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Die Nachhaltigkeitswende in der Finanzbranche erklärt (2025)

Der Klimaschutz scheint in öffentlichen Debatten nur noch eine Nebenrolle zu spielen, während die Regulierung nachhaltiger Investments immer komplexer wird. Gleichzeitig zeigt die Finanzindustrie Anzeichen einer neuen Ernsthaftigkeit beim Thema ESG. Wir haben vier Experten zum Gespräch gebeten: Kilian Minderlein (Erste Asset Management), Pay Fahlbusch (AXA Investment Managers), Ron Große (Nord LB) und Alexander Brechler (Candriam).
DAS INVESTMENT: Im TV-Duell vor einigen Wochen zwischen Scholz und Merz ging es 90 Minuten darum, wer der bessere Kanzler sei – aber es gab keine einzige Frage zum Klima. Spielt das Thema im öffentlichen Diskurs überhaupt noch eine Rolle?
Alexander Brechler: Das Thema spielt definitiv noch eine Rolle, allerdings eine kleinere als in den vergangenen Jahren. Ich habe mir spaßeshalber einige Wahlprogramme angeschaut und Schlagworte gezählt: Das Wort "Klimaschutz" kam bei den großen fünf Parteien etwa 15 Mal vor. Das Wort "Wirtschaft" tauchte sieben Mal häufiger auf, "Kriminalität" sogar 18 Mal. Klimaschutz ist erkennbar in den Hintergrund geraten, wobei es zwischen den Parteien natürlich Unterschiede gibt.
Wenn wir auf das Jahr 2050 schauen, in dem wir klimaneutral sein wollen – wer treibt diese Veränderung stärker voran: die Politik oder die Finanzbranche?
Ron Große: Ich würde sagen, es sind vor allem die Unternehmen. Wir haben in den letzten Jahren viel diskutiert, ob die Banken den größten Hebel haben, weil sie die Transformation finanzieren. Aber im Kern geht es darum, die Transformation in die Köpfe der Menschen zu bringen. Wir brauchen echte Unternehmer, die etwas unternehmen! Wenn ich mir die Diskussionen in Fernsehsendungen anschaue, sehe ich selten Unternehmer, die tatsächlich transformieren.
Besonders unsere Hidden Champions, unsere Mittelständler mit langfristigem Commitment, sind diejenigen, die die Transformation vorantreiben können. Politiker oder Banker sind vielleicht fünf oder zehn Jahre in entscheidenden Positionen. Die Frage ist: Haben wir uns etwas vorgemacht? Die müssen wir uns alle stellen – auch in der Finanzbranche.
Die Politiker schaffen natürlich den regulatorischen Rahmen, während Investoren den Unternehmen das Geld zum Wachstum geben. In den USA erlebt man gerade eine Art Rolle rückwärts bei ESG. Trennt sich nun die Spreu vom Weizen?
Kilian Minderlein: Ich würde schon unterscheiden: Wer meint es wirklich ernst mit Nachhaltigkeit und wer nicht? Da müssen wir den Verbraucher mit einbeziehen, die Unternehmen und die Politik. Aus vielerlei Hinsicht hapert es an der Kommunikation – also wie nehme ich die Menschen mit, wie erkläre ich gewisse Dinge?
Vor allem vermittelt die Politik oft den Eindruck, von oben herab vorzugehen. Jeder hat eine eigene Komfortzone, und jede Veränderung tut weh. Wir sind in den letzten 40, 50 Jahren in einer energieintensiven Zeit aufgewachsen. Die große Transformation weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien und neuen Technologien ist nicht einfach. Man sieht das an der Diskussion um Verbrennerautos – viele wollen daran festhalten, obwohl E-Mobilität die Zukunft sein wird.
Ich glaube, wir befinden uns gerade in einer entscheidenden Phase, die langfristig die Weichen stellen kann.

