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Aktualisiert am 07.07.2023 - 10:41 Uhrin Karl PilnyLesedauer: 6 Minuten

Pilnys Asia Insights Thailands Schicksalswahl: Ein Land zwischen Militär und Demokratie

Der Vorsitzende der Move-Forward-Partei Pita Limjaroenrat (rechts) mit dem potenziellen Koalitionspartner, dem Vorsitzenden der Pheu-Thai-Partei Chonlanan Srikaew (links):
Der Vorsitzende der Move-Forward-Partei Pita Limjaroenrat (rechts) mit dem potenziellen Koalitionspartner, dem Vorsitzenden der Pheu-Thai-Partei Chonlanan Srikaew (links): | Foto: Imago Images / ZUMA Wire

Am Sonntag wählten 52 Millionen Wahlberechtigte die nächste Regierung und standen vor einer folgenreichen Entscheidung. Soll das pro-militärische Lager an der Macht bleiben oder die pro-demokratischen Oppositionsgruppen die Zügel in die Hand nehmen? Insgesamt standen 500 Sitze im Unterhaus zur Wahl, davon 400 Sitze in den Wahlkreisen und weitere 100 Sitze auf den Parteilisten, die auf der Grundlage der Wahlergebnisse der Parteien vergeben werden. Bei der Parlamentswahl haben die Oppositionsparteien einen unerwartet deutlichen Sieg errungen.

Parlamentswahl in Thailand: Eingebauter Joker

Das gilt insbesondere für die progressive Bewegung Move Forward. Unter dem 42-jährigen Geschäftsmann Pita Limjaroenrat gilt sie als die liberalste Kraft in Thailand, die zurück zur Demokratie möchte und die Macht des Militärs sowie des Königshauses beschneiden will. Als einzige Partei befürwortet sie eine Revision der drakonischen Gesetze gegen Majestätsbeleidigung und holte 151 Sitze.

An zweiter Stelle liegt mit 141 Sitzen Pheu Thai unter Führung der 36-jährigen Paetongtarn Shinawatra, der Tochter des früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Das Aushängeschild der Partei hatte am 1. Mai einen gesunden Jungen zur Welt gebracht und bis wenige Tage vor der Geburt um Stimmen für ihre Partei geworben. Die Wahlkampfauftritte der hochschwangeren Paethongtarn hatten für großes Aufsehen gesorgt und ihre Popularität weiter gesteigert.

Zusammen mit anderen kleinen Partnern holten die zwei Oppositionsparteien insgesamt 309 Sitze im 500-köpfigen Repräsentantenhaus und kündigten sogleich Gespräche über eine Koalition an. Die angezählten Ex-Generäle und ihre politischen Parteien landeten – zumindest vorläufig – im Abseits. Dennoch ist noch unklar, wer in Thailand die nächste Regierung anführen wird. Nach bevorstehenden langwierigen und schwierigen Koalitionsverhandlungen könnte am Ende womöglich doch wieder ein militärnaher Ministerpräsident an der Spitze stehen.

 

Die oppositionellen Parteien verbindet zwar ihre Abneigung gegen die Regierung des Putschgenerals Prayuth. Doch die Militärs haben 2014 in die Verfassung einen Joker eingebaut. Bei der Wahl des Regierungschefs stimmen neben den 500 demokratisch gewählten Abgeordneten auch 250 vom Militär ernannte Senatoren mit. Die progressiven Parteien müssten mehr als drei Viertel der Sitze im Repräsentantenhaus innehaben, um diese zu überwinden.

So hatte sich Thaksin Shinawatra, der vom Polizeibeamten zum Telekom-Tycoon gewordene Familienpatriarch, schon 2001 mit einem Koalitionspartner eine absolute Mehrheit geholt und war trotzdem leer ausgegangen. Aus dem Exil in Dubai schickte Thaksin 2011 seine jüngere Schwester Yingluck ins Rennen. Sie gewann, durfte ein paar Jahre regieren – und wurde dann durch den zwölften Staatsstreich in der jüngeren thailändischen Geschichte abgeräumt. 

Zwar hat auch die jetzige Armeespitze erklärt, sie werde nicht mehr putschen, doch solche Beteuerungen waren in der Vergangenheit wiederholt missachtet worden. Sobald das Militär, das sich als Garant von Stabilität und „thailändischen Werten“ versteht, sein Machtmonopol gefährdet wähnt, fallen alle Hemmungen.

Umstrittener Artikel in der Verfassung

Auch die Justiz ist kein Garant unabhängiger Rechtsprechung. Wiederholt wurden unliebsame Parteien verboten und dadurch der politische Wettbewerb manipuliert. Das thailändische Wahlgesetz soll vor allem die Macht des Militärs sichern. Das Volk bestimmt zwar 500 Abgeordnete, wobei 400 Parlamentarier direkt in den Wahlkreisen gewählt werden; die restlichen 100 Abgeordneten stammen von den Landeslisten der Parteien. Allerdings reicht es nicht, von 251 Parlamentariern gewählt zu werden, um neuer Regierungschef zu werden. Die Militärjunta hat eben zur Sicherung des Status quo 250 Senatoren ernannt, die neben den 500 Abgeordneten den Premierminister wählen werden.

