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Pro & Contra Börse Istanbul: Türkischer Honig oder bitterer Mokka?

Markus Brück, Manager des Metzler Eastern Europe und Irina Topa-Serry, Managerin des Axa Framlington Emerging Europe
Markus Brück, Manager des Metzler Eastern Europe und Irina Topa-Serry, Managerin des Axa Framlington Emerging Europe
Im Februar trafen sich die Wirtschafts- und Finanzminister der G20-Staaten in Istanbul, um darüber zu beraten, wie die Weltwirtschaft wieder in Schwung kommen kann. Da hätte die Runde beim Gastgeber gleich anfangen können. Denn der türkische Konjunkturmotor ist arg ins Stottern geraten. 2004 und 2005 hatte das Land noch ein Wachstum von um die 9 Prozent hingelegt. Die Wirtschaft strotzte nur so vor Kraft und bewegte sich in Richtung eines ehrgeizigen, von Staatspräsident Recep Tayyip Erdo?an ausgegebenen Ziels: Bis 2023 soll die Türkei zu den zehn führenden Wirtschaftsnationen der Welt gehören. Aus heutiger Sicht erscheint das fast unerreichbar – im vergangenen Jahr lag das Wachstum bei nicht einmal 3 Prozent.

Im europäischen Vergleich steht die Türkei allerdings außerordentlich gut da. Während das türkische Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2015 erneut um rund 3 Prozent wachsen soll, prognostizieren die Experten für Deutschland gerade einmal ein Prozent. Das Haushaltsdefizit der Türkei liegt seit 2011 deutlich unter der Maastricht-Schwelle von 3 Prozent des BIP; der Berg alter Schulden ist mit 33 Prozent des BIP aktuell gerade einmal halb so hoch wie beim derzeitigen europäischen Musterschüler Deutschland. Bei der kurzfristigen Börsenentwicklung hinkt die Türkei allerdings hinterher. Einem seit Jahresbeginn erzielten Plus von über 15 Prozent im Euro Stoxx 50 steht ein Minus an der Börse in Istanbul von 5 Prozent gegenüber.



Vor allem die politische Entwicklung verunsichert die Investoren. Als Ministerpräsident Erdogan im vergangenen August die Präsidentschaftswahlen gewann, legten die türkischen Börsenkurse noch kräftig zu. Mit dem Wahlsieg, so glaubten damals viele, könne die Türkei wieder an alte wirtschaftliche Erfolge anknüpfen, die maßgeblich auf die Politik Erdogans zurückgeführt wurden. Doch die Erfolgsmeldungen bleiben aus. Da Erdogans Regierungspartei AKP zudem derzeit mehr streitet als konstruktiv zusammenarbeitet, kommen immer mehr Zweifel an einem neuerlichen Wahlsieg bei den im Juni stattfindenden Parlamentswahlen auf.

Statt auf Wahlen und politische Entwicklungen schauen Fondsmanager derzeit vor allem auf strukturelle Faktoren – mit durchaus sehr unterschiedlichen Beurteilungen. Markus Brück, Manager des Metzler Eastern Europe, sieht die Türkei vor allem geographisch gut positioniert, um als erfolgreiche Drehscheibe in den Bereichen Handel und Energie zwischen Europa und Asien zu fungieren. Zudem sieht er die von der Regierung initiierten Strukturreformen im Plan. Anders Irina Topa-Serry. Der Managerin des AXA Framlington Emerging Europe gehen die innenpolitischen Reformen nicht weit genug, um die Türkei auf ein langfristig stabiles politisches und wirtschaftliches Fundament zu stellen. Außerdem hält sie die Türkei aufgrund der starken Exportabhängigkeit anfällig für externe Turbulenzen.



Markus Brück, Manager des Metzler Eastern Europe

Derzeit gibt es aus meiner Sicht eine ganze Reihe guter Gründe, die Türkei als große Länderposition im Rahmen eines Osteuropa-Aktienportfolios zu berücksichtigen. Insbesondere die Rekordexporte sprechen für das Land am Bosporus: Die Türkei hat ihr Exportvolumen zwischen 2007 und 2014 von rund 100 Milliarden Dollar auf nahezu 160 Milliarden Dollar gesteigert. Während früher arbeitsintensive Industrieprodukte wie Textilien im Vordergrund standen, hat sich in den vergangenen Jahren die Ausfuhr von Gütern aus der Hochtechnologie erhöht, beispielsweise von Maschinen und Fahrzeugen.

