einschätzung der Finanzprofis.
Global gesehen rechnen Anleger langfristig mit einer durchschnittlichen Rendite, die 12,8 Prozent über der Inflation liegt. Angesichts der aktuellen Inflationsraten ist das ein beachtlicher Wert.
In Deutschland gehen Anleger von einer Rendite aus, die 10,1 Prozent über der Inflation liegt, was unter Berücksichtigung der aktuellen Inflationsrate einer realen Rendite von mehr als 15 Prozent entspricht. In den USA gehen Anleger von einer Rendite aus, die sogar 15,6 Prozent über der Inflationsrate liegt, was basierend auf dem langfristigen Inflationsziel von etwa 2,25 Prozent eine durchschnittliche jährliche Gesamtrendite von mehr als 18 Prozent bedeutet.
Auffällig ist die die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Anleger und den Prognosen der Finanzberater. Während die deutschen Anleger 10,1 Prozent mehr Performance erwarten, seien 7,0 Prozent über der langfristigen Inflationsrate realistisch, so die deutschen Profis. Damit sind sie in guter Gesellschaft: US-amerikanische Profi-Investoren sehen den Wert ebenfalls bei 7,0 Prozent, in Australien sind es 6,9 Prozent, in Italien 6,3 Prozent, in Spanien 7,6 Prozent, in Großbritannien 6,2 Prozent.
Und dennoch hat sich das Verhältnis zwischen Wunsch und Prognose verbessert. Im Jahr 2021 erwarteten Anleger Renditen von 14,5 Prozent über der Inflation, während Finanzberater 9 Prozent für realistisch hielten, was eine Lücke von 61 Prozent ergab. Heute sind die Erwartungen der Anleger auf 12,8 Prozent über der Inflation gesunken, was jedoch immer noch 42 Prozent über den 9 Prozent liegt, die Berater für realistisch halten. Am größten ist die Diskrepanz mit 123 Prozent in den USA. Australien folgt mit der zweitgrößten Lücke von 81 Prozent, während Singapur mit 2 Prozent die geringste Lücke aufweist.
„Für uns als aktiver Manager ist es daher jetzt umso wichtiger, unsere Kunden bei der Überprüfung ihrer individuellen Vermögensallokation und Risikobereitschaft zu begleiten“, sagt Patrick Sobotta, Vertriebsleiter für Deutschland, Österreich & Zentralosteuropa bei Natixis IM. „Der Dialog zwischen Kunde und Finanzberater ist neben einem gut diversifizierten Portfolio eine wichtige Voraussetzung, um das eigene Vermögen auch in einem volatilen Marktumfeld geschickt zu managen.”
Finanzberater bleibt die Nummer eins
In Anbetracht einer neuen und ungewohnten Anlageumgebung, die mit vielen Ängsten und Sorgen beladen ist, erkennt ein Großteil der Anleger, dass sie professionelle Unterstützung brauchen. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) sagen, dass die hohe Inflation die Bedeutung professioneller Finanzberatung für sie hervorgehoben hat.
Jedoch suchen sie mehr als nur Anlageberatung und Portfolio-Management. Sie wünschen sich Unterstützung in nahezu allen Bereichen, von der umfassenden Finanzplanung über die Ruhestandsplanung bis hin zur Steuereffizienz und Nachlassplanung.
Die Person, der sie am meisten vertrauen, ist ihr Finanzberater. Bei der Frage, wem sie bei finanziellen Entscheidungen vertrauen, sagen Anleger, dass sie ihrem Finanzberater (91 Prozent) genauso sehr vertrauen wie sich selbst (91 Prozent) und ihm mehr vertrauen als ihrer Familie (74 Prozent) und engen Freunden (62 Prozent). Im Grunde genommen suchen die meisten von ihnen nach einer vertrauensvollen Beziehung.
Am anderen Ende des Vertrauensspektrums stehen die weniger persönlichen Quellen der Finanzberatung. Weniger als ein Fünftel der Anleger (17 Prozent) sagt, dass sie den sozialen Medien bei der Finanzberatung vertrauen, während nur 39 Prozent sagen, dass sie Algorithmen vertrauen, die ihnen Ratschläge geben. Überraschenderweise ist die Zahl der jüngeren, technikaffinen Anleger, die sagen, dass sie diesen Optionen vertrauen, relativ gering. Unter den Millennials vertrauen weniger als ein Viertel (24 Prozent) den sozialen Medien, bei den Algorithmen sind es 47 Prozent.