Und diese sind der Militärjunta treu ergeben: Bei der Wahl 2019 haben 249 von 250 Senatoren für den Ex-General Prayuth Chan-ocha als Regierungschef gestimmt, obwohl schon damals Pheu Thai mit 136 Sitzen stärkste Kraft im Parlament war. Auf Basis der Prognosen wäre eine Regierung von Pheu Thai sowie Move Forward die zwingende Folge der Wahl am 14. Mai. Dafür brauchen sie jedoch Koalitionspartner, um im Parlament mit mindestens 376 Stimmen, also mehr als der Hälfte der 750 Wahlberechtigten, den neuen Regierungschef zu wählen.

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Zwischen den logischen Partnern Pheu Thai und Move Forward steht Artikel 112 des thailändischen Strafgesetzbuches. Gemäß diesem wird jeder Thailänder mit einer Freiheitsstrafe zwischen drei und fünfzehn Jahren bestraft, der die königliche Familie verleumdet, beleidigt oder bedroht. Move Forward will den umstrittenen Artikel ändern, denn König Maha Vajiralongkorn, Oberhaupt der reichsten Monarchie der Welt, hat wegen seiner entrückten Art und seines luxuriösen Lebensstils viele Sympathien verspielt.

Move Forward spricht sich offen für eine Reform des Artikels 112 aus und bringt Pheu Thai damit in eine Zwickmühle. Die Partei sympathisiert zwar mit dem Ansinnen von Move Forward. Allerdings kann sie kaum so weit gehen und sich für Änderungen von Artikel 112 aussprechen.

Denn damit Pheu Thai läuft Gefahr, das Königshaus und die Konservativen gegen sich aufzubringen und eine bereits brisante Ausgangslage weiter zu verschärfen: Paethongtarn stammt aus der Shinawtra-Dynastie, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten die thailändische Politik dominiert und den Zorn des Militärs auf sich gezogen hat.

 

Beim Namen Shinawatra sehen das Königshaus und die Konservativen rot, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Vor Yingluck Shinawatra war zwischen 2001 und 2006 deren Bruder und somit Paethongtarns Vater, Thaksin, thailändischer Regierungschef. Ihm war bei der Wahl 2005 ein echter Erdrutschsieg gelungen. 377 Abgeordnete seiner Partei zogen damals ins Parlament ein. Thaksin war den Konservativen jedoch zu populär, wurde aus dem Amt gejagt, wegen Korruption in Abwesenheit zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt und lebt seitdem im selbstgewählten Exil in Dubai. Laut seiner Tochter ist es ein offenes Geheimnis, dass er nach Thailand zurückkehren will.

Nach der Geburt seines siebten Enkelkindes habe ihr Vater den Wunsch abermals bekräftigt und seinen Wunsch wiederholt, nach annähernd 17 Jahren wieder thailändischen Boden betreten zu dürfen. Paethongtarn muss vorsichtig einen gemäßigten Kurs verfolgen, um ihrem Vater den Traum von der Rückkehr nach Thailand zu erfüllen. Ein Pakt mit der liberalen Partei Move Forward könnte den Plan gefährden.

Pheu Thai erwog daher vor den Wahlen Alternativen, wie zum Beispiel eine Koalition mit der Partei von Ex-General Prawit, um mit seinem Segen Thaksin die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen. Das Dementi folgte zwar umgehend und Paethongtarn betonte, man werde mit niemandem eine Regierung bilden, der an den Staatsstreichen 2006 und 2014 beteiligt gewesen sei. Aber solche Aussagen könnten sich nun nach der Wahl am 14. Mai ändern.

Wirtschaftsboom oder neuer Schuldenberg

Thailands alte Eliten sind erfahren und erfolgreich darin, die von jungen Wählern geforderte Diskussion über die Rolle von Armee und Königshaus zu unterminieren, was zu einer scheinbaren Stabilität führt. Doch missachten die Machtträger weiterhin den Volkswillen, steigt das Risiko von lähmenden Massenprotesten und einem neuerlichen Coup.

Das Militär hat zwar versprochen, nicht noch einmal zu putschen. Doch der abgewählte General Prayuth lässt an seinem Machtwillen keine Zweifel aufkommen. Falls die Shinawatra-Dynastie einmal mehr die thailändische Politik mitbestimmen sollte, steht das Land vor einer ungewissen Zukunft. Womöglich könnte dann der mittlerweile mit Prayuth verfeindetet Ex-General Prawit zum Zünglein an der Waage werden und Thailand vor einem erneuten Coup d’État bewahren.

Die jüngsten Wirtschaftszahlen sind immerhin positiv. Trotz der eher schleppenden Exporte konnte die Prognose für das erste Quartal von 2,3 Prozent durch reale 2,7 Prozent Wirtschaftswachstum übertroffen werden, was vor allem auf ein wieder Anspringen des Tourismus und steigenden Binnenkonsum zurückzuführen ist. Thailand hat innerhalb der ASEAN-Staaten jedenfalls eine Menge Aufholpotenzial.

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob der frische Wind in der Politik zum Rückenwind eines neuen Wirtschaftsbooms wird oder zum Auftürmen neuer Schuldenberge führt.

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