Pilnys Asia Insights Das große Lauschen im Indopazifik
Die Corona-Pandemie führte schmerzhaft vor Augen, wie verletzlich Wirtschaftswachstum und Versorgungssicherheit sind. Der Wohlstand und die Sicherheit Europas hängen vom freien Seehandel und ungehinderten Zugang zu den asiatischen Märkten ab.
Geostrategische Rivalitäten zwischen den Großmächten China, Indien und USA, aber auch der Klimawandel bedrohen die Stabilität im Indischen Ozean. Eine der meistbefahrenen Routen führt aus Japan, Südkorea und China durch das hochgerüstete Südchinesische Meer, durch Singapur und das Nadelöhr der Malakka-Straße in den Indischen Ozean.
Das nach dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean drittgrößte Meer. Der Indische Ozean ist eine zentrale Drehscheibe für die südlichen Handelsrouten an die Ostküste Afrikas, nördlich ins Arabische Meer und in den Persischen Golf und westlich durch das Rote Meer und den Suezkanal nach Europa.
Indien mitten im Zentrum des Handelsgeschehens
Der indische Subkontinent ist geostrategisch im Zentrum des Geschehens. Zwei Drittel des weltweit gehandelten Öls und Gases passieren seine vielbefahrenen Wasserstraßen. Verstärkt buhlen in diesem wichtigen Raum China, die USA und Indien um politische, wirtschaftliche und militärische Macht. Sie ringen um Infrastrukturprojekte, mischen sich in inneren Angelegenheiten der Anrainerstaaten und militarisieren die Region.
Im Kern geht es um Zugang und Kontrolle der wichtigsten Nadelöhre der Welt: die Straßen von Hormus und Malakka. Seit zwanzig Jahren hat sich die wirtschaftliche und militärische Präsenz Chinas im Indischen Ozean stetig ausgeweitet. Die Einflussnahme reicht vom Bau von Wirtschaftskorridoren durch Pakistan oder Myanmar über strategische Hafenprojekte wie in Sri Lanka bis zu einer vertieften militärischen Zusammenarbeit mit Pakistan und Bangladesch. Gleichwohl wird die militärische Schlagkraft Chinas noch durch lange, angreifbare Versorgungswege und einen Mangel an verlässlichen Partnern behindert.
Die USA betrachten den Indo-Pazifik als zentralen Schauplatz in ihrer strategischen Konkurrenz mit China. Indien beansprucht unter der Regierung Modi eine Führungsrolle über seine traditionelle Einflusssphäre in Südasien hinaus. In der chinesisch-amerikanischen Rivalität versuchte es lange Zeit eine ausgeglichene Haltung einzunehmen.
Doch seit der Eskalation des Grenzkonflikts im Himalaja mit China lehnt sich Indien stärker an das westliche Lager an. Der chinesisch-indische Wettstreit um Status, Legitimität und Einfluss ist für die künftige regionale Dynamik prägend.
Mit Gwadar im befreundeten Pakistan stärkt China seine Kontrolle über die strategisch bedeutsame Straße von Hormuz: Durch sie wird ein Großteil des Rohöls transportiert, das China braucht. Mit dem Ausbau des riesigen Hafens von Hambantota in Sri Lanka hat China zusätzlich eine Basis, von welcher aus es den Hauptstrom des Handels von Singapur zum Roten Meer kontrolliert.
Drehscheibe des Welthandels
Für China ist die Straße von Malakka die Achillesferse, durch sie passieren 40 Prozent des chinesischen Handels. 60 Prozent des Rohölbedarfs gehen ebenfalls durch diesen Flaschenhals. Die Ausweichroute durch die indonesische Sundastrasse hat deutlich weniger Volumen. Auch wichtige westliche Exporte wie Rohöl und Gasprodukte aus dem Golf von Mexiko werden durch den Indischen Ozean in den Fernen Osten transportiert.
China versucht mit dem Bau eines gewaltigen Marinestützpunktes in Ream, Kambodscha, zumindest die Zufahrt zu kontrollieren. Noch besser wäre die Fertigstellung des lange geplanten 50 Kilometer langen Kra-Kanals durch den südlichen Teil Thailands.
