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Rohstoffe Die Öl-Industrie verdient so viel wie nie zuvor. Und verspielt nun ihre eigene Zukunft

Mit Öl verdient man derzeit noch gutes Geld. Doch viele Experten sind der Meinung, das Geschäft sei ein Auslaufmodell
Mit Öl verdient man derzeit noch gutes Geld. Doch viele Experten sind der Meinung, das Geschäft sei ein Auslaufmodell, da die Konzerne die Transformation in eine nachhaltige Welt aufschieben. | Foto: IMAGO Images / imagebroker

Das Jahr 2022 wird für die Öl-Branche in die Geschichte eingehen: Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine boykottierte der Westen russisches Öl und Gas und benötigte dringend neue Energiequellen. Der Ölpreis schoss daraufhin in die Höhe, die Gewinne bei den Ölkonzernen sprudelten in bislang unerreichte Sphären.

Der französische Energiekonzern TotalEnergies verzeichnete 2022 einen Gewinnanstieg von 28 Prozent auf 20,5 Milliarden US-Dollar, trotz milliardenschwerer Abschreibungen aus dem Russland-Geschäft. Europas größter Ölkonzern Shell erzielte mit 39,9 Milliarden US-Dollar ebenfalls einen Rekordgewinn. Big Business für Big Oil.

Es sind Gewinne, die Anleger jubeln ließen.

Es sind Gewinne, die Joe Biden als „Kriegsgewinne“ bezeichnete.

Und es sind Gewinne, die den Blick auf die Probleme der Zukunft verklären, glauben einige Experten.

Öl-Industrie trifft auf dekarbonisierte Gesellschaft

„Wir erleben vermutlich nur durch den Krieg eine letzte Hausse oder einen sogenannten Super-Zyklus", sagt Mauricio Vargas, Finanzmarktkenner bei Greenpeace. Zwar haben sich die Öl- und Gaspreise mittlerweile wieder etwas stabilisiert, wenn auch auf hohem Niveau. Doch langfristig - das ist der erklärte politische Wille vieler Nationen - wird die Gesellschaft von fossilen Brennstoffen abrücken. Die EU etwa will bis zum Jahr 2050 kein klimaschädliches CO2 mehr ausstoßen. In dieser Welt hat Öl nicht mehr den Stellenwert von heute.

Um dieses Ziel zu erreichen, finden Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft statt. Elektro-Autos sind verglichen mit klassischen Verbrennern noch eine Nische, aber ihr Marktanteil wächst rasant. Immer mehr Haushalte steigen von Öl und Gas auf energiesparende Wärmepumpen um. Wind- und Solarparks setzen den Stromsektor unter Druck.

Noch ist nicht abzusehen, wie schnell dieser Wandel geschehen wird. Doch je mehr E-Autos fahren und Windräder sich drehen, desto geringer wird die Relevanz der Ölindustrie. "Ihre Pläne werden mit einem Wettbewerb konfrontiert, den sie noch nie zuvor gesehen haben", sagt Tom Sanzillo, Leiter der Finanzanalyse des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) gegenüber dem US-Portal „Vox“. "Sie haben keine Grundlage für die Zukunft." Wie Mauricio Vargas glaub auch Sanzillo, dass das derzeitige Gewinn-Niveau der Ölkonzerne nicht von Dauer sein werde.

 

Kehrtwende bei Big Oil

Angesichts von hohen Energiepreisen herrscht in der Branche derzeit Goldgräberstimmung: Der US-Riese Chevron teilte Ende Dezember mit, dass die Ausgaben für die Erschließung neuer Öl- und Gasfelder um zwei Milliarden auf 17 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Damit sich diese Investitionen amortisieren, müsste die Nachfrage nach fossiler Energie in Zukunft noch steigen - was mit dem 1,5-Grad-Ziel nicht vereinbar wäre. Investitionen in erneuerbare Energien werden derzeit meist hinten angestellt und Klima-Initiativen gekappt.

Dabei sah sich die Öl-Industrie noch vor wenigen Jahren selbst als Pionier der Nachhaltigkeits-Transformation. "Das Kohlenstoffbudget der Welt ist endlich und geht schnell zur Neige; wir brauchen einen raschen Übergang zu Netto-Null“, erklärte BP-Chef Bernard Looney im Frühjahr 2020. Damals war der Ölpreis angesichts des jahrelangen Fracking-Booms niedrig und der Druck auf die Konzerne entsprechend groß.

