Perspektivwechsel Wie der Ukraine-Krieg Nachhaltigkeit neu zur Debatte stellt
Vermögensverwalter Jörg Franzen äußert ebenfalls Verständnis, dass sich einige Investoren wieder der klassischen Energieerzeugung zuwenden: Durch den Energiepreisanstieg seien viele Kunden erneut auf dividendenstarke Ölwerte aufmerksam geworden. Franzen ist Geschäftsführender Gesellschafter beim Vermögensverwalter Franzen Gerber & Westphalen Asset Management. Dort bevorzuge man jedoch Investments mit Bezug auf langfristig aussichtsreiche Technologien, wie Energieeffizienz oder nachhaltige Energien.
Auch mit Blick auf Rüstungshersteller könnte neue Bewegung in die Diskussion um Kriterien für nachhaltige Geldanlage kommen. Vertreter von Rüstungsfirmen haben bereits gefordert, Rüstungsfirmen als sozial nachhaltig in den EU-Taxonomiekatalog aufzunehmen.
„Auf den Staat setzen“ versus „Verteidigung fördern“
Eine interessante Diskussion entspann sich kürzlich unter einem Artikel, den DAS INVESTMENT auf seiner Linkedin-Seite gepostet hatte. Es ging darin um Investitionen in Rüstungsfirmen. „Wenn man als Anlegerin oder als Anleger von der Waffenbranche profitieren will, muss es einen oder mehrere kriegerische Konflikte auf der Welt geben – das ist einfach ein Fakt“, gab Autor Gunter Greiner, Geschäftsführer der Investmentgesellschaft Wiwin Green Impact Fund, zu bedenken. „Sollte man als Investor tatsächlich darauf hoffen, dass Länder sich gegenseitig überfallen, dass Friedensgespräche kein Ergebnis finden, wie es leider gerade in der Ukraine geschieht?“, verdeutlichte der Nachhaltigkeitsspezialist seinen Standpunkt mit einer rhetorischen Frage. Greiner forderte: Rüstungsinvestitionen sollten Anleger dem Staat überlassen.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Anders sieht es Joachim Schönke. Der Geschäftsführende Gesellschafter des Start-up-Anlagespezialisten All Ventures schlug auf Linkedin vor: Er würde Greiners Satz „Wenn man als Anleger von der Waffenbranche profitieren will“ anders fortführen: „Es müsste heißen: ‚ ... muss es ein verstärktes Bewusstsein unter den Menschen in vielen Ländern geben, dass man Krieg nur mit guten Waffen und einer guten Verteidigungsbereitschaft vermeidet, um so dauerhaften Frieden zu erhalten‘“. Ein solcher Wahrnehmungswandel sei seiner Ansicht nach dringend geboten, meint Schönke. „Und das hängt klar von dem Bewusstsein ab, dass eine zu schwache Verteidigungsbereitschaft Kriege auslöst und nicht verhindert.“
Temporäre Rückkehr zur Kohlekraft, mögliche Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke und der Ruf nach einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa: Der Ukraine-Krieg lässt einige Kategorien verwischen, die sich bei der Definition, was nachhaltig ist und was nicht, lange Zeit vermeintlich bequem in Schwarz und Weiß teilen ließen. Sie erhalten nun einen Graustich.