Ein falsches Verständnis von Indexfonds
Das letzte Jahrzehnt war wie auf einem ruhigen Meer zu segeln, getrieben von einer sanften Brise. Niedrige Zinsen und eine geringe Volatilität haben Aktien in die Höhe getrieben und so eine goldene Ära für Indexfonds geschaffen. Seit dunkle Wolken aufgezogen und die See rauer geworden sind (Covid-Krise, Ukrainekrieg, gestiegene Inflation) zeigt sich, dass viele Anleger ein falsches Verständnis von Indexfonds haben.
So glauben viele der Befragten (61 Prozent), dass passive Indexfonds weniger riskant sind als andere Anlagen. Ein Trugschluss. „Indexfonds sind so konzipiert, dass sie kein eingebautes Risikomanagement haben. Sie kaufen einfach alle Wertpapiere innerhalb eines Index“, so die Studie.
Ungeachtet des Marktabschwungs im letzten Jahr glauben zwei Drittel (66 Prozent), dass Indexfonds ihnen helfen, ihre Verluste zu minimieren - eine Annahme, die nicht der Realität entspricht. Dies deutet darauf hin, dass ein Großteil der Anleger nur einen Teil des Gesamtbildes von passiven Anlagen versteht: Sie erkennen an, dass Indexfonds in Phasen steigender Märkte Marktrenditen generieren, lassen dabei jedoch außer acht, dass sie in Phasen fallender Märkte ebenso Verluste erleiden.
Knapp 6 von 10 der Befragten (59 Prozent) schätzen zudem die weitreichende Diversifikation, die Indexfonds bieten und sie nehmen an, dass diese Fonds ihnen die besten Investitionsmöglichkeiten auf dem Markt eröffnen. Allerdings ist zu bedenken, dass Indexfonds eine Beteiligung an den besten, aber auch an den weniger vorteilhaften Marktchancen mit sich bringen.
ETFs im Fokus
Die deutsche Angst vor der Inflation
Die Inflation und die damit verbundenen steigenden Lebenshaltungskosten sind eine globale Sorge, die Anleger auf der ganzen Welt betrifft. Besonders in Ländern wie Argentinien und Uruguay (84 Prozent) ist die Angst vor der Inflation aufgrund der extrem hohen Inflationsraten besonders ausgeprägt.
In Deutschland ist diese Sorge ebenfalls groß, wobei mehr als zwei Drittel (71 Prozent) der befragten Anleger höhere alltägliche Kosten als eine ihrer größten finanziellen Sorgen nennen. Diese Sorge ist vor allem auf die drastischen Energiepreiserhöhungen zurückzuführen, die Deutschland infolge des russischen Einmarsches in der Ukraine im Jahr 2022 erlebt hat. Trotz eines Rückgangs der Kraftstoffpreise um 10,4 Prozent im Jahresvergleich bleibt die Inflation hoch, angetrieben von einem Anstieg der Lebensmittelpreise um 16,8 Prozent. Mit einer Inflationsrate von 6,3 Prozent im April erlebt Deutschland derzeit die höchste Inflation in seiner Nachkriegsgeschichte. In den USA sind 65 Prozent der Bevölkerung wegen der emporgeschnellten Inflation besorgt.
Es gibt jedoch auch Länder, in denen die Inflation nicht die größte Sorge der Bevölkerung ist. Eines davon ist Japan. Dort rangiert die Inflation mit 25 Prozent hinter anderen wirtschaftlichen Bedenken wie einer Rezession, die 42 Prozent der Befragten als ihre größte Sorge nennen. Auf dem zweiten Platz folgt die Angst vor Krieg (39 Prozent).
Ähnlich verhält es sich in Hongkong, wo die Anleger besorgter über die Marktvolatilität sind (41 Prozent) als über die Inflation (38 Prozent). Diese Unterschiede unterstreichen die Vielfalt der wirtschaftlichen Bedingungen und Sorgen weltweit.
Inflation verändert Sparverhalten
Die Umfrage von Natixis Investment Managers zeigt, dass die Inflation die Bevölkerung weltweit nicht nur umtreibt, sondern auch einen erheblichen Einfluss auf die finanziellen Entscheidungen der Anleger hat.
So erkennen 76 Prozent der Anleger, dass sie aufgrund steigender Kosten mehr sparen müssen. Allerdings setzen nur 32 Prozent dies tatsächlich um. Darüber hinaus glauben 60 Prozent der Befragten, dass sie mehr investieren müssen, um die Auswirkungen der Inflation auszugleichen.