Dieser Game-Changer würde eine direkte Verbindung vom Südchinesischen Meer in den Indischen Ozean schaffen und damit den Weg über Singapur und die Straße von Malakka um mehr als 2.100 Kilometer verkürzen, mithin die globalen seestrategischen Verbindungen neu definieren. Das verstärkte Augenmerk Chinas auf diese Region alarmiert Indien, das nicht gewillt ist seinen Einfluss vor der eigenen Haustüre aufzugeben.
Ein Beispiel sind die militärischen Aktivitäten auf dem 1200 Kilometer entfernten Archipel der dünn besiedelten Andamanen und Nikobaren. Diese Inselbarriere kontrolliert die Ausfahrt aus der Malakka-Straße in den Indischen Ozean. Daran würde auch der Kra-Kanal nichts ändern.
Die Andamanen und die Nikobaren erstrecken sich in nordsüdlicher Richtung über fast 750 Kilometer. Sie sind für Indien strategisch doppelt wichtig: Sie dienen den Streitkräften als Stützpunkte auf der Ostseite des Golfs von Bengalen – mehr als 1000 Kilometer vom indischen Festland entfernt.
Und von dort aus lässt sich die Einfahrt in die Andamanensee überwachen, die wiederum in die Straße von Malakka führt. Indien kann also von den Andamanen aus dem gesamten Verkehr in der Straße von Malakka überwachen. Doch für diese Schiffsbewegungen interessiert sich auch China und pflegt deswegen enge Beziehungen mit der isolierten Militärjunta in Myanmar. Trotz internationalen Sanktionen bleibt China bei seinem wirtschaftlichen Engagement in Myanmar.
Myanmars Überwachungsflüge für Chinas Investitionen
Zum beiderseitigen Nutzen, denn im Gegenzug für weitere dringend benötigte Investitionen wird China Informationen verlangen, welche Myanmar mit Überwachungsflügen von Great Coco aus gewinnt. Die strategisch günstig gelegene Insel ist nur 55 Kilometer vom nördlichsten Punkt der Inselkette der Andamanen und der Nikobaren entfernt, die zu Indien gehört.
Myanmar kann sich von hier aus ein gutes Bild über Bewegungen der indischen Marine und Luftwaffe verschaffen. Die Bedeutung von Abhöranlagen ist allseits bekannt, so soll China auf Kuba gerade eine Abhörstation gebaut haben und dem verarmten Land dafür Milliarden an US-Dollar bezahlen, nachdem es sich schon die Anteile der Staatsholding für kubanische Zigarren gesichert hatte.
Da Kuba nur 150 Kilometer vom südlichsten Punkt Floridas entfernt ist, zeigen sich amerikanische Politiker natürlich alarmiert, denn im Süden der Vereinigten Staaten befinden sich zahlreiche Militärstützpunkte. Von Kuba aus lässt sich auch der Schiffsverkehr vom und in den Golf von Mexiko gut überwachen. Dort befinden sich acht der zehn größten Ölraffinerien der USA und in Houston, Texas, befindet sich der fünftgrößte Containerhafen der USA.
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Berichte über chinesische Aktivitäten auf Great Coco gibt es jedenfalls seit langem. Unabhängig davon, ob das zutrifft, ist sich Indien in den letzten Jahren bewusst geworden, dass die Andamanen und die Nikobaren verwundbar sind. Man ist erst jetzt dabei, die Stützpunkte für Luftwaffe und Marine auf den Inseln richtig aufzubauen. Indien sind dabei mit seinem volkswirtschaftlich schwächeren Potenzial Grenzen gesetzt.
Dennoch hat es sich in den letzten Jahren von seinen stark sowjetisch, dann russisch geprägten Abhängigkeiten befreit und strebt bis 2047 eine weitgehende Selbständigkeit an. Im Rahmen des eigenständigen Kriegsschiffbaus ist Indien auf den neuen, 2022 in Cochin in Dienst gestellten Flugzeugträger INS Vikrant besonders stolz, der nun den zweiten Träger sowjetischer Herkunft ergänzt. Die veraltete Marineversion der russischen MiG-29K soll bald durch die französische Rafale M oder die F/A-18 Super Hornet ersetzt werden.
