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Finanzanalystin über Antibiotikaresistenz
Diese Chancen hat die Pharmabranche
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Finanzanalystin über Antibiotikaresistenz Diese Chancen hat die Pharmabranche

Zentrale von Biontech in Mainz.
Zentrale von Biontech in Mainz: Die Pharmabranche könnte resistenten Mikroben auch mit mRNA-Impfstoffen zu Leibe rücken. | Foto: Imago Images / Hannelore Förster

Antibiotika haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich unsere Lebenserwartung im Laufe des 20. Jahrhunderts verdoppelt hat. Doch Mikroben haben über Milliarden von Jahren überlebt und entwickeln sich weiter, um unseren menschlichen Versuchen, sie zu töten, zu widerstehen. Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten vor anti­mikrobieller Resistenz (AMR), doch ein kaputter Markt hat dazu geführt, dass die entsprechende Forschung so gut wie zum Erliegen gekommen ist. Da nur wenige neue Medikamente in der Pipeline sind und die vorhandenen ihre Wirksamkeit verlieren, sind wir auf dem Weg zurück in eine Zeit, in der ein Stich von einem Rosendorn zu einer Amputation oder sogar zum Tod führen konnte.

AMR ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO eines der zehn bedeutendsten Risiken für die Menschheit und gefährdet damit das Gesundheitsziel (SGD 3) der Vereinten Nationen. Gemäß der medizinischen Fachzeitschrift Lancet starben im Jahre 2019 1,27 Millionen Menschen an einer Antibiotika-Resistenz – was die Anzahl der Toten durch HIV und Malaria überstieg. Allein in Europa und den USA sterben jährlich 48.000 Menschen an Antibiotika-Resistenz. Die WHO schätzt, dass die Anzahl der Toten durch AMR bis 2050 auf zehn Millionen Menschen steigen könnte. Damit würden genauso viele Menschen an Antibiotika-Resistenz sterben wie an Krebserkrankungen – und sogar noch mehr.

Weil AMR unser gesamtes Gesundheitsökosystem bedroht, sind für die Bewältigung auch Maßnahmen und Investitionen an mehreren Fronten erforderlich: von verbesserter Diagnostik und neuen Therapien bis hin zu besseren Anreizen und nachhaltigeren Geschäftsmodellen.

Der Markt braucht Anschub

Die letzte neue Klasse von Antibiotika wurde 1987 entdeckt. Die niedrigen Preisen, an die wir bei Antibiotika gewöhnt sind, rechtfertigen für die Pharmaunternehmen kaum die erheblichen Investitionen in Zeit und Ressourcen, die für die antimikrobielle Forschung erforderlich sind. Gerade jetzt, wo die AMR-Krise immer größer zu werden droht, sehen wir uns mit schwindenden Pipelines, einer Abwanderung von Talenten und einem gravierenden Mangel an Finanzmitteln konfrontiert. Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir Innovation bewerten und belohnen.

Öffentliche Initiativen können einen Paradigmenwechsel im Wirtschaftsmodell bewirken. In dem Maße, in dem neue Projekte entstehen, werden sich auch private Investoren wieder in diesem Bereich engagieren. Ein Beispiel ist der AMR Action Fund, eine 2020 gestartete Zusammenarbeit zwischen 20 großen Pharmaunternehmen mit der WHO, der Europäischen Investitionsbank und dem Wellcome Trust. Auf der Grundlage der WHO-Liste der Zielpräparate investiert der Fonds eine Milliarde US-Dollar, um bis 2030 zwei bis vier neue Medikamente auf den Markt zu bringen.

 

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Zu den weiteren bemerkenswerten Finanzierungseinrichtungen, die sich dem Bereich der Anti­biotika­resistenz widmen, gehören die Gruppe zur Bekämpfung antibiotikaresistenter Bakterien (Carb-X), die von der Universität Boston geleitet wird, und die Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) des US-Gesundheitsministeriums. Beide investieren über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren mehrere hundert Millionen Dollar.

Neue Diagnoseverfahren

Es ist vor allem der weit verbreitete Missbrauch von Antibiotika beim Menschen und in der Land­wirtschaft, der zu einer explosionsartigen Zunahme resistenter Mikroben im Ökosystem geführt haben. Das Centre for Disease Control and Prevention schätzte 2016, dass mindestens ein Drittel der in den USA verschriebenen Antibiotika unnötig sind.

Neue und verbesserte Diagnosen werden entscheidend dazu beitragen, den Missbrauch von Antibiotika einzudämmen. Antibiotika wirken nicht bei Virusinfektionen, doch eine Umfrage aus dem Jahr 2017 zeigte, dass 76 Prozent der Ärzte solche Medikamente auf Verdacht verschreiben. Auch die Patienten sind oft falsch informiert; dieselbe Umfrage ergab, dass 30 Prozent der Patienten direkt nach Antibiotika fragen, unabhängig von der Diagnose. Da die derzeitigen Labortests bis zu 72 Stunden dauern und immer noch nicht sehr zuverlässig sind, besteht ein großer Bedarf an genauen, tragbaren und schnellen Point-of-Care-Tests, um Antibiotika gezielter einsetzen zu können. Unsere Erfahrungen mit Antigen-Schnelltests für Covid-19 haben gezeigt, dass wir innerhalb von Minuten wissen können, ob wir zur Arbeit gehen, in ein Flugzeug steigen oder weitere medizinische Hilfe in Anspruch nehmen sollten.

Ein weiterer Ansatz zur Verhinderung von AMR besteht darin, Mikroben gar nicht erst abtöten zu müssen. Hierfür sind Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten eine hervorragende Lösung. Da die Entwicklung von Impfstoffresistenzen unglaublich selten ist, können wir Impfstoffe in großem Umfang einsetzen, ohne uns um Arzneimittelresistenzen sorgen zu müssen. Es gibt bereits Impfstoffe gegen mehrere bakterielle Krankheiten, darunter Lungenentzündung, Tuberkulose und Cholera, aber für viele andere eben noch nicht.

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