Ökonomen kommentieren die Europawahl Keine Katastrophe – aber bedenkliche Folgen im Anflug
Es hätte schlimmer kommen können, trotzdem gibt es keinen Grund zur Freude – so lassen sich die Reaktionen prominenter Marktbeobachter auf die jüngste Europawahl zusammenfassen.
Das Wahlergebnis in Kürze: Stärkste Kraft bei den Wahlen in Deutschland wurde mit vorläufig gezählten 28,9 Prozent der Stimmen erwartungsgemäß die CDU/CSU. Überraschungsvizesieger Die Grünen ließen mit 20,5 Prozent die traditionell stimmgewichtigere SPD (15,8 Prozent) hinter sich. Die rechtspopulistische AfD legte gegenüber der vergangenen Europawahl schwach zu und kam auf 11,0 Prozent der Stimmen. Auf europäischer Ebene werden die christdemokratische Fraktion EVP und die sozialdemokratische S & D nach den europaweiten Stimmauszählungen aller Voraussicht nach auch zusammen auf keine Mehrheit bekommen. Die Parteien des äußeren rechten Spektrums schließen voraussichtlich schwächer ab als von einigen Beobachtern im Vorfeld angenommen. Die Auszählungen in den EU-Staaten sind gegenwärtig noch nicht abgeschlossen.
Der „erwartete Siegeszug der populistischen und euroskeptischen Parteien“ sei ausgeblieben, kommentiert Jörg de Vries-Hippen, Investmentchef europäische Aktien bei Allianz Gobal Investors, den Ausgang der jüngsten Wahlen zum EU-Parlament. Dass die meisten Stimmen auf Europa zugewandte Parteien entfallen seien, stärke „das wachstumsfördernde Fundament der Europäischen Union (EU)“. Der Investmentprofi zeigt sich optimistisch: Mit „weniger populistischem Gegenwind als erwartet“ dürfte sich die Politik auf Europaebene transparenter und kalkulierbarer als zuvor befürchtet gestalten lassen. Auch für die Aktienmärkte zieht de Vries-Hippen ein positives Fazit: Diesen dürfte die nur moderate Unterstützung der europäischen Wähler für populistische Parteien in die Karten spielen: „Mehr politische Stabilität nährt den Optimismus, den Unternehmen brauchen, um zu investieren“, so der AGI-Profi.
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Nicht ganz so zuversichtlich zeigt sich Union-Investment-Mann Frank Engels. Der Leiter Portfoliomanagement hält eine potenzielle Sorge vor einer „Übernahme des EU-Parlaments durch die Populisten“ zwar für übertrieben. Dennoch sei der Wahlausgang ein „Alarmzeichen“ für die Kapitalmärkte: Investoren könnten das insgesamt schlechtere Abschneiden der großen Volksparteien als Hinweis auf ein Ermüden der deutschen großen Koalition aus CDU/CSU und SPD deuten. Auch über die Nachfolge an der Spitze der Europäischen Zentralbank herrsche Unklarheit: Die Nachfolge des scheidenden Chefs Mario Draghi sei nach den Wahlen „offener denn je“, so Engels. Außerdem ein gewichtiges Problem: Die Unsicherheit über den politischen Kurs Europas könnte die Bewertungen an den hiesigen Märkten gegenüber international vergleichbaren Investments drücken. „Es droht eine Populisten-Prämie“, befürchtet Engels. Der Anlage-Profi wünscht sich: „Der Kontinent braucht politische Bewegung und neue Weichenstellungen, soll er wirtschaftlich erfolgreich und somit strategisch attraktiv für Investoren bleiben.“