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Aktualisiert am 09.06.2020 - 16:30 Uhrin Die Spezialisten für globale GeldanlageLesedauer: 8 Minuten
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Produktivitätsparadox Mehr Innovationen, weniger Wachstum

Roger Bayston, Fixed-Income-Experte von Franklin Templeton Investments

Wir leben in einem Zeitalter der Paradoxe: Einerseits werden Science-Fiction-Erfindungen wie selbstfahrende Autos, künstliche Intelligenz (KI) und Quantencomputer Wirklichkeit. Andererseits verlangsamt sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität, was unseren Lebensstandard gefährdet.

Produktivitätswachstum bedeutet mehr als nur Leistung pro Arbeitsstunde. Für viele Ökonomen ist es vielmehr ein Maß für die Verbesserung unseres Lebensstandards. Leider ist hier nicht nur eine Verlangsamung in den USA zu beobachten. Die Arbeitsproduktivität fällt in den Industrieländern empirischen Untersuchungen zufolge seit über einem Jahrzehnt, in den Schwellenländern seit der Finanzkrise.

Angesichts der wenig erfreulichen Aussichten für den Lebensstandard ist in der Wissenschaft eine lebhafte Debatte darüber im Gange, welche Faktoren für das geringe Produktivitätswachstum und für das aktuelle technologische Paradox verantwortlich sind. Pessimistische Ökonomen wie Robert Gordon meinen, dass das niedrige Produktivitätswachstum von Dauer sein wird, vor allem weil sämtliche großen, folgenreichen Erfindungen schon getätigt wurden. Ihm zufolge sind Smartphones im Vergleich zu Innovationen wie Elektrizität, Wasserversorgung und Autos nicht besonders einflussreich. Der Ökonom Alan Blinder geht sogar noch einen Schritt weiter: Digitale Technologien wie E-Mails und Smartphones verringern die Produktivität der Menschen möglicherweise.

Neue Technologien führen zu Produktivitätszuwächsen

Wir zählen uns jedoch nicht zu diesem pessimistischen Lager. Wir sind vielmehr der Meinung, dass die neuen Technologien schon jetzt überall zu Produktivitätszuwächsen führen, aber sich noch nicht in den Gesamtdaten niederschlagen. Aufschluss darüber, was die aktuelle Situation verursacht und wie lange es dauern wird, bevor die Arbeitsproduktivität auch in den Gesamtdaten wieder an Fahrt aufnimmt, lässt sich anhand der Betrachtung von Zeiträumen in der Vergangenheit gewinnen, in denen Innovationen und Arbeitsproduktivität zunahmen.

Die Vergangenheit zeigt, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis sich eine neu erfundene Technologie in den Produktivitätskennzahlen widerspiegelt. Beispiele sind die Elektrizität, der Verbrennungsmotor und der Computer. Jede dieser Technologien war eine entscheidende Antriebsfeder für die Arbeitsproduktivität – aber nicht sofort nach ihrer Erfindung. Wie es der Ökonom Erik Brynjolfsson erklärt, waren jeweils verschiedene ergänzende Erfindungen notwendig, damit umfassende Produktivitätsgewinne eintreten konnten. Doch im Lauf der Zeit durchdringen wichtige Technologien eines Tages die Wirtschaft und erhöhen die Produktivität.

Ein Beispiel dafür sind die Auswirkungen der transportablen Energieerzeugung: Sie kombiniert die revolutionären Effekte der Elektrifizierung und des Verbrennungsmotors. Der Historiker Paul David merkt an, dass fast die Hälfte aller US-Fabriken bis nach 1919 ohne Strom arbeitete – also Jahrzehnte, nachdem Thomas Edison im Jahr 1882 das erste kommerzielle Kraftwerk errichtet hatte. Als die Fabriken auf Strom umgestellt wurden, musste nicht mehr eine einzige Energiequelle genutzt werden, sondern jede einzelne Maschine erhielt einen eigenen Elektromotor. Dank der derart gewonnenen Flexibilität konnten die Anlagen in Fertigungsstraßen angeordnet werden. Während viele Fabrikanten an alten Gewohnheiten festhielten, nutzten andere neue Herstellungsprozesse. Ein berühmtes Beispiel dafür ist Henry Ford, der 1913 mit der Herstellung des Automodells T auf die neue Produktionsweise umstellte.

Produktivität steigt durch neue Arbeitsmethoden

Im Fall transportabler Energiequellen wurden zur Umgestaltung der Fabriken Ingenieure und Organisationstheoretiker wie Frederick Taylor, der für Henry Ford die Fließbänder entwarf, benötigt, damit die Elektrizität als neue Technologie in Kombination mit dem Verbrennungsmotor effizienter genutzt werden konnte. Somit mussten zunächst die Einteilung und Organisation der Fertigungsschritte in der Fabrik konzeptionell geändert werden, bevor die Produktivität steigen konnte. Anders ausgedrückt: Die Produktivität wuchs dadurch, dass die Arbeitsweise der Beschäftigten umfassend geändert wurde. Nach vielen Versuchen und Fehlschlägen begann im Jahr 1915 schließlich eine Zeit soliden Produktivitätswachstums.