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Nachhaltigkeitsexperte Guillaume Mascotto Offenlegungsverordnung verhindert Greenwashing

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Bevor Anforderungen an ESG-Produkte durchgesetzt werden können, müssen sie auf eindeutig festgelegten Definitionen und Kriterien beruhen. Hier wird die Taxonomie sicherlich dazu beitragen, eine regional einheitliche Sprache zu finden. Doch die dahinter liegende Methodik, welche Aktivitäten als nachhaltig einzustufen sind und welche nicht, ist tatsächlich sehr komplex und schwer handhabbar geworden. Auch ist die enorme Fülle an Daten, die Unternehmen und Finanzmarktakteure offenlegen sollen, derzeit noch gar nicht in der nötigen Qualität vorhanden.

Einige der Daten werden wahrscheinlich geschätzt werden, und es ist unklar, ob sie auch geprüft werden müssen. Die Berichte, die große Unternehmen aktuell auf Basis der „non-financial reporting directive“ (kurz: NFRD) erstellen, sind mit den neuen Anforderungen in vielen Fällen noch gar nicht harmonisiert. Die Standardsetzer für die internationalen IFRS-Rechnungslegungsregeln beispielsweise arbeiten hier bereits an entsprechenden Vorgaben, die zu besseren Daten führen sollten. Inwieweit hier eine Anschlussfähigkeit an die EU-Taxonomie gegeben sein wird, bleibt abzuwarten.

Der European Green Deal ist ein ehrgeiziges Projekt. Regulierung tut jedoch gut daran, sich auf die Formulierung von Mindeststandards und Berichtspflichten fokussieren. Wenn die Taxonomie dazu beiträgt, diese zu einer möglichst klaren, einfachen und anwendbaren Systematik weiterzuentwickeln, ist bereits viel erreicht. Fraglich ist jedoch, ob es gut ist, dass der Taxonomie ein so starker Lenkungsanspruch mit auf den Weg gegeben wurde.

Finden die für das Design einer Investmentstrategie so wichtigen Kriterien wie der Zeithorizont, die Umschlagshäufigkeit, der Risikoappetit und die Auswahl des zur Verfügung stehenden Investmentuniversums noch genügend Berücksichtigung – in einer Regulierung mit Lenkungscharakter? Oder kommt es nicht dazu, dass grundsätzlich vernünftige Strategien an den Rand gedrängt werden? Und umgekehrt: Wird nicht ein Run auf taxonomiekonform-gelabelte Wertpapiere eintreten – mit dem Risiko, dass dafür der Anleger am Ende einen zu hohen, sprich: fundamental nicht mehr gerechtfertigten Preis zahlt? Dann könnte der Privatanleger und Pensionsempfänger am Ende gegenteiligen Effekten einer gut gemeinten Regulierung ausgesetzt sein.

Es besteht kein Zweifel, dass Investoren verlässlichere und standardisierte Daten sowie mehr Offenlegung zu wesentlichen ESG-Themen benötigen. Jüngste akademische Meta-Analysen deuten jedoch darauf hin, dass die Offenlegung von ESG-Themen allein die finanzielle Performance nicht beeinflusst.

Deshalb sind EU-Rahmenwerke wie die Taxonomie und die SFDR nützlich, sollten aber den ESG-Integrationsprozess nicht technokratisieren. Vor allem sollten sie Investoren nicht daran hindern, Wertpapiere aus einem ganzheitlichen Blickwinkel zu bewerten. Ökologische, soziale und ökonomische Aspekte sind gegeneinander abzuwägen – das sollten sich die EU-Behörden bei der Auslegung und Weiterentwicklung der Taxonomie vor Augen führen.

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