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Aktualisiert am 07.07.2023 - 10:43 Uhrin Karl PilnyLesedauer: 8 Minuten

Pilnys Asia Insights Wie sich Chinas Covid-Kehrtwende auf die Aktienmärkte auswirkt

Demonstranten in London setzen sich für die Menschenrechte in China ein
Demonstranten in London setzen sich für die Menschenrechte in China ein: „Nicht zuletzt wegen des mangelhaft ausgebauten Gesundheitssystems werden in den nächsten Monaten vor allem unter den Älteren bis zu eine Million Corona-Tote erwartet.“, so Pilny. | Foto: Imago Images / Zuma Wire

Nach der überstürzten Aufhebung der chinesischen Zero-Covid-Politik in der vergangenen Woche machen sich allenthalben Zweifel breit. Nun zeigt sich, wie unvorbereitet China auf den Ausstieg ist. Die Zahl der Neuinfektionen explodiert und wird in den nächsten Monaten wohl hunderttausende Todesopfer fordern. Drei Jahre lang hat die Regierung gebetsmühlenartig die strengen Corona-Regeln als Akt der Fürsorge und als Grund für die weltweit einzigartig schnelle Überwindung der Corona-Pandemie, gar als Beweis der Überlegenheit Chinas über den Westen angeführt.

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Ausgerechnet dem Land, das sich fortwährend als Gewinner der Corona-Pandemie stilisiert hat, stehen nun harte Zeiten bevor. Dem chinesischen Gesundheitssystem droht ein Kollaps, innenpolitisch ein Desaster für Präsident Xi Jinping. Galt Covid-19 bis vor wenigen Tagen als höchst gefährliche Krankheit, vor der nur eine harte Null-Toleranz-Strategie schützen könne, beruhigt nun die staatliche Propaganda damit, dass die Omikron-Variante weitgehend ungefährlich sei. Doch viele Chinesen trauen der Führung nicht mehr.

Nicht zuletzt wegen des mangelhaft ausgebauten Gesundheitssystems werden in den nächsten Monaten vor allem unter den Älteren bis zu eine Million Corona-Tote erwartet. Für Peking mit seinen 22 Millionen Einwohnern rechnen die Behörden bereits in der zweiten Dezemberhälfte mit dem Höhepunkt der ersten Welle. Die zweite wird wohl zum chinesischen Neujahrsfest, wenn Ende Januar das Jahr des Hasen beginnt, ihr Maximum erreichen. Dann reisen Millionen Chinesen in ihre Heimatorte und die Rate der Infizierten dürfte im weiteren Verlauf von 60 auf 80 bis 90 Prozent steigen.

 

Ähnlich wie auf dem Höhepunkt der Pandemie im Westen versuchen die chinesischen Behörden jetzt, die Kurve abzuflachen und rufen dazu auf, sich im Falle einer Infektion in den eigenen vier Wänden zu isolieren. Auch die Anzahl an Personen in öffentlichen Räumen soll begrenzt werden, wobei großflächige Lockdowns nicht mehr angeordnet werden. Maßnahmen, wie sie europäische Länder während der vergangenen Jahre auch angewandt haben – allerdings mit dem Unterschied, dass nach fast drei Jahren Zero-Covid-Politik in China so gut wie niemand einen natürlichen Immunschutz aufgebaut hat. Zumal die Kehrtwende – überhastet und ungeplant – zu einer Zeit erfolgt, in der ein großer Teil der älteren Bevölkerung nicht ausreichend geimpft ist.

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Chinas Regierung hatte vermutlich vor, mit dem Ausstieg aus der Zero-Covid-Politik erst zu Beginn der wärmeren Jahreszeit im März zu beginnen. Bis dahin sollte auch ein größerer Teil der älteren Bevölkerung geimpft sein. Die hochansteckende Omikron-Variante hat jedoch diese Pläne im „Volkskrieg gegen das Virus“, wie Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Strategie der Pandemie-Bekämpfung gerne bezeichnet, über den Haufen geworfen, und nun muss auf einmal alles über Nacht geschehen. Die Regierung verkündet eine großangelegte Impfkampagne, doch wie genau diese stattfinden soll, ist noch unklar, zumal eine Impfpflicht – noch – ausgeschlossen wird. Viele der Älteren, aber auch erstaunlich viele Jüngere stehen einer Impfung ablehnend gegenüber. Die Regierung setzt daher auf rasche Zulassung inhalierbarer Impfstoffe. Doch auch hier zögern viele Menschen – Verunsicherung und Misstrauen sind noch groß.

Anpassungsfähigkeit und Gesichtswahrung in China

Grundlage und Ausdruck für den chinesischen Pragmatismus – sozusagen die Erfolgs-DNA – ist, wie schön öfter in diesem Newsletter erwähnt, das Sowohl-als-Auch-Denken und -Handeln. Im Gegensatz zum linearen, statischen Entweder-Oder des westlichen Denkens impliziert es eine maximale Anpassungsfähigkeit. Grundsätze und Prinzipien, die jahrelang als unumstößlich propagiert wurden, können über Nacht verworfen werden – vorausgesetzt, dass dies gesichtswahrend stattfindet. So geschehen bei der abrupten Abwendung der Zero-Corona-Politik aufgrund angeblicher neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Auch ich habe in den 80er Jahren ein frühes Beispiel der chinesischen Mentalität und dieser Qualität erlebt. Als ich am 1. Oktober 1981 in Peking war, um den Nationalfeiertag am Tiananmen-Platz zu sehen, hatte ich mir ein Fahrrad ausgeliehen und musste meinen Reisepass als Pfand hinterlegen. Damals gab es im ganzen Land nur in blaue oder grüne Mao-Anzüge gewandete Chinesen und Unmengen von identischen schwarzen Fahrrädern, die alle auf mehrspurigen Fahrradautobahnen durch die Hauptstadt sausten. Wie der böse Zufall es wollte, wurde mir eben dieses Fahrrad gestohlen – aufgrund meines hinterlegten Reisepasses eine missliche Situation. Ich sprach jeden Tag bei der lokalen Polizeistation vor und war ratlos, da sich die Fahrradvermietung weigerte, meinen Pass herauszugeben. Doch war und blieb das Fahrrad verschwunden. Eine heikle Situation mit dem Risiko maximalen Gesichtsverlustes für alle Seiten.

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