Europäischer Thinktank CEP meint Provisionsregeln der EU-Kleinanlegerstrategie schießen am Ziel vorbei
Die europäische Kleinanlegerstrategie ist ein Bündel von Änderungsvorschlägen, die Einzug in mehrere europäische Richtlinien und Verordnungen halten sollen. Sie soll Privatanlegern die Geldanlage an den Kapitalmärkten schmackhafter machen: Finanzprodukte sollen leichter verständlich und transparenter sein, ihr Vertrieb soll zudem günstiger werden.
Das alles wünscht sich die EU-Kommission, die den Vorschlag über diverse Änderungen an europäischen Richtlinien und Verordnungen Ende Mai vorgestellt hat. Damit das Projekt umgesetzt werden kann, müssen im Nachgang noch das EU-Parlament und die Mitgliedsländer zustimmen. Aktuell steht die Kleinanlegerstrategie dort jeweils zur Konsultation. Mit Inkrafttreten ist nicht vor 2026 zu rechnen.
Nun hat der europäische Thinktank CEP (Centrum für Europäische Politik) eine Analyse vorgelegt, in der die Autoren die Wirkung der wichtigsten Änderungen skizzieren, die der Vorschlag in seiner jetzigen Form mit sich bringen würde. Bringen die Änderungen für Wertpapierfirmen, Versicherer und Versicherungsvermittler nach sich – und sind die Maßnahmen tatsächlich geeignet, Verbraucher besser zu schützen und mehr Privatkunden für die Kapitalmärkte zu begeistern, sind die Leitfragen.
Die Thinktank-Mitglieder gliedern das Maßnahmenbündel Kleinanlegerstrategie in acht Kernthemen, zu denen sie im Einzelnen Stellung nehmen. Neben den verschärften Informationspflichten, neuen Vorgaben zu Produktinformationen, Preisen und zum Marketing ist das Thema Vergütungsregeln ein zentraler Punkt der Analyse.
EU-Kleinanlegerstrategie fordert neue Provisionsregeln
Als die EU-Kommission am 24. Mai ihre Kleinanlagerstrategie vorlegte, verzichteten die Kommissare auf ein vollständiges Provisionsverbot für den europäischen Finanzvertrieb. Dieses hatte im Zuge der Verhandlungen zunächst durchaus zur Debatte gestanden, schaffte es aber nicht in den endgültigen Entwurf.
Die häufigste Kritik an der Vergütung über Provisionen ist ein möglicher Interessenkonflikt: Provisionen würden den Finanzvertrieb interessengeleitet machen – in eine ungünstige Richtung. Berater, die sich von Produktgebern vergüten lassen, achteten mehr auf den eigenen Geldbeutel als das Wohl ihrer Kunden. Gegner verweisen dagegen auf eine vielerorts über Jahre etablierte Praxis, die kaum zu Kundenbeschwerden führte. Provisionen ermöglichten es zudem, dass sich auch Kunden mit schmalem Geldbeutel Beratung leisten könnten. Denn diese muss dann nicht gesondert bezahlt werden, sondern ist in den Produktkosten schon enthalten. Fakt ist auch: Das Gros der Finanz- und Versicherungsvertriebe in Deutschland ist auf Provisionen angewiesen, denn daran hängt ihr Geschäftsmodell.
Hat also die EU-Kommission in ihrer Kleinanlegerstrategie von einem generellen Provisionsverbot im Finanzvertrieb noch abgesehen, so enthält der Entwurf stattdessen jedoch mehrere kleine, partielle Provisionsverbote.
So sollen rein ausführende Geschäfte wie die bloße Annahme und Übermittlung von Wertpapieraufträgen nicht mehr mit Provisionen vergütet werden dürfen, fordert die Kommission. Auch soll die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD zukünftig – analog zur Finanzvertriebsrichtlinie Mifid II – ein Provisionsverbot erhalten, wenn sich Berater ihren Kunden als „unabhängig“ beziehungsweise „ungebunden“ vorstellen.
Das Wörtchen Unabhängigkeit hat es in sich, es spielte in der Vertriebsbranche zuletzt eine zentrale Rolle. Das CEP interpretiert nun die Regelungen, die die Kleinanlegerstrategie konkret für Makler vorsieht, folgendermaßen: „Versicherungsvermittler, die weder bei einer Versicherung angestellt noch vertraglich an diese gebunden sind, (dürfen sich) als ungebundene Vermittler bezeichnen, auch wenn sie von der Versicherung Provisionen erhalten.“ Über dieses Thema war kürzlich ein erbitterter Streit zwischen den Vermittlerverbänden AfW und BVK entbrannt.
„Best Interest Test“ statt Qualitätsverbesserung
Eine andere Forderung der Kleinanlegerstrategie, auf die sich das CEP bezieht, ist die Einrichtung eines sogenannten „Best Interest Tests“. Berater bräuchten nicht mehr – wie es Mifid II bislang fordert – eine Qualitätsverbesserung durch ihre Beratung nachzuweisen beziehungsweise glaubhaft belegen zu können, dass ihre Vergütung dem Interesse ihrer Kunden nicht schadet.
Stattdessen will die EU-Kleinanlegerstrategie einen sogenannten „Best Interest Test“ einführen. Mit diesem sollen Berater prüfen, ob sie auch wirklich eine „angemessene“ Anzahl von Produkten für ihre Kunden in Betracht ziehen und sie auf dieser Grundlage beraten. Sie sollen zudem unter allen geeigneten Produkten das kosteneffizienteste empfehlen. Und sie sollen nicht allein nur Produkte mit Spezial-Features wie etwa einer Kapitalgarantie vorstellen, wenn das für die Anlageziele des Kunden insgesamt unerheblich ist.