„Wir alle wollen Energie, die zuverlässig und erschwinglich ist, aber das reicht nicht mehr aus. Sie muss auch sauberer sein“, fuhr er fort. Es gehe um „nichts Geringeres als eine Neukonzeption der Energie, wie wir sie kennen.“

Drei Jahre später scheint man angesichts hoher Energiepreise davon nichts mehr wissen zu wollen. Vor wenigen Wochen verkündete BP eine höhere Dividende für seine Aktionäre und erklärte im gleichen Atemzug, dass das Unternehmen seine Zusagen zur Reduzierung der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen zurücknehme. Das sorgte an der Börse für einen neuen Höhenflug.

 

Umweltaktivisten kritisieren Öl-Konzerne

Mit diesem Vorgehen ist das Unternehmen nicht allein. Chevron kündigte ein Rückkaufprogramm im Wert von 75 Milliarden US-Dollar an. Exxon erklärte im Dezember, Aktien im Wert von 50 Milliarden zurückzukaufen. Auch Shell gab zuletzt mehr Geld für Aktienrückkäufe aus, als es in Nachhaltigkeits-Projekte investierte. Gerade einmal 1,5 Prozent der Gesamtausgaben von Shell im Jahr 2021 wurden in Wind- und Solarstromprojekte investiert, berechnet die Umweltorganisation Global Witness.

Jamie Henn, Direktor von Fossil Fuel Free Media, wirft den Öl-Konzernen deshalb Greenwashing vor: „Diese Unternehmen meinen es nicht ernst mit einer sauberen Energiewende.“ Und der ClientEarth-Anwalt Paul Benson erklärt bezogen auf das Unternehmen Shell: „Wenn man unter der Oberfläche kratzt, ist der Anteil der Investitionen, der derzeit in erneuerbare Energien fließt, relativ gesehen verschwindend gering. Auch wenn die Erhöhung der Dividenden und Rückkäufe einige Anleger vorübergehend besänftigen könnte, verpasst der Vorstand eine einmalige Gelegenheit, das Unternehmen für die Energiemärkte der Zukunft zu positionieren.“ Die Chefs der Öl-Konzerne weisen den Vorwurf des Greenwashings von sich.

Hohe Nachfrage nach Öl

An den Kapitalmärkten wird die Zukunft von Öl indes sehr unterschiedlich gehandelt. Einige Player kehren der gesamten Branche den Rücken - etwa ABP, einer von Europas größten Pensionsfonds. Die Manager erklärten bereits vor einiger Zeit, Investitionen in fossile Energie zu unterlassen.

Andere Marktteilnehmer bleiben zuversichtlich. Josh Young von Bison Investments etwa sieht Öl auch dieses Jahr als gutes Investment: „Selbst wenn es einen ziemlich schlimmen Abschwung der Weltwirtschaft gibt, der die Nachfrage um 2 Millionen Barrel pro Tag drückt, was etwas schlimmer wäre als das, was wir in der Finanzkrise von 2008 bis 2009 gesehen haben, könnten wir noch höhere Preise sehen", sagte er im Interview mit Kitco News.

Quelle Fondsdaten: FWW 2023

Trotz aller Kritik liefert Öl derzeit gute Renditen: Der iShares STOXX Europe 600 Oil & Gas UCITS ETF (ISIN: DE000A0H08M), der die Wertentwicklung von europäischen Öl- und Gasaktien aus 18 europäischen Staaten abbildet, notiert auf seinem All-Time-High. Die Performance auf ein Jahr liegt bei einem Zuwachs von 23 Prozent.

"Angesichts des knappen Angebots ist die Nachfrage nach Öl und Gas stark, und wir glauben, dass dies auch so bleiben wird", sagte Jeff Miller, Vorstandsvorsitzender von Halliburton, einem der größten Ölfelddienstleister. Das US-Energieministerium hat prognostiziert, dass die Preise für Rohöl der Sorte Brent, der weltweiten Benchmark, in diesem Jahr durchschnittlich 83 Dollar pro Barrel betragen werden - das wäre ein historisch hoher Wert, der jedoch 18 Prozent unter dem Niveau von 2022 liegt. Demzufolge dürften auch die Öl- und Gasunternehmen für 2023 einen Gewinn erwarten, der jedoch unter 2022 liegt.

Auch wenn das Comeback der Öl-Konzerne im vergangenen Jahr beeindruckend war, es wird nicht von Dauer sein, erklärt dagegen Mark-Uwe Falkenhain, Vorstand bei der Geneon Vermögensverwaltung. „Wind- und Solarstrom konnten schon vor dem Ukrainekrieg bei den Entstehungskosten gegenüber Kohle- und Kernkraftstrom konkurrieren. Die durch den Krieg rasant gestiegenen Kosten für Öl und Gas bedeuten jetzt für Wind und Solar den nachhaltigen Durchbruch bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit“, erklärt Falkenhain in einem Gastbeitrag. Fossile Energieträger seien mit Blick auf die Zukunft seiner Meinung nach ein „Auslaufmodell“.

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