Volkswirt Holger Schmieding
Russland droht der Kollaps
Aktualisiert am 20.12.2023 - 15:02 Uhr
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Foto: Berenberg Bank / Canva
Im Februar 2022 griff Wladimir Putin die Ukraine an. Seitdem bringt der russische Präsident nicht nur Leid über Menschen, sondern destabilisiert auch die Wirtschaft. Hier sagt Berenberg-Volkswirt Holger Schmieding, wie Russland und Europa zwölf Monate nach Kriegsbeginn dastehen.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Wirtschaft in einen Abwärtsstrudel gestürzt, aus dem sie sich wohl nicht mehr befreien kann, solange er in Moskau herrscht. Zehn Jahre nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan im Jahr 1979 fiel 1989 die Mauer, zwei Jahre später war die Sowjetunion Geschichte.
Die russische Wirtschaft könnte bereits innerhalb von fünf Jahren so einbrechen, dass sie in ihrer jetzigen Form nicht weiterbestehen kann.
5 Fakten über Russland:
Vor vier Jahrzehnten überforderten die Kosten des Afghanistan-Einsatzes und des Wettrüstens mit den von Präsident Ronald Reagan geführten USA und der Nato die verknöcherte sowjetische Wirtschaft....
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Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Wirtschaft in einen Abwärtsstrudel gestürzt, aus dem sie sich wohl nicht mehr befreien kann, solange er in Moskau herrscht. Zehn Jahre nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan im Jahr 1979 fiel 1989 die Mauer, zwei Jahre später war die Sowjetunion Geschichte.
Die russische Wirtschaft könnte bereits innerhalb von fünf Jahren so einbrechen, dass sie in ihrer jetzigen Form nicht weiterbestehen kann.
5 Fakten über Russland:
- Vor vier Jahrzehnten überforderten die Kosten des Afghanistan-Einsatzes und des Wettrüstens mit den von Präsident Ronald Reagan geführten USA und der Nato die verknöcherte sowjetische Wirtschaft. Heute muss Russland einen noch wesentlich größeren Teil seiner begrenzten Mittel für das Militär ausgeben.
- Gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit im eigenen Land. Russland verliert einen Teil seiner besonders gebildeten städtischen Elite, ohne die kein modernes Land auf Dauer funktionieren kann.
- Wie bereits das Beispiel der DDR gelehrt hat (wieviel Stasi verträgt ein Land, bevor die Produktion leidet?), steigen die wirtschaftlichen Kosten der Repression im Zeitablauf an.
- Die westlichen Sanktionen gegen Russland lähmen das Land nicht unmittelbar. Aber sie wirken wie ein schleichendes Gift. Es fehlt immer mehr an Maschinen und Technologie aus dem Westen, die Russland für seine Industrie und für die Suche nach und Förderung von Rohstoffen gerade in der Arktis braucht. Die USA und Kanada haben hier viel zu bieten, China nicht.
- Die Anteil Russlands an der deutschen Warenausfuhr ist bereits von 2 Prozent im Jahr 2021 auf zuletzt nur noch 0,8 Prozent eingebrochen. Auch dies zeigt, wie sehr Russland sich von westlicher Technologie abgekoppelt hat.
Für Russland bahnt sich ein Teufelskreis an. Je mehr die Wirtschaft leidet, desto größer ist die Unzufriedenheit. Flüchten noch mehr Menschen, treibt dies das Land tiefer in die Krise. Die Entwicklung wird den Krieg nicht direkt beenden. Aber das System Putin wird in einigen Jahren an seine Grenzen kommen.
Für Deutschland und andere Teile Europas werden sich nach einem zeitlich begrenzten Rückschlag für die Konjunktur und einem ebenso zeitlich begrenzten Anstieg der Inflation die Schäden in Grenzen halten. Mit 67,5 Prozent Füllstand am 9. Februar 2023 sind die Erdgasspeicher der EU so gut gefüllt wie selten zuvor zu dieser Jahreszeit. Obwohl der russische Anteil an der Erdgaseinfuhr der EU von früher etwa 45 Prozent auf nur noch 8 Prozent gesunken ist, kommt Europa gut durch diesen Winter. Auch bereinigt um die Effekte des milden Winters verbraucht beispielsweise Deutschland jetzt 15 Prozent weniger Gas als früher.
Mit diesen Einsparungen brauchen wir uns auch vor dem Winter 2023/24 keine großen Sorgen machen. Die Märkte haben darauf bereits reagiert. Erdgas ist zwar mit etwa 60 Euro pro Megawattstunde immer noch dreimal so teuer, wie er es bis Anfang 2021 typischerweise war. Aber die Preisspitzen vom Spätsommer 2022, als wir nach den Anschlägen auf die Nordstream-Pipeline auf dem Spotmarkt kurzzeitig sogar bis zu 330 Euro pro Megawattstunde Erdgas zahlen mussten, werden wohl nicht wiederkehren.
Sofern die Energiepreise nicht erneut ins Unermessliche steigen, wird auch die Inflation sich wieder beruhigen. Der Prozess hat bereits begonnen. Trotz des weitgehenden Ausfalls Russlands als Lieferant von Erdöl, Erdgas und Kohle für Europa haben die Märkte ein neues Gleichgewicht gefunden – mit Sparmaßnahmen bei Verbrauchern und einem erhöhten Angebot aus anderen Ländern. Damit wird die Inflation in Deutschland und Europa bis zum Frühjahr 2024 wieder auf normale Werte von vermutlich etwa 2,5 Prozent fallen.
Dennoch dürfte der Putin-Schock die deutsche und europäischer Wirtschaft langfristig verändern. Um nicht noch einmal in eine solch missliche Lage zu geraten, forciert Europa seine Energiewende. Auch wenn zunächst wieder mehr Kohle und – außerhalb Deutschlands – mehr Nuklearenergie genutzt werden muss, dürften Erneuerbare Energien und Wasserstoff als sauberer Energiespeicher eine immer größere Rolle spielen.
Zusätzliche Ausgaben für Verteidigung und die Energiewende tragen zwar zur Nachfrage bei und stützen die Konjunktur. Sie binden aber auch Ressourcen, beispielsweise knappe Arbeitskräfte, die sonst anders eingesetzt werden könnten. Damit kann das Trendwachstum sich etwas zu verlangsamen. Dieser Effekt könnte allerdings weitgehend ausgeglichen werden, wenn es als Folge der rascheren Energiewende in diesem Sektor zu einem Innovationsschub kommt und Europa seine energiesparenden Technologien dann gewinnbringend auf dem Weltmarkt verkaufen kann.
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