Rechtsanwalt Christian Waigel „Viele Probleme mit Mifid II sind hausgemacht“
Das Bundesfinanzministerium hat in zwei Schreiben an die Europäische Kommission Änderungen an der Finanzmarktrichtlinie Mifid II und verwandten Regulierungsmaßnahmen wie Mifir und Priips-Verordnung gefordert. Viele Verbesserungswünsche wären allerdings gar nicht nötig gewesen, sagt Rechtsanwalt Christian Waigel von der Münchner Kanzlei Waigel Rechtsanwälte. Denn die Richtlinie sei bei genauer Betrachtung eigentlich gar nicht so strikt wie sie mittlerweile ausgelegt wird. „Letztlich wurden die Probleme verursacht, weil die Aufsichtsbehörden, nämlich die Esma und die Bafin, über das Vehikel der delegierten Rechtsakte ein Wünsch-dir-was-Programm umgesetzt haben.“
Wo die Mifid II Auslegungsspielräume lässt, kann die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde Esma der EU-Kommission jeweils Vorschläge zur detaillierten Ausgestaltung unterbreiten. Stimmt die Kommission diesen Vorschlägen dann zu, werden daraus verbindliche Regeln. Waigel glaubt: „Hätte sich die Bundesregierung etwas mehr um dieses Detailwerk gekümmert, bestünde nun nicht die Notwendigkeit, wieder zurückzurudern“.
Der Rechtsanwalt hat auch Beispiele parat – etwa die Telefonaufzeichnungspflicht, das sogenannte Taping. Es stößt in der Finanzdienstleisterbranche auf besonders großes Missfallen. „Bei der Telefonaufzeichnung verlangt die Mifid II eigentlich nicht, das gesamte Beratungsgespräch aufzuzeichnen“, erinnert Waigel. Problematisch empfinde man in der Branche nicht nur den finanziellen Aufwand oder die technische Umsetzung. Kopfzerbrechen bereite vor allem, wie das Datensammeln per Telefonaufzeichnung einerseits mit der Pflicht zum Dokumentieren und andererseits mit dem Datenschutz vereinbar sei. Denn nur wenige Monate nach Start von Mifid II wurde im Mai 2018 auch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) scharf geschaltet. „Die DSGVO verlangt Datensparsamkeit, während andererseits die Institute nach dem Willen der Bafin umfangreichste vertrauliche Daten aufzeichnen und speichern sollen“, benennt Waigel den Zwiespalt, in dem Vermittler stecken.
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Auch beim Thema Product Governance sei die Esma in Waigels Augen übers Ziel hinausgeschossen – also über die Vorgaben, die eigentlich in der Mifid II stehen. In diesem Fall werde jedoch auch ohne den Einspruch der Bundesregierung mittels einiger Verwaltungsvorschriften schon wieder zurückgerudert. „Inzwischen werden die Anforderungen an Product Governance und Geeignetheitsprüfung harmonisiert und stark angeglichen“, so Waigel. Im Ergebnis hätten die Vorschriften zunächst einen Riesenaufwand verursacht, „den man sich bei vorherigem Durchdenken auch hätte sparen können“, glaubt Waigel.
Kritisch sieht Waigel auch den Punkt Kostentransparenz. „Auch hier entsteht die Problematik nur, weil Aufsichtsbehörden eine extrem strenge Umsetzung verlangen, die kostentreibend ist, weil sie zum Beispiel eine elektronische Postbox für jeden Bankkunden fordert.“ Die strengen Anforderungen sollten andererseits auch keine innovativen Lösungen verhindern, indem sie dem Kunden etwa digitale Kommunikationswege mit der Bank verbauten.
Ein weiteres Problem, mit dem sich die Finanzdienstleister seit Mifid-II-Start herumärgerten, seien die überbordenden Informationen. Kunden werden damit gleich von mehreren Seiten überhäuft: von Anlageberatern, Vermögensverwaltern und noch den Depotbanken. „Die Information ist inflationär und bewirkt leider genau das Gegenteil“, beobachtet Waigel. Viele Informationen – darunter auch die wirklich wichtigen – wanderten einfach in den Papierkorb. „Hier wäre es dringend erforderlich, eine Revision durchzuführen.“ Die Informationspflichten sollten auf die essenziellen Risiken eingedampft werden. Waigel bedauert: Diesen Punkt habe das BMF leider nicht in seinen Forderungskatalog aufgenommen.