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Aktualisiert am 07.07.2023 - 10:42 Uhrin ChinaLesedauer: 9 Minuten

Pilnys Asia Insights Chinas demografische Katastrophe: 850.000 Einwohner weniger

Zuschauer im Eisschnelllauf Stadion in Peking bei Olympischen Winterspielen 2022
Immer mehr freie Plätze. Erstmals seit Jahrzehnten sinkt die Einwohnerzahl in China. | Foto: IMAGO Images / Laci Perenyi

Gemischte Gefühle und gemischte Aussichten beherrschen den Blick auf das Reich der Mitte im Neuen Jahr. Am 22. Januar hat das chinesische Neujahr 2023 begonnen. Es steht im Zeichen des Hasen, genauer des Wasser-Hasen und folgt dem eher unerfreulichen Jahr des Tigers, das am 1. Februar 2022 begonnen hatte.

Das chinesische Neujahrsfest, auch Frühlingsfest genannt, gilt in China und anderen Ländern Ostasiens als der wichtigste Feiertag des Jahres. Da es sich nach dem Mondkalender richtet, findet es nicht an einem festgelegten Tag des gregorianischen Kalenders statt, sondern in der Regel am zweiten Neumond nach der Wintersonnenwende. Also zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar.

Das Fest dauert 16 Tage und endet mit dem Laternenfest am 5. Februar. Es ist für Hunderte Millionen Chinesen oft die einzige Chance im Jahr, ihre Familien zu besuchen. Die meisten Wanderarbeiter lassen ihre Kinder bei den Großeltern auf dem Land, während sie in Großstädten arbeiten. In diesem Jahr wurden erstmalig die seit drei Jahren bestehenden Reisebeschränkungen aufgehoben.

Steigt die Zahl der Corona-Infizierten in China durch die Reisewelle?

Trotz der millionenfachen Reisen im Zuge des Frühlingsfestes rechnet die chinesische Regierung in den kommenden Wochen aber nicht mit einer zweiten Coronawelle. Experten hingegen fürchten eine rasche Ausbreitung des Coronavirus in den ländlichen Gebieten, wo die medizinische Versorgungslage schwach ist.

Dennoch beharrte Xi Jinping beim traditionellen Bankett des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei zum Frühlingsfest auf seiner Coronapolitik. Leben und Gesundheit der Menschen seien bestmöglich geschützt worden, sagte der Staats- und Parteichef und zugleich Wirtschaft und Gesellschaft so wenig wie möglich eingeschränkt worden.

Rede von China Präsident Xi Jinping auf Bankett des Zentralkomitees der Kommunisitschen Partei
Xi Jinping bekräftigt eingeschlagenen Kurs als richtigen Weg © IMAGO / Xinhua

Zwar war eine öffentliche Entschuldigung nicht zu erwarten, dennoch überrascht es, die bis zum 6. Dezember geltende Null-Covid-Politik sowie die überstürzt eingeleitete Wende ins Gegenteil als „korrekte Wahl“ zu bezeichnen.

Jedenfalls hat er mit seiner Botschaft die offizielle Sprachregelung festgelegt. Die Versorgung der Bevölkerung wird „optimiert“, womit die Verantwortung für etwaige Schwierigkeiten von der zentralen auf untere Ebenen „delegiert“ wird.

Xi dürfte innerhalb der Kommunistischen Partei nach seiner verfehlten Corona-Politik zwar an Ansehen eingebüßt haben. Aber weder zeichnet sich ein Machtverlust ab, noch wird innerhalb der Bevölkerung weiter die Frage nach einer Veränderung des politischen Systems gestellt.

Einwohnerzahl in China sinkt im Jahr 2022

Erstmals seit der großen Hungersnot 1961 ist Chinas Bevölkerung 2022 geschrumpft. Nach Angaben des Statistikamts in Peking gibt es 1,411 Milliarden Einwohner. Rund 850.000 weniger als im Vorjahr.

Noch 2019 war diese Trendwende erst für das Jahr 2030 prognostiziert worden. Diese Entwicklung dürfte sich in den kommenden Jahrzehnten beschleunigen und aufgrund der zu erwartenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen einer „demographischen Katastrophe“ gleichkommen.

Die chinesische Akademie der Wissenschaften geht davon aus, dass sich die chinesische Bevölkerung bis zum Jahr 2100 um fast 60 Prozent verringern könnte.

