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in FinanzberatungLesedauer: 6 Minuten

Oliver Pradetto: „Internet ist Tsunami für die Finanzdienstleistungsbranche“

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Web 2.0: Der Kunde ist nie allein


Tatsächlich hat das Internet eine Metamorphose durchlaufen hin zu einem mächtigen sozialen Netzwerk – dem Web 2.0. Der Kunde ist in diesem Netzwerk nie allein. Hinter ihm steht ein Heer weiterer Kunden, die jeden Fehler wahrnehmen und durch das vielfältige Angebot sofort über Alternativen verfügen. Doch jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten: Die Entwicklung des Web 2.0 kann dem Berater genauso positive Effekte bescheren: Ist der Kunde zufrieden mit der Leistung des Beraters, hat er die Möglichkeit seine Macht einzusetzen, um dem Unternehmen unglaublich leicht Massen an weiteren Kunden zuzuführen. Aber was muss ein Berater nun dafür tun, um diese positiven Auswirkungen herbeizuführen?

Eine Erkenntnis haben wir bereits: Der Kunde ist den Anbietern gegenüber außergewöhnlich mächtig. Er entscheidet über ihre Existenz. Die Frage ist also: Wie gehen wir im wirklichen Leben mit mächtigen Menschen um? Mächtige Menschen haben in der Regel weniger Zeit und Bereitschaft, sich mit bestimmten Anliegen zu befassen, als andere. Es ist also wichtig, sich sehr gewissenhaft vorzubereiten, die eigene Sicht bildlich und überzeugend darzulegen und Übertreibungen zu vermeiden.

Viele mögen sich fragen: Wenn wir so machtlos im Internetverkauf sind, warum sich dann überhaupt damit befassen? Wenn das Internet kein leichtes Zusatzgeschäft verspricht, sondern vielmehr hart verdient werden muss, warum sich nicht auf den klassischen, persönlichen Verkauf konzentrieren? Die Antwort wird den Meisten nicht gefallen: Man hat einfach keine Wahl. Die Realität zeigt es: 2007 wurden mehr als 18 Prozent aller Versicherungsabschlüsse über das Internet vereinbart. Hierbei geht es um Abschlüsse, die Kunden ohne Zutun ihres Vermittlers vorgenommen haben. 2008 waren es schon 25 Prozent aller Versicherungsabschlüsse, und 2009 hat diese Zahl deutlich die 30-Prozent-Marke überschritten. Das bedeutet, dass bisher persönlich beratene Kunden jede dritte Versicherung am Vermittler vorbei kaufen.

Kunde sucht auch hochwertige Produkte im Internet

Bedroht ist aber nicht nur der klassische Verkäufer allein. Vielmehr ist es die gesamte Finanzdienstleistungsbranche, die betroffen ist. So ist es für viele überraschend, dass ausgerechnet die Direktversicherer zu den meist bedrohten Unternehmen gehören. Früher ist ein Kunde auf die Internetseite eines Direktversicherers gegangen, hat festgestellt, dass er Geld sparen kann, und hat gewechselt. Doch wie sieht es heute aus? Nachdem der Kunde beim Direktversicherer gerechnet hat, besucht er ein Vergleichsportal, um günstigere Alternativen zu recherchieren. Selbst wenn der Direktversicherer noch immer am günstigsten ist, geht der Kunde nicht zurück auf die Seite des Versicherers, sondern schließt ab, wo er sich gerade befindet – auf der Seite des Vergleichsportals.

Der Direktversicherer muss nun eine Vermittlungsprämie an das Vergleichsportal zahlen, die bis zu viermal höher ist, als eine durchschnittliche Vermittlerprovision. Zudem macht er den Umsatz nur noch in Segmenten, wo er tatsächlich am billigsten – und deshalb womöglich unterkalkuliert ist. Diese absurde Situation hat dazu geführt, dass Direktversicherer mittlerweile versuchen, mit enormen Investitionen eigene Vergleichsportale am Markt durchzusetzen. Die Vermutung liegt nahe zu denken, dies sei nicht weiter dramatisch, wenn man sich in hochwertigen oder komplexen Produktsegmenten engagiert.

Oft geht es im Internet ja lediglich ums Kfz-Geschäft, kleinere Sachversicherungen oder Tagegelder. Diese machen ohnehin mehr Arbeit und bieten wenig Gewinn. Diese Geschäfte aufzugeben, ist verschmerzbar und in den hochwertigeren Segmenten schließt der Kunde nicht so schnell im Internet ab, oder? Tatsächlich sieht die Realität anders aus. Die Berufsunfähigkeit gehört beispielsweise nach Stückzahlen zu den fünf am häufigsten im Internet abgeschlossenen Versicherungen. Auch Rente, Riesterrente, Fondspolice und Risikoleben finden sich noch unter den Top 15 bei den Online-Abschlüssen. Bei intensiver Recherche wird man für nahezu jeden Zweig der Finanzdienstleistungsbranche ähnlich überraschende Ergebnisse vorfinden.

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