Pimco zum Brexit „Die globalen Risiken sind begrenzt“
Wie wird sich der britische EU-Austritt auf das Vereinigte Königreich und die Weltwirtschaft auswirken?
Andrew Balls: Die Weltwirtschaft wird sich wahrscheinlich weiter über Wasser halten, allerdings werden die Risiken zunehmen. Eines dieser Risiken ist die Bedrohung durch den zunehmenden Populismus und seine politischen und wirtschaftlichen Folgen. Dieser Trend veranlasst uns für Europa auf lange Sicht zu einem vorsichtigen Ausblick, und das Ergebnis des Referendums bestätigt uns darin. Generell sind wir der Meinung, dass der Brexit zumindest vorerst ein vordergründig britisches Ereignis ist und die globalen Auswirkungen noch begrenzt sind.
Für das Vereinigte Königreich prognostizieren wir einen Wachstumsrückgang von einem bis 1,5 Prozentpunkten in den nächsten vier Quartalen, was letztlich einem Wachstum nahe Null gleichkommt. Global gesehen wird die Eurozone am meisten betroffen sein. Wir gehen von weiteren Lockerungsmaßnahmen seitens der Europäischen Zentralbank aus. Die Unsicherheit in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone dürfte mit 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten zu Buche schlagen. Auf die US-Wirtschaft hat der Brexit keine nennenswerten Auswirkungen. Allerdings könnte die Notenbank Federal Reserve (Fed) mit weiteren Zinserhöhungen vorerst abwarten. Nachdem wir zunächst für 2016 von ein bis zwei Zinserhöhungen ausgegangen waren, lautet unsere Prognose, dass die Fed dieses Jahr nur einmal an der Zinsschraube drehen wird. Die Lage ist jedoch sehr ungewiss. Letztlich hängt alles von den Marktentwicklungen und den Wirtschaftsdaten ab.
Welche Risiken bringt der Brexit konkret mit sich?
Balls: Eine Gefahr besteht darin, dass sich die Märkte nicht stabilisieren und sich daraus eine Endlosschleife ergibt, in der Volatilität zu mehr Unsicherheit führt. Es ist aber nicht sicher, dass es dazu kommt. Im Großen und Ganzen haben die Märkte die neue Realität eingepreist. Am meisten waren davon Anlagewerte im Vereinigten Königreich betroffen, insbesondere Aktien und Währungen, während US-Staatsanleihen aufgrund der Flucht der Anleger in sichere Werte profitierten. Ebenfalls unter Druck gerieten Banken der Eurozone. Abgesehen davon waren die Kursverluste jedoch verhaltener und die gegenwärtigen Bewertungen erscheinen uns nicht allzu extrem, zumal viele Anlagewerte Niveaus erreicht haben, die mit denen von Anfang Juni vergleichbar sind. Noch befinden wir uns aber nur einige wenige Tage in dieser neuen Realität und das Umfeld könnte sich ändern. Bislang entsprechen die Marktindikatoren jedoch unserer Einschätzung, dass es sich hierbei vor allem um ein für das Vereinigte Königreich internes Ereignis ohne globale systemische Tragweite handelt.
Bedroht der Brexit die langfristige Stabilität der EU?
Balls: Wir sehen im zunehmenden Populismus ein wesentliches langfristiges Risiko. Deshalb bewerten wir europäische Anlagewerte derzeit mit Vorsicht. Vielleicht beflügelt der Brexit am Rande andere populistische Bewegungen, aber wir erachten ihn nicht als wesentliche Änderung. Die Risiken waren schon vorher gegeben. Die Briten haben beschlossen, die EU und nicht den Einheitswährungsraum zu verlassen, dem sie ja nie angehörten. Für uns ist ein Land, das die Eurozone verlässt, viel riskanter für die Stabilität der Einheitswährung als ein Land, das die EU verlässt.
Was sind die nächsten Schritte für das Vereinigte Königreich?
Mike Amey: Die britische Regierung hat ein eindeutiges Mandat erhalten, das Ausscheiden aus der EU in die Wege zu leiten. Nachdem der britische Premierminister David Cameron seinen Rücktritt angekündigt hat, wissen wir aber nicht, wer die Verhandlungen führen wird. Das sorgt für Unsicherheit.
Könnten Sie mehr zum gegenwärtigen Marktklima sagen?
Amey: Bislang waren die Märkte volatil, es gab aber keine Anzeichen von Panik. Die Liquidität war ausreichend, es werden hohe Volumen gehandelt und es bestehen keine Probleme in Bezug auf das Clearing. Britische Aktien und das britische Pfund wurden hart getroffen, aber die Verluste sind nicht alarmierend. Nach anfänglicher Volatilität scheinen sich die Märkte außerdem zu stabilisieren.
Welche Konsequenzen hat der Brexit für britische Banken? Sind die Verwerfungen bei den Bewertungen von britischen Bankaktien gerechtfertigt?
Philippe Bodereau: Man muss zwischen internationalen Banken mit Sitz im Vereinigten Königreich, die vor allem in Investment Banking tätig sind, und britischen Banken, die vor allem Privat- und Geschäftskunden mit Krediten versorgen, unterscheiden. Internationale Banken werden möglicherweise von Unterbrechungen betroffen sein, die sich aus der Verlagerung von bestimmten Geschäftsabteilungen ergeben. Sie könnten außerdem ihre Passport-Rechte für Finanztransaktionen in der gesamten EU verlieren. Insgesamt sind dies aber nur betriebliche Störungen, die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht von begrenzter Bedeutung sind. Für britische Banken ist die Situation schwieriger. Ihre Kursrückgänge sind gerechtfertigt. Aus Bonitätssicht ist der Ausblick aber deutlich positiver. Britische Banken haben mit 12 bis 16 Prozent hohe Eigenkapitalquoten und solide Bilanzen. Sie haben in jüngsten Stresstests gut abgeschnitten. Die Bewertungsausschläge in diesem Sektor, insbesondere im Bereich des britischen Bankkapitals und nachrangiger Anleihen, werden gute Kaufgelegenheiten bieten.
Trifft das gleiche auf Banken der Eurozone zu?
Bodereau: Die Aktien von Banken der Eurozone schwankten nach dem Referendum auch stark. Allerdings ist das schon seit Jahresbeginn der Fall, da die Anleger nach den schwächsten Kandidaten Ausschau halten. Dazu zählen italienische und portugiesische Banken mit einem hohen Anteil an notleidenden Krediten und Kapitaldefiziten. Angesichts der derzeitigen Risikoscheu überraschte es daher nicht, dass diese Titel abgestraft werden. Der Abverkauf von Banken mit stärkeren Bilanzen und hohen Dividenden ist jedoch weniger gerechtfertigt.
Wird das britische Pfund weiter fallen, und was sind die Auswirkungen für britische Staatsanleihen?
Amey: Zu den derzeitigen Niveaus erscheint uns das britische Pfund als relativ angemessen bewertet. Es wird sich wahrscheinlich nicht schnell erholen. Die allgemeine Unsicherheit dürfte dies verhindern, da die Währungsmärkte der Hauptmechanismus zur Einschätzung des politischen Risikos sind. Die Verzinsung britischer Staatsanleihen ist seit dem Referendum um rund 40 Basispunkte gefallen. Da die Bank of England die Zinsen wahrscheinlich senken wird sehen wir keinen Aufwärtstrend. In den negativen Bereich werden die Zinsen aber nicht sinken.