Die Sonne Hawaiis, der Duft reifer Ananas, das Rauschen des Pazifiks – für Henrik Stille sind das mehr als ferne Urlaubsträume. Es sind Erinnerungen an den ungewöhnlichen Start seiner Karriere, die ihn an die Spitze des europäischen Pfandbriefmanagements führen sollte.

Dabei begann alles mit einer schnörkellosen E-Mail. „Es muss das Jahr 1997 gewesen sein“, erinnert sich Stille. „Ich hatte gerade ein Modem bekommen und war zum ersten Mal im Internet unterwegs. Und irgendwie kam ich auf die Website von Dole Fruit, die damals auf der Suche nach Trainees waren. Ich wollte unbedingt in die USA, also schickte ich eine Bewerbung ab. Das war meine erste E-Mail überhaupt“, so der in Schweden geborene Anleihenmanager.

Nur einen Tag später – „damals hat man noch Antworten auf E-Mails bekommen“ –  landete bereits die Bestätigung in seinem Postfach. Stille, damals 21 Jahre alt, zog es nach Hawaii, genauer gesagt auf die Insel Oahu mit ihrer größten Stadt Honolulu. Drei bis vier Monate sollte der Kurztrip ursprünglich dauern, quasi ein verlängerter Sommerurlaub mit etwas Arbeit. Am Ende wurden es drei prägende Jahre, in denen er sich nicht nur im Wellenreiten versuchte, sondern auch erste Erfahrungen mit Derivaten und internationalem Handel sammelte. Um Preisrisiken abzusichern, musste er einschätzen, wie viel Obst wann zu welchem Preis verfügbar sein würde – eine Aufgabe, die strategisches Denken und Reaktionsschnelligkeit erforderte.

Von Hawaii nach Kopenhagen

Doch so exotisch die Welt des Fruchthandels auch sein mag, Stille spürte, dass seine Zukunft woanders lag. Er kehrte zurück nach Europa und stürzte sich ins Wirtschaftsstudium, wo er seine Leidenschaft für die komplexe Welt der Finanzmärkte entdeckte. Der Weg führte ihn zunächst ins Private Banking, doch schnell wurde klar: „Kunden immer wieder zu erklären, warum Anleihen fallen, wenn die Zinsen steigen – das war nicht mein Ding“, erinnert sich Stille schmunzelnd.

Seine wahre Liebe fand er in einem Nischenmarkt, der damals noch ein Schattendasein fristete: Covered Bonds, auf Deutsch Pfandbriefe. Diese speziellen Schuldverschreibungen, die von Banken ausgegeben und durch Hypotheken oder öffentliche Kredite besichert werden, begeisterten Stille. „Pfandbriefe sind einzigartig“, schwärmt er noch heute. „Sie bieten ein Maß an Sicherheit, das sonst kaum eine Anleihe erreicht – und trotzdem genug Renditepotenzial, um spannend zu bleiben.“ 

2006 startete er in der Pfandbriefabteilung von Nordea AM in Kopenhagen. Heute, fast zwei Jahrzehnte später, verantwortet der Schwede ein neunköpfiges Team mit Portfolios im Wert von rund 40 Milliarden Euro und hat sich als Experte für die einzigartige Assetklasse einen Namen gemacht. In mehr als 200 Jahren gab es bei Pfandbriefen keinen einzigen Ausfall, was ihre Zuverlässigkeit und Stabilität nur weiter unterstreicht.

Zugegeben, das klingt nicht besonders aufregend. Manch einer würde sogar sagen: langweilig. „Natürlich sind Pfandbriefe extrem sicher“, räumt er ein. „Aber das heißt nicht, dass man als Manager die Füße hochlegen kann.“

Im Gegenteil: Um in diesem Markt erfolgreich zu sein, braucht es laut Stille eine Mischung aus Weitsicht und Detailversessenheit. „Du musst das große Ganze im Blick haben, aber gleichzeitig jede noch so kleine Marktbewegung registrieren. Nur dann findest du die Ineffizienzen, die dir die entscheidenden Basispunkte extra bringen.“

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Ein wichtiges Tool zur Generierung von Alpha ist die relative Value-Analyse zwischen Ländern, Emittenten und einzelnen Schuldverschreibungen. Mitunter würden die Bewertungen zwischen verschiedenen Währungen oder Ländern auseinanderklaffen, ohne dass es dafür fundamentale Gründe gebe. „Wenn wir solche Divergenzen frühzeitig erkennen, können wir uns diese Ineffizienzen zunutze machen.“

Das Schöne an diesem Segment: Trends in der Finanzbranche mögen kommen und gehen, Zinsen steigen oder sinken, Spreads sich weiten oder verengen – der Pfandbriefmarkt hat seine eigenen Regeln. Und die spielen den aktiven Managern derzeit in die Hände: „Aktuell rentieren Pfandbriefe fast auf dem Niveau von Unternehmensanleihen, und das bei geringerem Risiko und besserer Bonität. Das ist historisch einmalig“, erklärt Stille. „Viele Emittenten mussten sich 2023 am Markt refinanzieren, um günstige EZB-Kredite aus der Pandemiezeit zurückzuzahlen. Dadurch entstand vorübergehend ein Überangebot, das die Spreads ausgeweitet hat. Jetzt dreht sich der Trend, und es ergeben sich gute Chancen für aktive Manager.“

