Finanzexperte Jan Viebig
Das Dilemma der Notenbanken

Finanzexperte Jan Viebig
Die jetzige Lage löst bei vielen Beobachtern Erinnerungsschübe an die Finanzkrise von 2008/2009 aus. Dabei sind beide Krisen nur bedingt vergleichbar. Gerade deshalb ist es wichtig, genau nachzuvollziehen, was im Augenblick geschieht. In der Phase niedriger Zinsen haben viele Banken – in den USA, aber auch in Europa – kurzfristige Einlagen angenommen und diese in langfristige Anleihen angelegt....
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Die jetzige Lage löst bei vielen Beobachtern Erinnerungsschübe an die Finanzkrise von 2008/2009 aus. Dabei sind beide Krisen nur bedingt vergleichbar. Gerade deshalb ist es wichtig, genau nachzuvollziehen, was im Augenblick geschieht. In der Phase niedriger Zinsen haben viele Banken – in den USA, aber auch in Europa – kurzfristige Einlagen angenommen und diese in langfristige Anleihen angelegt. Doch seit Monaten steigen die Renditen und die Anleihekurse fallen.
Die aktuelle Bankenkrise ist eine klassische Vertrauenskrise. Auf dem Papier stehen die meisten Banken gut da. Die Eigenkapitalausstattung hat sich seit der Finanzkrise 2008 verbessert. Die Bankenaufseher achten besonders auf das harte Eigenkapital, das auch als Common Equity Tier 1 Capital (CET1) bezeichnet wird. Für die US-Banken insgesamt weist die Einlagensicherung (FDIC) für Ende 2022 eine Kernkapitalquote von 9,0 Prozent aus. Für die Banken des Euroraums berichtete die EZB Anfang Februar, dass die Eigenkapitalausstattung nach CET1-Quote bei 10,4 Prozent der risikogewichteten Aktiva liege.
In den USA haben viele Banken, auch die Silicon Valley Bank, Einlagen der Kunden im hohen Maße langfristig in Anleihen angelegt, ohne das Zinsänderungsrisiko abzusichern. Werden diese bis zum Laufzeitende gehalten (Held to maturity), dann werden die Wertverluste der Anleihen nach geltenden Rechnungslegungsvorschriften nicht in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen. Die unrealisierten Verluste mindern auch nicht das Eigenkapital der Banken nach den geltenden Vorschriften. Bei den US-Banken beliefen sich die gesamten unrealisierten Verluste im Wertpapierbestand Ende 2022 nach Angaben der FDIC auf 620 Milliarden Dollar. Diesen nicht realisierten Verlusten steht ein Eigenkapital von etwa 2,1 Billionen Dollar gegenüber.
Eine Folge der Vertrauenskrise ist, dass die Anleger Einlagen bei Banken abziehen und in Geldmarktfonds anlegen. In den vier Wochen bis zum 15. März verloren die US-Banken – vor allem die kleinen – etwa 191 Milliarden Dollar an Einlagen. Umgekehrt verzeichneten Geldmarktfonds im 4-Wochen-Zeitraum bis zum 22. März 312 Milliarden Dollar an Zuflüssen (siehe folgende Grafik). Damit sind wir von einer Flucht aus dem Bankensystem noch weit entfernt. Dennoch bemühen sich Politik und Aufsichtsbehörden mit Nachdruck, einem Bank Run vorzubeugen. Sie haben Garantien für Einlagen bei Banken abgegeben und Programme zur Liquiditätssicherung der Banken aufgelegt wie das Bank Term Funding Program (BTFP) in den USA.
Die andere Seite des Dilemmas der Notenbank ist die nach wie vor hohe Kerninflation, die ohne die volatilen Energie- und Lebensmittelpreise berechnet wird. In den USA lag diese Ende Februar bei 5,5 Prozent. Gleichzeitig zeigt sich der Arbeitsmarkt stark mit einer Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent und 10,8 Millionen offenen Stellen bei 5,9 Millionen Arbeitslosen. In der Eurozone lag die Kerninflation Ende Februar bei 5,6 Prozent und die Arbeitslosenquote Ende Januar bei 6,7 Prozent. Damit liegt die Kerninflation, an der die Notenbanken ihre Geldpolitik ausrichten, weiter über dem Ziel von 2 Prozent.
Die Zentralbanken wollten die zu hohe Kerninflation in diesem Jahr herunterführen. Doch die geplanten Zinserhöhungen können sie möglicherweise nicht energisch genug fortsetzen. Zum einen ist die Stabilität im Finanzsystem zu berücksichtigen. Zum andern sind in Europa einige Staaten zu hoch verschuldet. Die hohen Zinssätze könnten diese überfordern. Italien liegt bei einer Schuldenquote von 147 Prozent, Spanien bei 116 Prozent, Frankreich bei 114 Prozent.
Ihr Dilemma haben die Notenbanken zuletzt dadurch gelöst, dass sie die Leitzinsen erhöhen und dem Bankensektor gleichzeitig Liquidität bereitstellen. Die stark gestiegenen Zinsen beginnen nun mit Verzögerung zu wirken. Höhere Zinsen sollen die Wirtschaftsaktivität dämpfen und so die Inflation senken. Damit steigen aber auch die wirtschaftlichen Risiken (Grafik 3).
Wir erwarten keine schwere Rezession, wie wir sie 2009 erlebt haben, als die deutsche Wirtschaft um 5,7 Prozent eingebrochen war. Allerdings halten wir eine technische Rezession für möglich, ein negatives Wirtschaftswachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen. Wir erwarten für das Gesamtjahr 2023 einen schwachen Anstieg der Wirtschaftsleistung.
Anders als während der Subprime-Krise 2008/2009, liegt die Ursache heute nicht in schlechten, mehrfach verpackten Krediten, die nun gefährdet wären. Das Kernproblem sind eine zu lange Duration der Anleiheportfolios der Banken und eine Vertrauenskrise, die zu Bank Runs führen kann. Die Volatilität an den Märkten dürfte hoch bleiben. Deshalb haben wir jüngst die Aktienquote in den Portfolios, die wir betreuen, auf „leicht untergewichten“ gesenkt. Der Schutz des Vermögens unserer Kundinnen und Kunden steht für uns angesichts der höheren Volatilität derzeit im Mittelpunkt.
Wir sind nicht in Aktien der Credit Suisse, Silicon Valley Bank oder in amerikanische Regionalbanken investiert. Wir halten auch keine Aktien der Deutschen Bank, die zuletzt unter Druck geraten sind, und auch keine Aktien anderer europäischer Banken. Generell sind wir in Bankaktien untergewichtet. Unser Anlagestil zeichnet sich dadurch aus, Aktien von Unternehmen zu finden, die nur gering verschuldet sind, die ein solides, gut vorhersehbares Geschäftsmodell aufweisen, die einen zuverlässigen Cash-Flow generieren und die eine starke Position im Wettbewerb mitbringen.
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