Das Lieblingsschlagwort von Kritikern war lange "Greenwashing". Sind wir heute besser aufgestellt als vor drei bis vier Jahren?
Pay Fahlbusch: Auf jeden Fall. Das Thema Greenwashing ist mit Blick auf die neue Regulierung, was die Namensgebung von Produkten angeht, mittlerweile klarer geregelt. Es wird mehr Transparenz geben, welche Produkte wirklich als ESG bezeichnet werden dürfen.
Es gab vielleicht einen gewissen Überschwang in der Vergangenheit, aber ich glaube, die Branche hat daraus gelernt. Die Krise und die Skandale haben uns wachgerüttelt. Mit der neuen Regulierung zur Namensgebung wird die gewünschte Transparenz für den Anleger geschaffen. Die Frage für Investoren wird klarer: Wie stark möchte ich in Nachhaltigkeit investieren? Möchte ich leicht, möchte ich ganz grün, oder etwas dazwischen?
Die Esma-Regeln, Artikel 8 und 9, PAB und viele andere Abkürzungen – alles Dinge, die kaum jemand durchblickt, der sich nicht täglich damit beschäftigt. Führt das wirklich zu mehr Klarheit oder schaffen wir ein bürokratisches Monster?
Minderlein: Ein bürokratisches Monster sind wir schon längst. Die Frage ist nun: Wie machen wir es als Branche, dass der Kunde wieder Lust hat, in nachhaltige Produkte zu investieren? Wenn wir mit Begrifflichkeiten wie PAB um uns werfen, blickt kein Mensch mehr durch. Das geht uns ja selbst schon oft so, dass wir dreimal durchlesen müssen, bevor wir es verstehen. Wenn wir schon Schwierigkeiten haben, wie soll es dann der normale Privatanleger schaffen?
Es ist ein Hindernis, wenn der Berater fragen muss: "Wie nachhaltig soll es sein? Welche ESG-Quote möchten Sie haben?" Im Grunde wissen wir, dass viele Anleger in der Abhängigkeit des Beraters am Ende einfach "Nein" ankreuzen, weil es bequemer ist.
Bei einer Umfrage, die wir mit Beratern gemacht haben, kreuzt ein Großteil bei der Nachhaltigkeitspräferenz „Nein“ an. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Große: Ich habe zwei Perspektiven: die Kundensicht und die Portfoliomanagement-Sicht. Unser Vorteil ist, dass wir relativ früh den Trend erkannt haben. Es war damals einfacher, über Nachhaltigkeit zu reden, bevor die Überregulierung kam.

Das Kernproblem ist, dass wir im ersten Schritt immer den Berater erreichen müssen. Wenn der intensiv mit seinen Kunden über nachhaltige Produkte sprechen kann und das Storytelling beherrscht, ist es einfacher. Aber wenn er es sich einfach macht und fragt: "Frau Müller, wollen Sie nachhaltig anlegen oder nicht?", dann kommt natürlich ein "Nein" zurück.
Ich vermisse manchmal den gesunden Menschenverstand. Wir machen es zum einen zu kompliziert. Zum anderen ist es natürlich schwierig, wenn im Moment andere Produkte gut laufen – Technologie und Rüstung etwa. Da sagen viele: „Ich will mir nicht vom Regulator vorschreiben lassen, was Nachhaltigkeit ist.“
Kurz gesagt: Wir brauchen mehr Einfachheit für die Beratung, mehr Klarheit und weniger Regulierung und Bevormundung.
Nachhaltigkeit ist ja kein monolithischer Block. Wie geht ihr bei Candriam mit kontroversen Themen wie Kernenergie oder Rüstung um?
Brechler: Wir bei Candriam haben ein großes Team, das seit 20 Jahren an dem Thema arbeitet. Wir verlassen uns nicht blind auf externe Ratings, sondern bewerten jedes Unternehmen selbst. Das ist ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann. Seit 2014 tragen wir "Corporate Responsibility Management" in unserem Namen.