Indien fühlt sich eingekreist
Der geplante zweite Eigenbau eines Flugzeugträgers musste eingeschränkt werden. Das liegt nicht nur an den finanziellen Einschränkungen, sondern auch an der Gewichtung durch den Generalstabschef der indischen Streitkräfte, der gegenüber Ansprüchen der Marine eher kritisch eingestellt ist. Mit nur 15 Prozent am Gesamthaushalt der Streitkräfte wird die Marine trotz der zunehmend wichtigen Rolle im Indischen Ozean erstaunlich limitiert. Dies, obwohl der keilförmige Subkontinent eine zentrale Position an der strategisch bedeutsamen maritimen Seidenstraße durch den Indischen Ozean hat.
Indien ist zweifach gefordert. Einmal auf der Westseite durch das eng mit China befreundete Pakistan, das im „Hinterhof“ des Golfs von Bengalen lauert, andererseits durch die ebenfalls chinafreundlichen Anrainer Bangladesch und Myanmar. Der sicherheitspolitische Fokus Indiens lag zu lange auf der Sicherung der Grenze mit China im Himalaja doch seit China wirtschaftlich und militärisch auch in den Ländern am Indischen Ozean immer aktiver wird, fühlt sich Indien eingekreist.
China unterhält nicht nur enge Beziehungen zu Myanmar, das im Osten an Indien grenzt, sondern auch zu Indiens Nachbar Pakistan im Westen. Der Kreis wird durch chinesische Infrastrukturprojekte, insbesondere Häfen, in Bangladesch, Sri Lanka und den Malediven geschlossen. Selbst am Westrand des Indischen Ozeans, an der Ostküste Afrikas, ist China stark präsent. Besonders deutlich wird Indiens Unbehagen jeweils, wenn chinesische Kriegsschiffe Häfen in Sri Lanka anlaufen, um dort Treibstoff und Nahrungsmittel aufzunehmen.
In einem künftigen Konflikt um Taiwan wird die Frage, auf welcher Seite Indien stehen würde, nicht nur für China, sondern auch für die freie Seeschifffahrt allgemein entscheidend sein. Eine Blockade der Straße von Malakka wäre für alle verheerend, für China allein würden 60 Prozent seiner Rohölversorgung auf dem Spiel stehen. Die USA haben die Verantwortlichkeit des Pazifischen Ozeans erst vor fünf Jahren auf den Indischen Ozean ausgedehnt.
Das neue Indo-Pacific Command mit Hauptquartier in Pearl Harbor umfasst mit seinem geografisch erweiterten Zuständigkeitsbereich jetzt auch die Changi Naval Base in Singapur sowie die wichtigen Stützpunkte auf der Insel Diego Garcia, in Bahrain im Persischen Golf, wo sich das Hauptquartier der 5. US-Flotte befindet, sowie im Camp Lemonnier in Djibouti. Großbritannien und Frankreich sind mit Ausnahme der französischen Einrichtung in Djibouti kaum mit Stützpunkten präsent, suchen aber permanente Basen und intensivieren seit einigen Jahren ihre Flottenpräsenz.
Großmachtpolitik beim Shangri-La-Dialog in Singapur
Bei der Quad-Allianz haben sich Indien, die USA, Japan und Australien geeinigt, dass sie unter Führung der USA bereit sind, die freie Durchfahrt im Indopazifik zu gewährleisten und das Machtstreben Chinas im Auge zu behalten. Das Mitte März 2023 in San Diego unterzeichnete Aukus-Abkommen zwischen den USA, Großbritannien und Australien, das eine enge Kooperation beim Bau und Einsatz von nuklearen U-Booten vorsieht, unterstreicht die Bedeutung des Indischen Ozeans.
