Volkswirt Jörn Quitzau
Verzicht löst gesellschaftliche Probleme auf Dauer nicht
Jörn Quitzau arbeitet als Volkswirt bei der Berenberg Bank. Foto: Berenberg
Verzicht, wie er von Postwachstums-Theoretikern gepredigt wird, ist auf Dauer keine Lösung für wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme, ist Jörn Quitzau überzeugt. Hier erklärt der Berenberg-Volkswirt, warum das so ist.
Wir leben in schwierigen Zeiten. Eine Krise jagt die nächste. Wegen der Energiekrise stehen die Menschen vor einem ungewissen Winterhalbjahr. Viele denken wohl: „Wäre der Winter doch bloß schon vorbei.“ Allein Verzichtstheoretiker und Verzichtspolitiker dürften Gefallen finden an der aktuellen Lage. Denn nach der Pandemie liefert die Energiekrise nun wieder (vermeintlich) gute Gründe, Menschen zum bewussten Verzicht aufzurufen.
Kein Zweifel: Sowohl die Pandemie als auch die Energiekrise machen es erforderlich, das Verhältnis von individueller (Konsum-)Freiheit und öffentlichem Interesse neu auszutarieren. Es geht darum, akute Notlagen zu überwinden – im Zweifel auch durch unkonventionelle...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Wir leben in schwierigen Zeiten. Eine Krise jagt die nächste. Wegen der Energiekrise stehen die Menschen vor einem ungewissen Winterhalbjahr. Viele denken wohl: „Wäre der Winter doch bloß schon vorbei.“ Allein Verzichtstheoretiker und Verzichtspolitiker dürften Gefallen finden an der aktuellen Lage. Denn nach der Pandemie liefert die Energiekrise nun wieder (vermeintlich) gute Gründe, Menschen zum bewussten Verzicht aufzurufen.
Kein Zweifel: Sowohl die Pandemie als auch die Energiekrise machen es erforderlich, das Verhältnis von individueller (Konsum-)Freiheit und öffentlichem Interesse neu auszutarieren. Es geht darum, akute Notlagen zu überwinden – im Zweifel auch durch unkonventionelle Maßnahmen und Kompromisse. Für Ökonomen ist klar, dass man in einer Welt der Knappheit nicht alles gleichzeitig haben kann. Ökonomen sind auch deshalb so unbeliebt, weil sie immer wieder auf die harte Realität hinweisen, dass wir nicht im Schlaraffenland leben. Letztlich beschäftigt sich die ganze Wirtschaftswissenschaft mit der Frage, wie man aus einer Welt mit knappen Ressourcen das Beste herausholen kann. Es geht um effiziente Lösungen oder – im ökonomischen Fachjargon – um die effiziente Allokation knapper Ressourcen.
Diese grundsätzlichen Einsichten stehen jedoch in scharfem Kontrast zu einer Weltanschauung, die bewussten Verzicht predigt – und zwar ganz unabhängig von akuten Notlagen. Bewusster und gegebenenfalls staatlich verordneter Verzicht sei das geeignete Instrument für eine bessere Welt. Degrowth-/Postwachstums-Phantasien erleben dank Pandemie, Energie- und Umweltkrise gerade einen Höhenflug. „Weniger ist mehr“, lautet die Devise. Die Welt müsse ohne Wachstum auskommen. Die Wirtschaft müsse geschrumpft werden. Wir bräuchten einen Systemwechsel, so schallt es aus manchem Thinktank heraus. Wie es für unsere Zeit typisch ist, reicht vielen schon die gute Absicht, um für eine Idee Feuer und Flamme zu sein. Gleichwohl: Die Ideen sind in vielerlei Hinsicht unausgegoren.
Postwachstumstheoretiker gehen von einem falschen Menschenbild aus. Sie glauben, dass Menschen auch ohne individuelle Leistungsanreize volle Leistung bringen. Ohne die Aussicht, durch Arbeitsanstrengung die eigene materielle Situation erhalten oder verbessern zu können, verlieren die Menschen jedoch sehr schnell ihre Motivation und ihre Kreativität. Um die Probleme unserer Zeit zu lösen, sind aber Kreativität und voller Arbeitseinsatz nötig. Die Technologien, die eine ressourcenschonende und klimafreundliche Produktion ermöglichen, werden wohl kaum dadurch entstehen, dass wir uns zufrieden zurücklehnen und in Verzicht üben. Diese Technologien entstehen am ehesten dann, wenn knappe Umweltgüter einen Preis erhalten. Damit entstehen die richtigen Anreize für die Verbraucher, pfleglich mit Umweltgütern umzugehen. Und die Unternehmen erhalten Anreize, umwelt- und klimafreundliche Produktionsverfahren zu entwickeln. Mit Blick auf die ökologischen Probleme muss es darum gehen, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Das ist die marktwirtschaftliche Antwort: Anreize und Innovationen statt Vorschriften und Verbote.
Hinzu kommt: All die Annehmlichkeiten, auf die wohl auch die Verzichtstheoretiker nicht verzichten möchten (unter anderem soziale Sicherheit, funktionierendes Gesundheitswesen, sichere Energieversorgung) fallen nicht vom Himmel. Sie sind das Ergebnis unseres wachstumsorientierten Wirtschaftsmodells – und sie müssen immer wieder neu erwirtschaftet werden. Dabei ist Wachstum kein grundsätzlicher Zwang, sondern das Ergebnis millionenfacher Einzelentscheidungen von Arbeitnehmern und Konsumenten. Offensichtlich ist das Streben der Menschen nach mehr Wohlstand aber trotz aller Lippenbekenntnisse mehrheitlich ungebrochen. Wenn ein Staat dieses Streben durch verordneten Konsumverzicht unterbinden möchte und nicht gleichzeitig Zäune an den Grenzen errichtet, würde er sehen, dass die Bürger das Land nach und nach verlassen werden, um ihr Glück im Ausland zu suchen.
Um es klar zu sagen: Verzicht ist gesamtwirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich keine Lösung. Die Postwachstumstheorien führen in die Irre. Individuell kann natürlich jeder selbst entscheiden, bewusst zu verzichten und sich aus dem fortschrittsorientierten Gesellschaftsmodell zurückzuziehen. Romantisierende Vorstellungen sind aber kaum als Grundlage für unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung geeignet – ganz egal, wie der Zeitgeist gerade tickt.
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