Zur Frage: Nachhaltigkeit ist eine sehr persönliche Sache. Jeder würde bei Kernenergie andere Schwerpunkte setzen. Ein französischer Investor sieht das vielleicht anders als ein österreichischer. Deswegen gibt es nicht die eine einfache Antwort. Wir machen Vorschläge im Sinne von Ausschlusskriterien, aber die Umsetzung hängt auch davon ab, ob der Berater überzeugt ist und ob der Fonds entsprechende Richtlinien hat.
Die Axa ist ja ein großer Versicherer. Wie geht ihr mit solchen kontroversen Themen um?
Fahlbusch: Die Axa-Versicherung als unser Mutterkonzern ist global aktiv und sieht über die letzten Jahre immer mehr Klimakrisen: mehr Feuer, mehr Überschwemmungen, mehr Stürme. Das sind am Ende auch einfach finanzielle Schäden, die versichert sein sollen.
Wenn wir auf 2050 blicken und die Temperaturen um 1,5, 2 oder mehr Grad steigen, werden wir in eine Welt kommen, in der immer mehr Schäden durch Klimaphänomene auftreten. Da geht es nicht nur um Marketing unter dem Hashtag "Nachhaltigkeit", sondern tatsächlich ums Überleben des Versicherungsgeschäfts.
Bei kontroversen Themen wie Kernenergie stehen wir als französisches Haus eher offen dazu, während wir andere kritische Bereiche ausschließen.
Als Aktionäre habt ihr ja auch Stimmrechte. Wie nutzt ihr diese, um Unternehmen nachhaltiger zu machen?
Minderlein: In Österreich, wo wir Marktführer sind, haben wir ein ganz anderes Gewicht im Gespräch mit Unternehmen, weil wir oft unter den Top-Aktionären sind. Bei manchen Unternehmen musst du als österreichischer Asset Manager investiert sein, wenn du den ATX einigermaßen abbilden willst. Aber wir reden klar mit ihnen und fragen: Wo könnte die Reise hingehen? Wie könnt ihr grüner werden?
Das Thema Voting nehmen wir sehr ernst und veröffentlichen jedes Jahr, wofür wir abgestimmt haben. Natürlich muss man auch sagen: Wenn es um Amazon oder Apple geht, haben wir bei unserer Größe nicht das Gewicht, dass die auf uns hören. Da schließen wir uns anderen Initiativen an. Aber am Heimatmarkt mit größeren Anteilen ist es deutlich einfacher, Einfluss zu nehmen.
Was wir momentan sehen, ist, dass sich große Asset Manager wie Blackrock aus ESG-Initiativen wieder verabschieden. Da wird deutlich, dass Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit für manche doch nicht so wichtig sind, wie sie vor drei Jahren noch behauptet haben.
Herr Brechler, was haben Sie persönlich über Nachhaltigkeit in der Finanzwelt gelernt, das Sie nicht erwartet haben?
Alexander Brechler: Dass es nicht den einen richtigen Weg gibt. Die Datenlage ist überhaupt nicht homogen, und es gibt viele verschiedene Meinungen, die man vertreten kann, besonders in Europa. Es ist ein sehr komplexes Thema, nicht schwarz-weiß.
Also bleibt es kompliziert. Aber wird es besser?
Große: Ich bin optimistisch, aus mehreren Gründen: Zum einen müssen wir zurück zu mehr Individualität. Um Komplexität zu verringern, hilft es, auf die Kunden individuell einzugehen.
Zum anderen entwickelt sich die Technologie massiv weiter. Wir haben zwar noch einen großen Weg vor uns, aber haben immerhin schon in vielen Bereichen losgelegt.
Und ein dritter Punkt: Die USA sind unglaublich innovativ und technologisch fortschrittlich. Von dort kommen weiterhin beeindruckende nachhaltige Entwicklungen, zum Beispiel im Bereich Batterietechnologie. Ich bin im Kern immer optimistisch.