Pilnys Asia Insights Indien auf dem Weg zur neuen Werkbank der Welt
Auch die vielgerühmte Demokratie hat Probleme – so werden die Rechte der muslimischen Minderheit in dem mehrheitlich hinduistischen Land immer wieder beschnitten. Gandhi wirft Modi vor, das Land mit seinem nationalistischen Kurs zu spalten. Während in China der Überwachungsstaat herrscht, regiert in Indien oftmals das Chaos. Korruption und eine erratische höchstrichterliche Rechtsprechung – sei es bei Nichtigerklärung ausländischer Patente oder die Freilassung von verurteilen Sexualstraftätern sowie die weiterbestehenden Hemmnisse durch das antiquierte Kastenwesen - kann man sich zwar schönreden, aber nicht leugnen.
Über die Meinungsunterschiede darf man allerdings die Gemeinsamkeiten mit Indien nicht vergessen. Zwar pflegt Indien ebenso wie China enge Kontakte nach Moskau und hat sich bei russlandkritischen Resolutionen der Vereinten Nationen stets enthalten – bis zum G-20 Gipfel auf Bali. Im Gegensatz zu China will Indien den Krieg wohl so schnell wie möglich beendet sehen, denn an einer Schwächung des Westens hat man in Indien anders als in China kein Interesse.
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Die Rolle als Vermittler im Ukraine-Krieg dürfte Indien ernst nehmen
Für Indien ist vorrangig, dass die Lieferungen von Getreide, Düngemitteln und Energie möglichst schnell wieder zum Normalniveau zurückkehren. Die Rolle als Vermittler im Ukraine-Krieg, die mit dem G20-Vorsitz einhergeht, dürfte Modi daher ernst nehmen. Der Westen sollte ihn tunlichst dabei unterstützen. Zu Recht nennt Außenministerin Annalena Baerbock Indien trotz dessen umfangreichen Ölgeschäften mit Russland „einen wichtigen Werte-Partner Deutschlands“. Bei ihrem ersten Besuch in Neu-Delhi seit Amtsantritt kündigte sie eine stärkere politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit an – inklusive Erleichterungen für den Zuzug indischer Fachkräfte und Studenten.
Indien stieg nach Kriegsbeginn zum größten Abnehmer russischen Öls nach China auf – und sieht sich deshalb mit dem Vorwurf konfrontiert, Russland zu stützen und die Wirkung westlicher Sanktionen abzuschwächen. Außenminister Subrahmanyam Jaishankar indes verteidigte Indiens Haltung: Die Europäische Union habe seit Kriegsbeginn deutlich mehr fossile Energieträger aus Russland importiert als Indien. Europa könne nicht seine eigene Energieversorgung priorisieren und zugleich von Indien verlangen, das Gegenteil zu tun. Immerhin ist Indien für 85 Prozent seines Rohölbedarfs von Importen abhängig. Russland löste in diesem Jahr Saudi-Arabien als zweitwichtigsten Lieferanten ab. Der von der EU gerade festgesetzte Preisdeckel von 60 Dollar pro Barrel Öl wird daran nichts ändern.