Wie Dänemark zum Pfandbriefzentrum wurde

Nordea mit seinem Hauptsitz in Kopenhagen ist einer der wichtigsten Player im internationalen Covered- Bond-Business. Doch wie kommt es, dass das kleine Königreich Dänemark im Norden Europas überhaupt zum Epizentrum der Pfandbriefwelt wurde? Das liegt zum einen daran, dass der dänische Markt enorm groß und liquide ist –  mit einem ausstehenden Volumen von rund 450 Milliarden Euro liegt er weltweit auf Platz eins, noch vor dem schwedischen. Zum anderen gibt es eine Besonderheit, die es sonst nirgendwo gibt: das „Match Funding Principle“.

Dieses Prinzip schreibt vor, dass Covered Bonds in Laufzeit und Verzinsung genau mit den zugrunde liegenden Hypothekenkrediten übereinstimmen müssen. „Wenn eine dänische Bank variabel verzinste Darlehen vergibt, kann sie diese nur mit ebenso variabel verzinsten Covered Bonds refinanzieren“, erklärt Stille. „Diese strikte Regel gilt so nur in Dänemark. In anderen Ländern haben die Emittenten deutlich mehr Spielraum.“ Für Investoren bedeutet das Match Funding Principle ein zusätzliches Maß an Sicherheit. „Das Risiko eines Zinsänderungsschocks wird minimiert“, sagt Stille. 

Stille und sein Team bei Nordea beschränken sich aber nicht allein auf Dänemark. „Wir sind in allen wichtigen europäischen Covered- BondMärkten aktiv, von Schweden über Deutschland bis Portugal. Aber Dänemark ist für uns natürlich ein Kernsegment.“ 

Dabei nutzt Stille auch die tiefe Expertise, die sich Nordea über Jahrzehnte im dänischen Markt aufgebaut hat. „Wir haben hier ein enormes Analysekapital und verstehen die Mechanismen und Eigenheiten des Markts wie kaum ein anderer Investor“, sagt er nicht ohne Stolz. „Das ermöglicht es uns, Chancen zu erkennen und zu nutzen, die anderen verborgen bleiben.“ 

„ETFs verschenken bares Geld“

Und der Markt ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wenn es um die Zukunft des globalen Covered-Bond-Markts geht, hat Henrik Stille einen klaren Favoriten: Kanada. „Die Kanadier haben ihr Covered- Bond-Gesetz erst 2012 verabschiedet, aber seitdem geht es steil bergauf“, sagt er. „Tatsächlich ist Kanada mit einem Marktvolumen von rund 140 Milliarden Euro inzwischen die Nummer acht weltweit – und da ist noch viel Luft nach oben. Denn bislang refinanzieren die dortigen Banken nur einen Bruchteil ihrer Hypotheken über Covered Bonds.“ Großes Potenzial sieht er auch in Australien, Neuseeland, Singapur und Südkorea. „Diese Länder haben alle jüngst die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Covered Bonds geschaffen, und die ersten Emittenten stehen schon in den Startlöchern.“ 

Die Zeichen stehen in den kommenden Jahren also auf Wachstum. Und hinzu kommt: Während der Großteil der Branche den zunehmenden Druck der ETFs zu spüren bekommt, blickt Stille recht entspannt auf die passive Konkurrenz. „Im Gegensatz zu Aktien ergibt es bei Covered Bonds keinen Sinn, einfach einen Index nachzubilden“, erklärt er. Denn ein Großteil des Geschäfts finde im Primärmarkt statt. Heißt: Wenn Banken neue Anleihen emittieren, bieten sie meist eine Renditeprämie, um Investoren anzulocken. Diese Prämie könne durchaus 10 bis 15 Basispunkte betragen. „Als aktiver Manager können wir diese Prämien mitnehmen, indem wir direkt bei Emission kaufen“, sagt er. ETFs hingegen seien auf die monatliche Indexanpassung angewiesen. Zu diesem Zeitpunkt seien die Neuemissionen aber oft schon teurer geworden. „Durch das Warten auf den Stichtag verschenken ETFs bares Geld“, bringt es Stille auf den Punkt. 

Wenn Henrik Stille heute auf seine Karriere zurückblickt, muss er schmunzeln. Der Weg vom Ananas-Trader in Hawaii zum Pfandbrief-König in Dänemark – das ist die Art von Lebensgeschichte, die man nicht erfindet. Und die ihren Anfang nahm im hohen Norden, auf der Erdbeerfarm seiner Eltern im schwedischen Helsingborg. „Ich habe es irgendwie mit Obst, vielleicht erklärt das auch die Sache mit der Ananas“, sagt Stille mit einem herzhaften Lachen