Das wirkt sich auch auf die langfristige finanzielle Planung aus. Zwei Drittel (66 Prozent) der Befragten gaben an, dass die höhere Inflation ihre Möglichkeiten, für den Ruhestand vorzusorgen, erheblich einschränkt. Rund jeder Zweite (55 Prozent) gab an, aufgrund der gestiegenen Alltagskosten wie Benzin, Miete oder Lebensmittel weniger Geld sparen und somit auch weniger investieren zu können.
Angesichts dieser Herausforderungen erkennen mehr als zwei Drittel der Anleger (68 Prozent) die Bedeutung professioneller Finanzberatung an, um ihnen bei der Navigation durch die Auswirkungen der Inflation zu helfen.
Ratlosigkeit um Anleihen
In einem Umfeld steigender Zinsen haben Anleihen ein bemerkenswertes Comeback erlebt. Der Grund dafür ist, dass höhere Zinsen die Renditen von neu ausgegebenen Anleihen erhöhen, was sie für Anleger attraktiver macht. Insbesondere für konservative Anleger, die nach stabilen und vorhersehbaren Erträgen suchen, sind Anleihen in einem solchen Umfeld häufig die erste Wahl.
Darüber hinaus bieten Anleihen eine gewisse Absicherung gegen Marktvolatilität und wirtschaftliche Unsicherheit. Daher haben viele Anleger ihre Allokation in Anleihen erhöht, um von den höheren Renditen zu profitieren und gleichzeitig ihr Portfolio zu diversifizieren und zu stabilisieren.
Doch wie verhalten sich Anleihen überhaupt im neuen Zinsumfeld? Diese Frage sorgte beim Großteil der befragten Anleger für Fragezeichen, wie die Natixis-Umfrage zeigt. Nur eine kleine Minderheit der Anleger – 2 Prozent beziehungsweise 171 von 8.550 Befragten in 23 Ländern – konnten die richtige Antwort geben: Bei steigenden Zinsen sinkt der aktuelle Wert der Anleihen, während das zukünftige Ertragspotenzial steigt.
Darüber hinaus gab eine beachtliche Anzahl (30 Prozent) zu, keine Ahnung zu haben (Antwortoption: „I don‘t know). Diese Ergebnisse unterstreichen das weit verbreitete mangelnde Verständnis für die komplexe inverse Beziehung zwischen Zinssätzen und Anleiherenditen. Immerhin: Die meisten Befragten gaben an, mehr über die Auswirkungen von Zinsänderungen auf Anleihen verstehen zu wollen.
Am besten schnitten übrigens Taiwan (5 Prozent korrekt) und Hongkong (4 Prozent) ab. Australien, Niederlande, Italien, Chile, Großbritannien, Kolumbien und Peru liegen mit jeweils 1 Prozent auf dem letzten Platz.
Anleger riskieren (zu) viel
Die Jagd nach hohen Renditen bedeutet in der Regel, dass man sich einem größeren Risiko und einer höheren Marktvolatilität aussetzt. Viele Anleger sind bereit, dieses Risiko einzugehen, in der Hoffnung, hohe Renditen zu erzielen. Allerdings gestehen 44 Prozent der Anleger der Umfrage zufolge ein, dass sie mehr Risiken eingehen, als sie eigentlich sollten. Das könnte problematisch werden, insbesondere bei volatileren Märkten.
Die Untersuchung zeigt auch: Tatsächlich würden 74 Prozent der Anleger weltweit die Sicherheit ihrer Anlagen der Performance vorziehen, wenn sie die Wahl hätten (mehr hier: Die 20 Fonds mit dem besten Rendite-Risiko-Profil).
In den vergangenen Jahren haben niedrige Zinssätze und andere geldpolitische Maßnahmen zu großen Marktgewinnen geführt. Aber die aktuell hohe Inflation, steigende Zinsen und zunehmende Unsicherheit haben die Volatilität erhöht. Während viele Anleger die Volatilität als Chance für den Vermögensaufbau sehen, gibt es auch viele, die sie mit Sorge betrachten. Mehr als ein Viertel (26 Prozent) der Anleger gibt an, dass die Volatilität sie nachts wach hält, und 38 Prozent sagen, dass sie aufgrund der hohen Volatilität nicht mehr besorgt sind.