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Sal. Oppenheim exklusiv: „Volkswirte sind auch politische Berater“

Norbert Braems (li.), Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim,<br>und Lars Edler, Leiter Asset Allocation
Norbert Braems (li.), Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim,
und Lars Edler, Leiter Asset Allocation
DAS INVESTMENT.com: Früher hieß es immer ‚Politische Börsen haben kurze Beine‘. Das scheint heutzutage nicht mehr so zu sein.

Lars Edler: Wir sind in einer Phase, in der politische Risiken die fundamentalen Daten zu weiten Teilen überdecken. Das war vor Lehman nicht so. Dass das gleich ein Paradigmenwechsel ist, bezweifle ich.

DAS INVESTMENT.com: Sie müssen immerhin mehr politische Nachrichten lesen als vor fünf Jahren.

Norbert Braems: Ja. In der letzten Krise war eher der Finanzmarkt das Thema. Auch der konnte ganze Volkswirtschaften beeinflussen und sogar in die Tiefe reißen. Dasselbe gilt heute für die Politik. Wir lesen viel mehr aus der EU und achten auf Entscheidungen vom Bundesverfassungsgericht.

Edler: Wir haben aber nicht immer politische Börsen. Die Schwierigkeit besteht darin zu erkennen, wann Politik in den Hintergrund tritt und Unternehmensdaten in den Vordergrund rücken.

DAS INVESTMENT.com: Gibt es ein Patentrezept?

Edler: Wenn wir das hätten, wäre es die halbe Miete. Es kann immer wieder unerwartet eine Entscheidung aus der Politik kommen, die für die Märkte wichtig ist. Das macht die Sache ja so komplex. Im Januar haben alle auf die Eurozone geschaut und sich gewundert, warum die Aktienkurse stiegen. Dabei ist beispielsweise in den USA eine überraschend gute Berichtssaison gelaufen. Dazu kam ein ganzer Schwung guter Wirtschaftsdaten. Die Fragen lauten nun: Wie lange hält die gute Stimmung, und wann gibt es wieder eine relevante Entscheidung aus der Politik?

DAS INVESTMENT.com: Sind Politiker zu stark geworden, oder hat nur die Wirtschaft versagt?

Braems: Wir müssen genau hinsehen. Auch früher haben politische Entscheidungen die Börse durchaus beeinflusst. Weil sie die Wirtschaftsentwicklung verändert haben. Ich denke da an die Reagan-Ära, in der Wirtschaft und Börse in den achtziger Jahren aus der Krise gekommen sind. Heute sind allerdings die Zusammenhänge deutlich stärker und direkter. Hohe Renditen in Italien haben dafür gesorgt, dass Berlusconi aus dem Amt flog. Die neue Regierung hat dagegen die Märkte wieder etwas beruhigt. Märkte treiben Politiker, und Politiker treiben Märkte.

DAS INVESTMENT.com: Demnach sind Politiker nicht zu stark sondern zu schwach.

Braems: Ja, sie haben lange Zeit nur auf Märkte geschaut und reagiert.

Edler: Dadurch ist eine Vertrauenskrise entstanden, die zum Teil die enorme Volatilität der Märkte erklärt. Das hätte vermieden werden können, wenn man schon zu Beginn der Krise viel beherzter zugepackt hätte.

DAS INVESTMENT.com: Wie denn?

Edler: Man hätte von Anfang an sagen müssen: Der Euro bricht nicht auseinander, wir stehen zusammen, wir tun alles, um die Eurozone zu schützen, egal was es kostet. Darauf hatten die Märkte sehr lange gewartet, aber es kam nicht.

Braems: Hinzu kommen handwerkliche Fehler. Man hat vergessen, dass Griechenland nicht nur Konsolidierung sondern auch Wachstumshilfe braucht. Und heute weiß man gar nicht, wie man das Land noch nachhaltig stabilisieren soll.

DAS INVESTMENT.com: Durch Austritt aus dem Euro.

Braems: Lieber durch Mittel aus dem Strukturfonds als eine Art Marshall-Plan. Die wären damit besser eingesetzt gewesen und hätten Vertrauen in Markt und Bevölkerung geschaffen. Das ist alles verspielt.