Im Super-Sportjahr Nike-Aktie am Boden: Das sind die Gründe für den Absturz des Sportartikelgiganten
Es ist ein Sommer ganz im Zeichen des Sports: Fußball-EM, Tour de France, Olympia. Trotzdem ist der Sportartikel-Überflieger Nike ist ins Trudeln geraten. Während Rivalen wie Adidas und Asics von Großereignissen und Post-Corona-Boom profitieren, steckt der Weltmarktführer aus den USA in der wohl schwersten Krise seiner Historie.
Wie konnte es so weit kommen – ausgerechnet im Supersportjahr 2024, das Nike eigentlich massiv in die Karten spielen müsste? Die Gründe sind ebenso vielschichtig wie ernst. Und sie haben nur bedingt mit Konjunktur und Inflation zu tun.
Nike im Abwärtstrend – die nackten Zahlen
Der jüngste Paukenschlag: Am 27. Juni stürzte die Nike-Aktie im US-Handel um rund 20 Prozent ab, nachdem das Unternehmen eine Umsatzwarnung ausgegeben hatte. Konzernchef John Donahoe rechnet nicht mit einer baldigen Trendwende. Im bis zum 31. Mai 2025 laufenden neuen Geschäftsjahr dürften die Erlöse im mittleren einstelligen Prozentbereich zurückgehen, im ersten Quartal sogar um satte 10 Prozent.
Damit setzt sich Nikes Negativtrend fort. Schon in den Vorquartalen hatte der Sportgigant mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen. Im vierten Quartal 2023/24 schrumpften die Erlöse um knapp 2 Prozent auf 12,6 Milliarden US-Dollar. Über das Gesamtjahr konnte Nike den Umsatz gerade mal um magere 1 Prozent auf 51,4 Milliarden US-Dollar steigern.
Besonders alarmierend: Die operative Marge sank im abgelaufenen Geschäftsjahr von 14,4 auf 13,2 Prozent. Zwar konnte Nike den Nettogewinn dank Kostensenkungen und niedrigerer Steuern um 12 Prozent auf 5,7 Milliarden Dollar steigern. Doch der Margenrückgang zeigt: Der Preisdruck nimmt zu, die Profitabilität leidet.
An der Börse ist der einstige Überflieger längst auf dem harten Boden der Realität gelandet. Seit Jahresbeginn hat die Nike-Aktie rund 30 Prozent an Wert eingebüßt. Vom Allzeithoch im November 2021 bei über 150 Euro ist nicht mal mehr die Hälfte übrig.
Konsumflaute? Nicht für alle ein Problem
Zwar leiden viele Konsumgüterhersteller derzeit unter den steigenden Preisen und der Kaufzurückhaltung vieler Verbraucher. Doch es gibt bemerkenswerte Ausnahmen: So vermeldete etwa Asics zuletzt ein Umsatzplus von über 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal sowie einen Rekordgewinn. Die Aktie des lange unterschätzten Japan-Konzerns schoss seit Jahresbeginn um rund 90 Prozent nach oben.
Auch der deutsche Konkurrent Adidas schlägt sich in diesem herausfordernden Umfeld bislang achtbar. So liegt der Aktienkurs seit Jahresbeginn mit über 15 Prozent im Plus. Was also ist los bei Nike?
Darum schwächelt Nike: Die Hauptgründe
1. Verschärfter Wettbewerb durch Trendmarken
Ein entscheidender Faktor ist der massive Konkurrenzdruck, gerade in Nikes Kernsegment – dem Sneakermarkt. Hier punkten nun vor allem junge, hippe Marken wie On Running (vom Schweizer Tennisstar Roger Federer unterstützt) oder Hoka, eine Tochter von Deckers Outdoor. Deren Fokus auf federleichte Dämpfungsschuhe und einen progressiven Performance-Lifestyle trifft voll den Nerv der Kunden. Nike hat dem bisher wenig entgegenzusetzen.
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2. Innovationsstau und verpasste Trends
Es mag verwundern, galt Nike doch jahrzehntelang als Inbegriff von Innovation und stilprägender Design-Kompetenz. Doch ausgerechnet in diesem Bereich offenbart der Branchenprimus nun erstaunliche Schwäche. Doch hier liegt ein weiteres Problem: Die einstige Vorreiterrolle ist Nike offenbar abhandengekommen. Selbst der Erzrivale Adidas ist mit seinen Retro-Designs derzeit angesagter als der Platzhirsch.
3. Strategische Fehler im Vertrieb
Dazu kommen hausgemachte Schwächen, die sich nun doppelt rächen: So setzte Nike lange auf einen immer weiter ausgebauten Direktvertrieb über eigene Stores und Online-Shops. Eine riskante Strategie, wie die schwachen E-Commerce-Zahlen zeigen. Der Konzern rudert inzwischen zurück und umgarnt wieder stärker den Groß- und Einzelhandel.
4. Mangelnde Diversifizierung
Ein möglicher Schwachpunkt könnte in der Fokussierung von Nikes Sortiment auf Sportschuhe und -bekleidung liegen. Andere Konzerne, wie etwa der deutsche Wettbewerber Adidas, scheinen hier breiter aufgestellt zu sein und bieten möglicherweise mehr Produkte im Bereich Streetwear und Freizeitmode an.
5. Imageschäden durch Zulieferer-Skandale
Und noch etwas kommt Nike teuer zu stehen: Der Reputationsverlust durch die seit Jahren schwelenden Vorwürfe von Kinderarbeit, Zwangsarbeit und mangelndem Arbeitsschutz in asiatischen Produktionsstätten. Der Ruf der Marke hat bereits gelitten. Nun muss der Konzern aufpassen, dass sich die kaufkräftige Generation Z nicht dauerhaft abwendet.
Kann sich Nike aus der Krise befreien?
Angesichts der aktuellen Probleme stellt sich die Frage, wie Nike wieder in die Erfolgsspur zurückfinden kann. Trotz der Herausforderungen verfügt der Konzern weiterhin über bedeutende Stärken: Die Marke Nike zählt laut dem jährlichen Ranking „Best Global Brands“ von Interbrand zu den wertvollsten Marken der Welt. Im Jahr 2023 belegte Nike hier Platz neun mit einem geschätzten Markenwert von 53,45 Milliarden US-Dollar – eine Steigerung um knapp 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Um die aktuelle Krise zu überwinden, müsste es Nike gelingen, an frühere Erfolgsrezepte anzuknüpfen und seine einstige Vorreiterrolle durch echte Produktinnovationen neu zu definieren. Hier könnte sich der Konzern an der Erfolgsgeschichte von Rivalen wie On orientieren, denen der Aufstieg in die Spitzengruppe auch ohne massive Investitionen ins teure Sportsponsoring gelang. Eine Verlagerung von Budgets zugunsten von Forschung und Entwicklung könnte ein gangbarer Weg sein.
Zu groß zum Scheitern – aber die Zeit drängt
Noch aber scheint der Branchenprimus zu groß und finanzstark, um dauerhaft ins Straucheln zu geraten. Die Aussichten auf eine Rückkehr zu alter Stärke stehen nicht schlecht. Allerdings muss sich Nike sputen. Denn die Verfolger lauern schon – und sie holen auf.