Auch als regionale Produktions- und Export-Drehscheibe gewinnt die Türkei zunehmend an Bedeutung. Die geostrategisch günstige Lage an der Schnittstelle zwischen Asien und Europa lasst das Land teilhaben am ökonomischen Boom der sich rasch entwickelnden Staaten des Nahen Ostens, Zentralasiens und der Golfregion. Wie kaum einem anderen Land kommen der Türkei dabei die guten Kenntnisse über Lebensweise und Verbrauchergewohnheiten in der arabischen Welt zugute.

Ein Pluspunkt ist auch das türkische Bankensystem. Es gehört nach dem Fast-Bankrott im Jahr 2001 mittlerweile zu den profitabelsten Finanzbranchen in Europa. Die Eigenkapitalrendite des Sektors liegt aktuell bei 16 Prozent und damit an der Spitze aller OECD-Länder. Und auch die türkische Politik scheint ihre Hausaufgaben zu machen. Sie hat Strukturreformen auf die Agenda genommen und den sogenannten Medium-term Economic Plan ins Leben gerufen – mit dem Ziel, die Importabhängigkeit des Landes bis 2020 deutlich zu reduzieren. Neben einer grundsätzlichen Reform der Staatsausgaben stehen arbeitsmarkt- und bildungspolitische Projekte auf der Agenda. Deren Details dürften nach den Parlamentswahlen im Sommer 2015 ausgearbeitet und umgesetzt werden.

Die Türkei spielt eine wichtige Rolle als zukünftige Energie-Drehscheibe. Die traditionell hohe Abhängigkeit von Energie-Importen führt zu einer chronischen Schieflage in der Leistungsbilanz und damit zu einer entsprechend hohen Anfälligkeit der Wirtschaft für externe Schocks. Allerdings ist die Türkei aufgrund ihrer geographischen Lage geradezu prädestiniert, als eine Art Schnittstelle bei der zukünftigen Energieverteilung zu fungieren. Gleich mehrere Projekte sollen die regionale Energieversorgung diversifizieren: Unter anderem gibt es die transanatolische Pipeline Tanap, die bis 2020 jährlich 16 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Aserbaidschan in die Türkei und weiter nach Europa transportieren soll.

Eine Schlüsselrolle spielt auch der Ausbau der politischen Beziehungen zur kurdischen Regionalregierung im Nordirak. Dank der seit 2013 intensivierten Bemühungen Ankaras konnte Anfang 2014 eine neue Pipeline zwischen dem Nordirak und der türkischen Grenze fertiggestellt werden. Auch wenn es aktuell immer noch Unstimmigkeiten bei der Zahlungsabwicklung zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der autonomen kurdischen Regionalverwaltung gibt, könnte bis 2020 ein Vielfaches der derzeitigen Energiemenge in die Türkei transportiert werden. Durch das Aus der South-Stream-Pipeline im Zuge der Ukraine-Krise könnte die Türkei auch über eine Offshore-Pipeline mit Russland in den Fokus zukünftiger Planspiele für die Energieverteilung kommen.

Last but not least entwickelt sich die türkische Binnennachfrage aufgrund der demographischen Situation sehr vielversprechend. Die rund 74 Millionen Türken bieten Investoren einen großen und dynamisch wachsenden Binnenmarkt. Mit einem Altersdurchschnitt von etwa 30 Jahren zeichnet sich das Land durch eine relativ junge Bevölkerung aus. Und im Gegensatz zum alternden Europa nimmt der Anteil junger Menschen – und damit junger Erwerbstätiger – an der Gesamtbevölkerung sogar noch zu. Alle diese Faktoren machen die Türkei zu einem attraktiven, langfristigen Investmentziel.

Contra: „Die Türkei bleibt anfällig für externe Schocks” (Seite 2) >>

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