Branchentrend oder Einzelfälle? Versicherungsriesen steigen aus: Stehen Ratings zur Disposition?
Stehen Ratings bei Versicherern auf dem Prüfstand? Wie jetzt bekannt wurde, haben sich zumindest zwei große Versicherer aus etablierten Rating-Verfahren zurückgezogen. Manch einer vermutet dahinter, den wachsenden Kostendruck in den Unternehmen.
Allianz und HUK-Coburg mit Teilrückzug
Die Huk-Coburg begründet gegenüber DAS INVESTMENT ihren Ausstieg aus den Unternehmens- und Bonitätsratings von Assekurata allerdings anders, und zwar mit der zunehmenden Unübersichtlichkeit der Rating-Landschaft. Laut eines Sprechers des Unternehmens wird es für Kunden immer schwieriger, aus der Vielzahl der Bewertungen einen konkreten Mehrwert zu ziehen. Für einen großen Versicherer im Privatkundengeschäft hätten die Ratings daher an Bedeutung verloren.
Die Allianz Private Krankenversicherung wiederum hatte kürzlich bei einem Rating zur betrieblichen Krankenversicherung des Beratungsunternehmens Institut für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) ausgesetzt. Der Versicherungskonzern erklärt dazu, dass die Teilnahme an jedem Rating-Verfahren separat geprüft werde und man sich entschieden habe, einmalig nicht teilzunehmen. Warum, bleibt unklar. Die eigenen Erfahrungen zeigten, dass Ratings für Kunden bei der Produktwahl weiterhin bedeutsam sind und vom Vertrieb entsprechend eingesetzt werden.
Rating-Agenturen sehen stabiles Geschäftsmodell
Beim IVFP gibt man sich gelassen und verweist auf aktuelle Zahlen: Eine Makler-Befragung der BBG Betriebsberatung habe gezeigt, dass 71,3 Prozent der Vermittler Produktratings bei der Auswahl im Bereich der privaten Vorsorge heranziehen. Laut IVFP-Chef Michael Hauer werden qualitativ hochwertige Ratings in einer zunehmend komplexen Welt auch künftig gebraucht.
Bei Morgen & Morgen beobachtet man die aktuelle Entwicklung differenziert. „Die Zeiten der automatischen Verlängerung sind vorbei. Versicherungsunternehmen prüfen zunehmend sehr genau, ob ein Siegel zu ihren aktuellen Vertriebsstrategien passt“, erklärt Geschäftsführer Klaus Strumberger. Eine generelle Abkehr von Ratings sehe man jedoch nicht. Point-of-Sale-Betrachtungen zeigten, dass Ratingergebnisse in der Beratungspraxis weiterhin intensiv genutzt würden.
Auch Franke und Bornberg verzeichnet nach eigenen Angaben kein sinkendes Interesse. „Im Gegenteil: Insbesondere in Bereichen wie der Arbeitskraftabsicherung sehen wir seit Jahren ein wachsendes Interesse“, sagt Geschäftsführer Michael Franke. Gerade bei komplexen Versicherungsprodukten oder neuen Marktsegmenten wie der Grundfähigkeits- und Cyberversicherung trügen Ratings zur Schaffung von Marktstandards bei.
Wie geeignet sind standardisierte Bewertungen?
Die tatsächliche Bedeutung von Ratings in der Beratungspraxis ist vielschichtig. Während die Rating-Agenturen auf ihre hohen Nutzungsquoten verweisen, warnen Praktiker vor einer zu starken Fokussierung auf standardisierte Bewertungen. Besonders bei komplexen Produkten wie der Berufsunfähigkeitsversicherung oder der betrieblichen Altersvorsorge spielten individuelle Faktoren oft eine größere Rolle. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Produktentwicklung selbst: Experten beobachten einen Trend, dass Versicherungsprodukte gezielt für Ratingagenturen optimiert werden – oft zulasten sinnvoller Vertragsbedingungen, die nicht in die Bewertungskriterien einfließen.
Hallo, Herr Kaiser!
In der Vermittler-Praxis spielen Ratings kaum eine Rolle
Stimmen auf dem Vermittlerschaft bestätigen die kritische Sicht: „Für mich spielen Ratings keinerlei Rolle in der Beratung“, sagt der bekannte Makler und DAS INVESTMENT-Experte Tobias Bierl. Wenn, dann seien sie in seinem Beratungsfeld, der Berufsunfähigkeit, für Verbraucher auf den ersten Blick ein guter Hilfsbegleiter. Bierl verweist auf wichtige Faktoren wie Servicequalität, Schadenbearbeitung und Beitragsstabilität, die in den gängigen Ratings meist keine Berücksichtigung finden. „Oftmals sind es die Ratings/Testsieger, welche einige Jahre später massiv erhöhen oder Serviceprobleme haben“, warnt er.
Auch DAS INVESTMENT-Experte Frederik Borchardt, sieht die Ratings skeptisch: „Zu oft haben sich Ratings als fehlerhaft erwiesen.“ Besonders kritisch sieht er die Inflation von Bestnoten, die eine sinnvolle Differenzierung unmöglich machten. Stattdessen setzt er auf eigene Analysen der Versicherungsbedingungen und konkrete Risikobewertungen der Versicherer im Rahmen von Voranfragen. „Ratings und Siegel spielen in meiner Beratung eine völlig untergeordnete Rolle.“
Der bekannte BU-Makler Gudio Lehberg sagt zu dem Thema: „In meiner Beratung spielen Ratings und Siegel gar keine Rolle. Zum einen, weil diese aus meiner Sicht inflationär vergeben werden und ein völlig falsches Signal an Verbraucher senden - egal, was Du nimmst, alles ist super - und zum anderen, weil bei der Vergabe und diesen Auszeichnungen nicht selten finanzielle Interessen im Vordergrund stehen. Aus meiner Sicht besteht die Arbeit eines Versicherungsmaklers darin Bedingungen zu lesen, auszuwerten und bedarfsgerechten Versicherungsschutz an seine Kunden zu vermitteln.“
Etwas positiver ist lediglich die Einschätzung von DAS INVESTMENT-Experte Tino Weissenrieder: Ratings und Siegel hätten für den Vertrieb eine gewisse Orientierung, auch wenn sie für die Endauswahl nicht ausschlaggebend seien. Auch er nutzt sie nach eigener Aussage. „Bei Unternehmen, die nicht teilnehmen, frage ich mich schon, warum man sich nicht dem Wettbewerb stellt.“
Rating-Geschäftsmodell immer wieder in der Kritik
Generell stehen die Untersuchungen vieler Institute immer wieder in der Kritik. Dabei geht es oft um Intransparenz, eine anbieterfreundliche Bewertung oder die Untersuchungsmethodik, die viele vermeintliche Auszeichnungen oder Sieger produziert. Die etablierten Rating-Agenturen müssen hier seit Jahren auch mit der wachsenden Konkurrenz von Verlagen und Marktforschungsunternehmen wie Service Value leben, die mit eigenen Untersuchungen für sich reklamieren, zum Beispiel durch Kundenbefragungen die angebliche Fairness von Versicherern zu untersuchen.
Kritik an der Praxis äußerte zum Beispiel die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. In einer Stichprobe stießen die Verbraucherschützer auf eine auffällige Häufung von Bestnoten und Topbewertungen. Klar ist, dass Versicherer für die Nutzung von Qualitätssiegeln zu Vertriebs- und Marketingzwecken in der Regel Lizenzgebühren zahlen, oft im fünfstelligen Bereich für ein Jahr – eine Praxis, die Fragen nach der Unabhängigkeit der Bewertungen aufwirft.