Finanzexperte Jan Viebig
Das Dilemma der Notenbanken
Jan Viebig ist Investmentchef der Privatbank Oddo BHF. Foto: Oddo BHF
Die Notenbanken stecken in einer ungemütlichen Lage: Die hohe Inflation erfordert eine Verringerung der Geldmenge und zügige, entschiedene Erhöhungen der Leitzinsen. Gleichzeitig müssen sie Liquidität schaffen, um Banken und Finanzmärkte zu stabilisieren. Ein klassischer Zielkonflikt.
Die jetzige Lage löst bei vielen Beobachtern Erinnerungsschübe an die Finanzkrise von 2008/2009 aus. Dabei sind beide Krisen nur bedingt vergleichbar. Gerade deshalb ist es wichtig, genau nachzuvollziehen, was im Augenblick geschieht. In der Phase niedriger Zinsen haben viele Banken – in den USA, aber auch in Europa – kurzfristige Einlagen angenommen und diese in langfristige Anleihen angelegt. Doch seit Monaten steigen die Renditen und die Anleihekurse fallen.
Die Kennzahlen der Banken sehen gut aus
Die aktuelle Bankenkrise ist eine klassische Vertrauenskrise. Auf dem Papier stehen die meisten Banken gut da. Die Eigenkapitalausstattung hat sich seit der Finanzkrise...
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Die jetzige Lage löst bei vielen Beobachtern Erinnerungsschübe an die Finanzkrise von 2008/2009 aus. Dabei sind beide Krisen nur bedingt vergleichbar. Gerade deshalb ist es wichtig, genau nachzuvollziehen, was im Augenblick geschieht. In der Phase niedriger Zinsen haben viele Banken – in den USA, aber auch in Europa – kurzfristige Einlagen angenommen und diese in langfristige Anleihen angelegt. Doch seit Monaten steigen die Renditen und die Anleihekurse fallen.
Die Kennzahlen der Banken sehen gut aus
Die aktuelle Bankenkrise ist eine klassische Vertrauenskrise. Auf dem Papier stehen die meisten Banken gut da. Die Eigenkapitalausstattung hat sich seit der Finanzkrise 2008 verbessert. Die Bankenaufseher achten besonders auf das harte Eigenkapital, das auch als Common Equity Tier 1 Capital (CET1) bezeichnet wird. Für die US-Banken insgesamt weist die Einlagensicherung (FDIC) für Ende 2022 eine Kernkapitalquote von 9,0 Prozent aus. Für die Banken des Euroraums berichtete die EZB Anfang Februar, dass die Eigenkapitalausstattung nach CET1-Quote bei 10,4 Prozent der risikogewichteten Aktiva liege.
In den USA haben viele Banken, auch die Silicon Valley Bank, Einlagen der Kunden im hohen Maße langfristig in Anleihen angelegt, ohne das Zinsänderungsrisiko abzusichern. Werden diese bis zum Laufzeitende gehalten (Held to maturity), dann werden die Wertverluste der Anleihen nach geltenden Rechnungslegungsvorschriften nicht in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen. Die unrealisierten Verluste mindern auch nicht das Eigenkapital der Banken nach den geltenden Vorschriften. Bei den US-Banken beliefen sich die gesamten unrealisierten Verluste im Wertpapierbestand Ende 2022 nach Angaben der FDIC auf 620 Milliarden Dollar. Diesen nicht realisierten Verlusten steht ein Eigenkapital von etwa 2,1 Billionen Dollar gegenüber.
Politik will Bank Run verhindern
Eine Folge der Vertrauenskrise ist, dass die Anleger Einlagen bei Banken abziehen und in Geldmarktfonds anlegen. In den vier Wochen bis zum 15. März verloren die US-Banken – vor allem die kleinen – etwa 191 Milliarden Dollar an Einlagen. Umgekehrt verzeichneten Geldmarktfonds im 4-Wochen-Zeitraum bis zum 22. März 312 Milliarden Dollar an Zuflüssen (siehe folgende Grafik). Damit sind wir von einer Flucht aus dem Bankensystem noch weit entfernt. Dennoch bemühen sich Politik und Aufsichtsbehörden mit Nachdruck, einem Bank Run vorzubeugen. Sie haben Garantien für Einlagen bei Banken abgegeben und Programme zur Liquiditätssicherung der Banken aufgelegt wie das Bank Term Funding Program (BTFP) in den USA.
Die andere Seite des Dilemmas der Notenbank ist die nach wie vor hohe Kerninflation, die ohne die volatilen Energie- und Lebensmittelpreise berechnet wird. In den USA lag diese Ende Februar bei 5,5 Prozent. Gleichzeitig zeigt sich der Arbeitsmarkt stark mit einer Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent und 10,8 Millionen offenen Stellen bei 5,9 Millionen Arbeitslosen. In der Eurozone lag die Kerninflation Ende Februar bei 5,6 Prozent und die Arbeitslosenquote Ende Januar bei 6,7 Prozent. Damit liegt die Kerninflation, an der die Notenbanken ihre Geldpolitik ausrichten, weiter über dem Ziel von 2 Prozent.
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