Die Hauptbasis HMAS Stirling ist nahe bei Perth an der Westküste Australiens und bietet einen direkten Zugang zum Indischen Ozean. Russland ist es bisher nicht gelungen, seinen seit der Zarenzeit angestrebten Traum vom Warmwasserzugang in dieser Region zu realisieren. Gleichwohl unterstreichen gemeinsame Manöver mit chinesischen und iranischen Kriegsschiffen, dass es diese Ambitionen nie völlig aufgegeben hat.
Letzte Woche fand der Shangri-La-Dialog in Singapur zum zwanzigsten Mal statt. Der Dialog gilt nach der Münchner Sicherheitskonferenz als wichtigste Veranstaltung, an der führende Militärs und Sicherheitsexperten zusammenkommen. Der Fokus in Singapur lag auf dem indopazifischen Raum. Welche weltweite Bedeutung die Region aus militärischer und wirtschaftlicher Sicht hat, zeigt der Umstand, dass fünf Verteidigungsminister aus Europa den Dialog besuchten.
Lange Zeit hatte sich das Gerücht gehalten, dass sich der chinesische Verteidigungsminister Li mit seinem amerikanischen Kollegen Lloyd Austin treffen werde, was dann nicht leider nicht eintrat. Seit dem Treffen zwischen Xi und Biden am Rande des G-20-Gipfels im November in Bali hatte es nur einen Austausch zwischen Regierungsmitgliedern der beiden Länder gegeben aber nicht der Militärs.
Wie wichtig dies wäre, wurde bei der Durchfahrt des amerikanischen Zerstörers USS Chung-Hoon und der kanadischen Fregatte Montreal durch die Straße von Taiwan deutlich, als sich ein Schiff der chinesischen Marine näherte.
Beinahe-Zusammenstoß in der Straße von Taiwan
Eine Kollision konnte nur vermieden werden, indem der amerikanische Zerstörer die Geschwindigkeit drosselte. Auf den Vorfall angesprochen, sagte Li, er erhalte täglich Nachrichten über ausländische Schiffe und Kampfjets, die in Gebiete nahe dem chinesischen Hoheitsgebiet kämen. Die beste Art, solche Zwischenfälle zu vermeiden, bestehe darin, dass Länder keine Marineschiffe und Kampfflugzeuge in die Nähe der Territorien anderer Länder manövrierten.
Neben diesem Seitenhieb lobte Li China und beteuerte sein Land respektiere den Multilateralismus und die internationalen Gesetze. Mit solchen Formulierungen zog er jedoch den Unmut von Chinas Nachbarländern Vietnam, Indonesien, Malaysia und die Philippinen auf, die sich durch China bedrängt fühlen. China beansprucht auf der Basis einer historisch fragwürdigen „Neun-Striche-Linie“ fast das gesamte Südchinesische Meer für sich und drangsaliert Anrainerstaaten, die Ansprüche auf Teile der Gewässer erheben.
2016 hatte ein internationales Schiedsgericht in Den Haag die territorialen Ansprüche Chinas zurückgewiesen. Peking ignoriert diesen Richterspruch jedoch. Die Region des Indischen Ozeans ist nicht nur eine wichtige Lebensader unserer Wirtschaft, mit ihr steht und fällt auch die Bewältigung globaler Herausforderungen. Allein in Südasien leben knapp zwei Milliarden Menschen. Europa und auch Deutschland muss sich in der Region stärker engagieren.
Die Stärkung der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Indien in den Bereichen Konnektivität und Klimaschutz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ferner könnte Europa mit der Förderung der multilateralen Kooperation in maritimen Sicherheitsfragen einen Beitrag zur Deeskalation im Indischen Ozean leisten. Die Entsendung der Fregatte Bayern und einer Staffel Eurofighter in den Indopazifik letztes Jahr waren wichtige Signale, die auf Aufmerksamkeit und Anerkennung stießen.
Geostrategische Rivalitäten zwischen den Großmächten China, Indien und USA, aber auch der Klimawandel gefährden die Stabilität im Indischen Ozean. Es liegt im ureigensten Interesse der Europäer, zur Bewältigung dieser Herausforderungen tatkräftig beizutragen und somit doch noch eine Rolle beim Tanz der Riesen spielen zu können.