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Quirin-Chefvolkswirt im Interview „ETFs bewegen nicht nur stumpfsinnig große Geldvolumina“

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Trotzdem müssen die Fondsanbieter doch zukaufen, was neu hinzukommt, und verkaufen, was herausfällt. Und auch die Gewichtung der Titel untereinander, wenn sie sich durch Kursbewegungen verändert hat, lässt sich auf diese Weise nicht wiederherstellen.

Dobbert: Wir wollen nicht behaupten, dass ein ETF alle Änderungen in der Index-Zusammensetzung dadurch abfedern kann, dass innerhalb des Fonds irgendeine Art von Transaktion ausgeführt wird. Das ist nicht das, was wir sagen. Wir wollen vielmehr zum Ausdruck bringen, dass die extreme Vorstellung, ein ETF müsse immer vollumfänglich und zu bestimmten Stichtagen umschichten, so nicht stimmt. Es gibt Steuerungsmechanismus auf der Fondsseite, die solche Entwicklungen glätten können.

Wir lesen immer wieder Stellungnahmen, bei denen wir das Gefühl haben: Die aktive Fondsindustrie möchte sich hier abgrenzen und stellt sich als die „lieben Fonds“ dar. Sie selbst destabilisierten die Märkte nicht. Aber die bösen ETFs, die müssen vermeintlich gleich alles mitmachen. Das wollen wir hinterfragen.

Allerdings hat der ETF doch ganz feste Anlageziele, während die aktiven Fonds nicht an den Index gebunden sind.

Dobbert: Ja, aber sie haben auch eine Benchmark. Ein deutscher Standardwerte-Fonds mit dem Dax als Benchmark ist nicht völlig frei, komplett andere Titel auszusuchen. Er ist zwar nicht gezwungen, zu einem bestimmten Stichtag, wenn der Dax sich ändert, auch sein Portfolio zu ändern. Aber eine deutliche Diskrepanz zum Dax zu haben, wird für ihn trotzdem schwierig. So völlig frei sind die aktiven Fonds auch nicht.

Sie sagten, dass auch die Market Maker als ein Puffer wirken können. Wie meinen Sie das?

Dobbert: Die ETF-Anbieter geben nicht unbedingt genau zu dem Stichtag, zu dem ein Titel aus dem Index verschwindet, auch die Order an die Börse, all diese Papiere zu verkaufen. Stattdessen werden Market Maker für die ETFs tätig. Und an diese Market Maker tritt nicht nur dieser eine ETF-Anbieter heran, der das Papier verkaufen möchte. Sondern es gibt auch immer wieder Kunden, die dasselbe Papier ankaufen möchten. Also wechseln hier ganz marktschonend und abgepuffert die Wertpapiere den Besitzer. Wenn der ETF etwas verkauft, fließt das also nicht unbedingt immer eins zu eins in die Kurse ein.

Aber wenn jetzt ein Unternehmen neu in den Index kommt, dann müssen die ETFs doch erst mal ganz stark kaufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Market Maker das so gut ausgleichen können.

Dobbert: Das, was die Market Maker leisten, spielt sicher als Kompensation eine Rolle. Und wenn wir jetzt auf das ganz große Bild gehen: Wir müssen im Hinterkopf behalten, dass wir trotz des aus Anlegersicht erfreulichen Siegeszugs der ETFs in den vergangenen Jahren nach wie vor immer noch mehr klassische aktiv gemanagte Aktienfonds haben, die deutlich größere Volumina bewegen. Und natürlich hat auch ein aktiver Fonds, der den Dax als Benchmark hat, ein großes Interesse an einem Titel, der voraussichtlich maßgeblich die Dax-Performance treiben wird. Auch ein aktiv gemanagter Fonds mit Dax-Referenz wird nicht umhin kommen, einen Titel wie zum Beispiel Wirecard zu kaufen. Das ist kein ETF-Spezifikum. Aufgrund des Automatismus, der für ETFs vorhanden ist, wird es natürlich so sein, dass ETFs eine Aktie wie Wirecard natürlich kaufen müssen, wenn der Titel in den Index kommt. Aber das ist nichts, was in der aktiven Fondsbranche nicht auch stattfindet.

Erst haben Sie gesagt, dass ETFs nicht so stark die Kursbewegungen beeinflussen. Jetzt argumentieren Sie, dass die aktiven Fonds das auch tun.

Dobbert: Jeder, der an der Börse Titel kauft, beeinflusst die Kursbewegungen. Worauf wir hinauswollen mit unserem Statement: Man sollte sich nicht dem Glauben hingeben, dass ETFs in einer übermäßigen und destabilisierenden Art und Weise handeln müssen – durch die Art, wie sie funktionieren. Und man sollte auch nicht glauben, dass es keine anderen Akteure am Markt gibt, die die Kurse von Wertpapieren beeinflussen könnten.

Es ist natürlich so, dass es auf den Preis einen Einfluss hat, wenn große Volumina ge- oder verkauft werden. Aber es ist verkürzt zu sagen, dass ETFs einfach immer automatisch agieren und dass sie alles, was passiert, sofort über den Markt handeln müssen. Und dass sie deshalb die Finanzmärkte destabilisieren – im Gegensatz zu allen anderen Akteuren. Das trifft aus unserer Sicht definitiv nicht zu. 


Über den Interviewten:
Philipp Dobbert ist Chefvolkswirt bei der Quirin Privatbank. Gleichzeitig leitet er stellvertretend den Bereich Asset Management.

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