Schon seit 2016 werden jedes Jahr immer weniger Kinder geboren. Nicht zuletzt wegen der hohen Ausbildungskosten, die zu den höchsten der Welt zählen. Im vergangenen Jahr kam noch die Null-Covid-Politik als Grund für die niedrige Geburtenrate hinzu.

Auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit infolge der Coronapolitik und die Ungewissheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung dürften sich auf die Bereitschaft, eine Familie zu gründen, negativ ausgewirkt haben.

Ein weiterer Grund für den rapiden Abwärtstrend ist die Ein-Kind-Politik, die 2016 abgeschafft wurde. Chinesische Demographen haben die kommunistische Führung schon früh vor den Folgen einer alternden Gesellschaft gewarnt. Dennoch wurde die Ein-Kind-Politik erst 2016 gelockert. Inzwischen propagiert die Kommunistische Partei das Ideal einer fünfköpfigen Familie mit drei Kindern.

Steigendes Durchschnittsalter verschärft chinesischen Arbeitskräftemangel

Zugleich sinkt der Anteil der arbeitenden Bevölkerung. Im Jahr 2035 werden Prognosen zufolge fast ein Drittel der Bevölkerung mehr als 60 Jahre alt sein. Nach dem bisherigen chinesischen Renteneintrittsalter wären sie dann im Ruhestand.

Die chinesische Regierung versucht, den Arbeitskräftemangel durch Produktivitätssteigerungen und Automatisierung auszugleichen. Dass China, wie andere alternde Gesellschaften, auf Einwanderung setzen könnte, ist nicht zu erwarten.

Während im Jahr 2019 im Land noch 10,41 Geburten auf 1.000 Personen kamen, ist der Wert im vergangenen Jahr auf 6,77 gesunken. Chinas Geburtenrate von 1,2 Kindern je Frau ist eine der niedrigsten der Welt und sogar geringer als in Japan, dem jahrzehntelangen Sinnbild für den demografischen Wandel in den Industriestaaten.

Covid verursacht Wachstumsschwund in 2022

Seit Anfang 2022 wurde die chinesische Wirtschaft von Schockwellen erfasst, auf die Peking mit umfassenden Lockdowns antwortete. Die Folge war ein BIP-Wachstum von nur 0,4 % gegenüber dem Vorjahr im zweiten Quartal 2022.

Als die Regierung schließlich die umfassenden Anti-Covid-Maßnahmen lockerte und durch ein fokussiertes Vorgehen ersetze, erholte sich das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal 2022 auf 3,9 % gegenüber dem Vorjahr.

Wegen steigender Fallzahlen ging die Regierung bei der weiteren Öffnung der Wirtschaft im Verlauf des dritten und zu Beginn des vierten Quartals jedoch sehr vorsichtig vor.

Autos warten auf Export im chinesischen Hafen Yantai
Anti-Covid-Maßnahmen belasteten chinesisches Wirtschaftswachstum in 2022 © IMAGO / VCG

Zu Beginn des vierten Quartals führten dann weiter steigende Covid-19-Fälle zu immer häufigeren „Lockdowns“. Die Mobilität der Bevölkerung „fror ein“ und die wirtschaftliche Entwicklung kam zusehends zum Erliegen.

Die Daten für November waren schwach und schlechter als erwartet. Vor diesem Hintergrund und angesichts zunehmender Proteste und Störungen in den großen Fabriken des Landes zum Beispiel bei Foxconn, entschied sich China am 6. Dezember plötzlich für eine Kehrtwendung, was zu einem massiven Anstieg der Covid-Fälle führte.

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Die Makrodaten für Dezember werden deshalb ebenfalls sehr schwach ausfallen, da eine Welle von Krankheitsfällen die Produktion in vielen Fabriken zum Erliegen brachte und sich auch der Dienstleistungssektor stark verlangsamte.

Für 2023 wird Erholung des chinesischen Wirtschaftswachstum erwartet

Während das erste Quartal 2023 in entlegeneren Provinzen ebenfalls herausfordernd sein wird, werden Chinas Städte wahrscheinlich mit dem chinesischen Neujahrsfest den Höchststand an Infektionen überschritten haben.

