Nvidia hat im zweiten Quartal seines Geschäftsjahres 2024 erneut Rekordergebnisse erzielt. Der Umsatz stieg um 122 Prozent auf 30 Milliarden US-Dollar, angetrieben durch den anhaltenden Boom bei Künstlicher Intelligenz (KI). Der Nettogewinn legte um 168 Prozent auf 16,6 Milliarden US-Dollar zu. Nvidia hat also wieder abgeliefert. Doch trotz dieser herausragenden Zahlen fiel die Aktie nachbörslich um bis zu 8 Prozent. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?
Erwartungen extrem hoch
Die Erwartungen an Nvidia sind inzwischen außergewöhnlich hoch. Analysten hatten im Schnitt mit einem Umsatzplus von 112 Prozent gerechnet. Nvidia übertraf diese Prognosen zwar, aber offenbar nicht deutlich genug. Zudem reagierten die Anleger enttäuscht, dass Nvidia beim Ausblick lediglich im Rahmen der Markterwartungen blieb, statt diese zu übertreffen.
Zweifel am weiteren Wachstum
Viele Investoren sind zudem mittlerweile skeptisch, ob die Nvidia-Zahlen den extremen Börsenwert von mehr als drei Billionen US-Dollar weiter nach oben treiben können oder ob das künftige Wachstum bereits optimistisch eingepreist ist. Zum Vergleich: Apple und Microsoft, die anderen Mitglieder des Drei-Billionen-Dollar-Clubs, werden in diesem Jahr laut Prognosen 390 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 280 Milliarden US-Dollar umsetzen. Nvidia wird zwar erstmals die 100-Milliarden-Dollar-Grenze beim Umsatz überschreiten, liegt aber immer noch weit hinter diesen Tech-Giganten zurück.
Nvidia meldete zudem erstmals einen leichten Rückgang der Bruttomarge im Vergleich zum Vorquartal von 78,4 auf 75,1 Prozent. Auch das nährte Zweifel, ob die rasante Marktdurchdringung im bisherigen Tempo weitergehen kann.
Trotz dieser Bedenken zeigt Nvidia weiterhin Zuversicht in die eigene Zukunft. Das Unternehmen kündigte ein massives Aktienrückkaufprogramm in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar an. Diese Maßnahme unterstreicht das Vertrauen des Managements in die langfristige Geschäftsentwicklung und könnte als positives Signal für Investoren interpretiert werden. Dennoch scheint dies die kurzfristigen Bedenken der Anleger nicht vollständig zu zerstreuen.
Sind die Erwartungen an generative KI zu hoch?
Denn einflussreiche Beobachter wie Jim Covello, Chefanalyst von Goldman Sachs, warnen mittlerweile davor, dass „die Erwartungen an generative Künstliche Intelligenz weit höher sind als diese derzeit zu leisten vermag. Die Fortschritte beim Entwickeln und Anwenden der Modelle sind demnach nicht so stark wie ursprünglich erhofft.“
Derzeit ersetze „teure Technik“ vor allem niedrig bezahlte Tätigkeiten. Es sei deshalb fraglich, ob sich die viel beschworenen Produktivitätszuwächse auch tatsächlich einstellen oder der Weg dorthin nicht doch viel länger ist als gedacht.
Auch der immense Energieverbrauch beim Trainieren und Anwenden von KI bereite ihm Sorgen. Prognosen gehen davon aus, dass bis Ende des Jahrzehnts allein in den USA zwanzig Prozent des Energieverbrauchs auf Rechenzentren entfallen könnten – ein Zuwachs, der selbst mit dem Ausbau erneuerbarer Energien in Rekordtempo nicht befriedigt werden kann.
Zögern bei der Einführung generativer KI
Eine von Microsoft beauftragte deutschlandweite Civey-Umfrage unter 1.500 Industrie-Entscheidern zeigt: 37,3 Prozent von ihnen sind überzeugt, dass generative KI den digitalen Wandel in ihren Unternehmen beschleunigen kann. Allerdings zögern nach wie vor viele Unternehmen, generative KI einzusetzen. Nur 22,3 Prozent der Befragten gaben an, dass generative KI bei ihnen schon im Einsatz ist. Erstaunlich hoch ist mit 55,7 Prozent der Anteil der Unternehmen, die den Einsatz aktuell noch gar nicht planen.
Besonders kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) schätzen den Effekt der generativen KI wenig optimistisch ein: Nur 23 Prozent der Entscheider aus diesem Bereich glauben, dass KI ihren digitalen Wandel beschleunigen wird - im Vergleich zu 52,4 Prozent bei Großunternehmen.
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Trotz der Skepsis am Markt bleibt Nvidia-Chef Jensen Huang optimistisch. Er betont, dass der Boom noch lange nicht vorbei sei und auch die kommenden Jahre prägen werde. Huang ist überzeugt, dass die derzeitigen auf Computerprozessoren basierenden Rechenzentren alle auf Grafikprozessoren aufgerüstet werden müssen. „Wir stehen am Anfang unserer Reise zur Modernisierung von Rechenzentren im Wert von einer Billion Dollar, die von der allgemeinen Datenverarbeitung auf beschleunigte Datenverarbeitung umgestellt werden muss“, so Huang.
Geschäftsmodelle der KI-Anbieter
Ein weiterer Aspekt, der Anleger verunsichern könnte, sind die Geschäftsmodelle der KI-Anbieter. Während Cloud-Anbieter wie Microsoft, Amazon oder Google von der Vermietung von KI-Rechenkapazität profitieren, stehen viele Sprachmodell-Anbieter unter finanziellem Druck. Viele haben sich wegen hoher Ausgaben und im Vergleich dazu geringer Einnahmen mittlerweile unter das Dach von Big Tech gerettet. Die Frage bleibt, ob deren Kunden das Geld für das KI-Wettrüsten auf Dauer zur Verfügung steht.
Fazit
Nvidia liefert weiterhin spektakuläre Wachstumszahlen dank des KI-Booms. Doch die Erwartungen sind derart hoch, dass selbst kleinste Abweichungen die Aktie abstürzen lassen können. Der immense Börsenwert ist zugleich zur schweren Bürde geworden.
Anleger fragen sich zunehmend, wie lange das Wachstum des Unternehmens in diesem Tempo weitergehen kann. Experten warnen zudem, dass die Erwartungen an generative KI aktuell überzogen sein könnten. Viele Unternehmen, besonders KMUs, zögern noch mit der Einführung.
Als Schwergewicht bewegt Nvidia den gesamten Tech-Sektor. Die weiteren Entwicklungen bei Nvidia und generativer KI dürften spannend bleiben – aber der Weg ist wohl steiniger als von vielen erhofft.