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Die EU-Kommission will außerdem drei Jahre nach Inkrafttreten der Kleinanlegerstrategie noch einmal prüfen, ob die Provisionsregeln tatsächlich schon ausreichen, den Finanzvertrieb stärker im Sinne der Kunden handeln zu lassen. Ist das nicht der Fall, wolle man nachbessern. Dann könnte auch erneut ein allgemeines Provisionsverbot zur Debatte stehen.
Dass die Kleinanlegerstrategie bislang kein generelles Provisionsverbot enthält, bewerten die Autoren des CEP ausdrücklich als positiv. „Der Verzicht auf flächendeckende Provisionsverbote im Finanz- und Versicherungsvertrieb ist zu begrüßen“, heißt es in der Analyse. Die Debatte sei damit jedoch nicht vom Tisch, sondern nur vertagt, warnen die Mitglieder des Thinktanks.
Kritik an partiellen Provisionsverboten
Allerdings ist man mit den stattdessen angepeilten partiellen Provisionsverboten nicht unbedingt glücklich. Die CEP-Autoren führen mehrere Aspekte an: Gerade im beratungsfreien Geschäft, dem die EU-Kommission ein partielles Provisionsverbot auferlegen will, spielten Vertriebsinteressen kaum eine Rolle - immerhin gibt der Berater dort nur die Order des Kunden weiter. Ironischerweise könnte ausgerechnet dieser Bereich durch die Kleinanlegerstrategie diskriminiert werden, heißt es in der Analyse. Mögliche Folge: Wenn viele Berater quasi erzwungenermaßen kein beratungsfreies Geschäft mehr anböten, weil dieses sich ohne Provisionen für sie nicht mehr lohnte, könnten Kunden sich schlimmstenfalls mangels Zugangs sogar von den Kapitalmärkten abwenden, befürchten die Autoren.
Die Kommission sei bei der Bewertung möglicher Interessenkonflikte im provisionsbasierten Vertrieb obendrein von zu vielen Annahmen ausgegangen, für die Belege fehlten, heißt es in der Analyse weiter. So sei zweifelhaft, dass Verbraucher nach Einführung neuer Vergütungsstrukturen gleichsam automatisch auch Zugang zu günstigeren Produkten erhielten. Die CEP-Spezialisten befürchten von der EU-Kleinanlegerstrategie zudem einen unzulässigen Eingriff in den Wettbewerb. Da er vor allem den provisionsbasierten Vertrieb reglementiere, hätte er eine „subtile und nicht zu rechtfertigende Förderung der Honorarberatung“ zur Folge.
Auch am geforderten „Best Interest Test“ hat das CEP etwas auszusetzen: Die engeren Regeln bei Produktempfehlungen würden Wertpapierfirmen, Versicherer und Vermittler bevormunden und ihre Entscheidungsfreiheit einschränken. Sie würden insgesamt zu die Kosten fokussieren und auch hier einseitig nur den provisionsbasierten Vertrieb treffen. Honorarberater könnten auch ganz anders handeln. „Mit dem 'Best Interest Test' setzt die Kommission demnach die Hürden, um künftig noch provisionsbasierte Beratung anbieten zu können, sehr hoch“, heißt es in der Analyse. Man sehe diesen Test sogar als „ersten Einstieg in umfassendere Provisionsverbote“ an.
„Viel Schatten, wenig Licht“
In der 32-seitigen Analyse bringen die CEP-Autoren neben dem Thema Provisionen auch Kritik an anderen Punkten der Kleinanlegerstrategie unter. So warnen sie etwa vor ausufernden Warnhinweisen in Produktinformationen und Marketingmaterial: Wo zu viel gewarnt werde, könnten die Hinweise am Ende einfach überlesen werden, geben die Autoren zu bedenken. Auch ein Übermaß an granularen Kosteninformationen könnte das Ziel, Verbraucher aufzuklären, konterkarieren.
Mit Blick auf die geforderte Kostenkontrolle bei Finanzprodukten empfinden die CEP-Autoren die Vorschläge ebenfalls als über das Ziel hinausgeschossen. Durch den Wettbewerb am Markt hätten Anleger eine große Produktauswahl zur Verfügung. Die Preisgestaltung müsse Sache der Produktgeber bleiben. Die von der Kommission angedachten Regeln zur Bepreisung von Finanzprodukten kämen „einer staatlichen Kostenkontrolle doch sehr nahe“.
Zustimmend äußert sich die CEP-Analyse dagegen zur geforderten Standardisierung der Kenntnisse und Fähigkeiten von Finanzberatern. Auch dass die Finanzkompetenz von Verbrauchern in der EU Verbesserungen bedarf, unterstützen die Autoren.
Insgesamt ist ihr Fazit jedoch durchwachsen: „Viel Schatten, wenig Licht“, tituliert die CEP-Analyse in ihrem Schlusskapitel. Viele Regeln der EU-Kleinanlegerstrategie könnten den Wettbewerb beschädigen und seien praxisfern. Sie brächten die EU-Staaten dem Ziel, die private Kapitalbeteiligung zu fördern, kaum näher.
Die Autoren raten zu Nachbesserungen: „Es bleibt also viel Arbeit für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und die Vertreter der Mitgliedstaaten, die zahlreichen wunden Punkte der Kleinanlegerstrategie im Rahmen der weiteren Verhandlungen zu heilen.“