LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
in AnalysenLesedauer: 9 Minuten

Profis über die erneut gesenkten US-Zinsen „Unabhängigkeit sieht anders aus“

Seite 2 / 4

Thorsten Polleit, Chefvolkswirt, Degussa Goldhandel

Die Zinssenkung – die dritte in Folge – war im Vorfeld allseits erwartet worden. So gesehen gab es heute keine Überraschung. Was aber waren die Gründe für die neuerliche Absenkung der Kreditkosten?

  • Zur Begründung verweist die Fed auf die globalen Entwicklungen und die gezähmte Inflation der Konsumgüterpreise.
  • Mit einer weiteren „zyklischen Zinsanpassung“ soll, so die Fed, einer möglichen Konjunkturschwäche zuvorgekommen werden.
  • Das zeigt, wie willkürlich die Geldpolitik bereits geworden ist: Man reagiert nicht mehr auf „harte Daten“, sondern auf Zukunftserwartungen, die die Zentralbankräte hegen.
  • Irgendwie scheint die Zinssenkung aber auch den Fingerabdruck von US-Präsident Donald J. Trump zu tragen: Der mächtigste Mann der Welt setzt schließlich die Fed heftig unter Druck, die Zinsen zu verringern.

Ganz besonders wichtig am heutigen Tag ist die Frage: Wie macht die Fed denn nun weiter? Eine Zinspause auf der nächsten Sitzung im Dezember ist wahrscheinlich; diesen Schluss legen die Äußerungen des Fed-Vorsitzenden, Jerome H. Powell, auf der Pressekonferenz nahe.

Im neuen Jahr jedoch wird aus unserer Sicht der Feldzug gegen den Zins sehr wahrscheinlich weitergehen – und der Fed-Zins wird vermutlich in Richtung 1,0 Prozent abgesenkt, so denken wir. Das US-Finanzsystem braucht nämlich immer niedrigere Zinsen, es kann ganz bestimmt keine Liquiditätsverknappung mehr vertragen. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass die Fed seit Ende August 2019 bereits ihre Bilanzsumme um knapp 209 Milliarden Dollar ausweiten musste, um den Interbankenmarkt („Repo“-Markt) zu stützen.

Mit der weiteren Verbilligung der Kredite greift die Fed der US-Konjunktur und damit auch der Weltwirtschaft zwar unter die Arme; die Chancen steigen, dass die konjunkturelle „Scheinblüte“ so in Gang gehalten wird.

Jedoch werden dadurch auch bestehende Ungleichgewichte verstärkt und neue heraufbeschworen. Zum Beispiel schläfert die laxe Geldpolitik die Kreditausfallsorgen der Investoren ein. Dadurch werden in den Kreditverträgen die Risiken nicht mehr ausreichend abgegolten; die Risiken im Kreditsystem nehmen zu.

Auch hält der Zinsniedergang die Vermögenspreisinflation in Gang – also das fortgesetzte Ansteigen der Preise von zum Beispiel Aktien, Häusern und Grundstücken – und das setzt die Kaufkraft des Geldes herab.

Die künstlich niedrigen Zinsen begünstigen nicht zuletzt auch Überkonsum, Kapitalfehllenkungen und vor allem das Schuldenwachstum – Entwicklungen also, die sich früher oder später in Krisen entladen werden.

Christian Scherrmann, Volkswirt USA, DWS

Wie bereits erwartet, senkt die Fed abermals die Leitzinsen um 25 Basispunkte – der dritte Schritt im aktuellen Zyklus. Wirft man einen Blick in das obligatorische Statement, dann könnte es damit aber auch schon alles gewesen sein. Demnach beschäftigen sich die Notenbanker fortan eher mit dem Beobachten der Volkswirtschaft als mit der Frage, welches Zinsniveau überhaupt angebracht wäre. Oder kurz gesagt, die Fed gibt sich erneut datenabhängig.

In seinem Pressestatement wurde Powell dann noch deutlicher. Die aktuelle Ausrichtung der Geldpolitik ist demnach wahrscheinlich jene, die angebracht ist, um die Wirtschaft aktuell und auch noch einige Zeit zu unterstützen – vorausgesetzt, nichts wendet sich zum Schlechteren. Sollte dies jedoch der Fall sein und sich die Wirtschaft entgegen der Erwartungen der Fed entwickeln, so sei man selbstverständlich bereit, sich neu zu orientieren.

Powell gelingt es elegant den Märkten zu vermitteln, dass kurzfristig keine weiteren Zinsschritte zu erwarten sind. Die Tür für Anpassungen im Fall der Fälle bleibt jedoch offen. Alles schon einmal gehabt? Ja, und zwar nicht nur in jüngster Vergangenheit. Historisch betrachtet, und Powell verwies bereits darauf, wiederholt man jene Versicherungsstrategie, die schon Alan Greenspan Mitte der 90er Jahre nutzte, um den US-Wachstumszyklus um einige Jahre zu verlängern – nur um später die Zinsen erneut zu erhöhen. Letzteres erwarten wir zwar nicht, jedoch sind auch wir der Überzeugung, dass in den nächsten Monaten kein weiterer Anpassungsbedarf bestehen dürfte.

Tipps der Redaktion