Daher dürfte die aufgestaute Nachfrage den Konsum im Verlauf des ersten Quartals und insbesondere ab dem zweiten Quartal 2023 deutlich antreiben. Bei der Investitionstätigkeit könnte es mit einer Erholung länger dauern, was nicht nur an der vorsichtigen Haltung von Unternehmen gegenüber der Covid-Öffnung, sondern auch der wirtschaftlichen Verlangsamung in den USA und Europa und dem angeschlagenen Immobiliensektor liegt.

Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass sich das chinesische BIP aufgrund der niedrigen Ausgangsbasis im Jahr 2022 und des Nachholbedarfs im Jahr 2023 schnell und deutlich erholen wird.

So liegen die gängigen Wachstumserwartungen für das Jahr 2023 real bei rund 5,5%. Zudem hat China kein Inflationsproblem. Als einzige der großen Volkswirtschaften kann die chinesische Zentralbank weiterhin eine unterstützende Geldpolitik betreiben.

Außerdem kann China Öl und Gas zu sehr attraktiven Konditionen von Russland beziehen. Chinas Unternehmen leiden daher nicht unter hohen Energiekosten, was im internationalen Vergleich einen hohen Kostenvorteil bedeutet und die Profitabilität vieler Unternehmen positiv beeinflusst.

Das Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft soll im laufenden Jahr wieder auf das Niveau vor der Corona-Krise zurückkehren. Das hat Liu He, der stellvertretende Ministerpräsident versichert.

Liu He hält Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos

„Unser Schwerpunkt im laufenden Jahr liegt auf der Stärkung der nationalen Nachfrage“, sagte Liu, der in der Partei als Reformer gilt. „Wir werden die Versorgungsketten im Industriebereich sichern, eine gesunde Entwicklung des Privatsektors ermöglichen. Es wird eine positive Entwicklung geben“.

Liu erwartet einen beträchtlichen Anstieg der Importe, auch mit mehr Investitionen, und eine Rückkehr der Binnennachfrage zu den bekannten Zahlen aus den Vor-Corona-Jahren.

Der 62-Jährige betonte in seiner Rede fünf Aspekte: Die wirtschaftliche Entwicklung stehe immer im Zentrum des politischen Handelns.

Zudem sei es in der sozialistischen Marktwirtschaft entscheidend, dass der Markt eine wichtige Rolle spiele, ebenso wie die Regierung. Diese könne und werde aber die Privatwirtschaft fördern und das Unternehmertum unterstützen.

Drittens gelte es, eine weitere Öffnung Chinas zu ermöglichen: „China wird sich der Außenwelt nun noch weiter öffnen.“

Viertens müsse die Rechtsstaatlichkeit stets gesichert sein, auch für geistiges Eigentum.

Und fünftens gelte es, Innovation und Bildung weiter zu fördern. Die finanziellen Risiken wiederum, die in den vergangenen fünf Jahren aufgetreten seien, hätten viele Gründe gehabt: eine mangelnde Aufsicht, unvorsichtiges Unternehmertum, unlautere Maßnahmen im Bankensektor.

„Jetzt aber ist die finanzielle Stabilität gesichert, wurde systemischen Risiken vorgebeugt“, versicherte Liu. Die Immobilienbranche sei weiterhin wesentlich für wirtschaftliche Entwicklung, denn sie mache 40 % der Bankenkredite in China aus.

Man habe in der Krise aber stets dafür gesorgt, dass Verträge eingehalten wurden und die Eigentumsrechte hochgehalten. China müsse sein Gleichgewicht wiederfinden, ebenso wie die Vereinigten Staaten und die ganze Welt.

Nach dem Ende der Corona-Maßnahmen habe sich im eigenen Land der Tourismus schnell normalisiert. Mit Blick auf den Klimawandel versprach Liu, dass China seine Versprechen in der internationalen Zusammenarbeit halten werde.

Na also, damit ist ja alles gesagt.

Fazit: Das noch bevölkerungsreichste Land der Welt, das seinen Aufstieg zur zweitgrößten Wirtschaft nicht zuletzt seinem riesigen Angebot an jungen, kostengünstigen Arbeitskräften zu verdanken hat, schrumpft und vergreist in hoher Geschwindigkeit. Mit dem chinesischen Neujahr beginnt das Jahr des Wasser-Hasen. Jedes Sternzeichen wird mit einem der fünf Elemente Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser verbunden.

Das Element Wasser symbolisiert den Neuanfang.

Pilnys Asien-Insights der vergangenen Wochen:

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