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Rente, Gehalt, Statistik: Ein Kulturführer durch die Griechenlandkrise

Georg Graf von Wallwitz, Geschäftsführer<br>der Vermögensverwaltung Eyb & Wallwitz
Georg Graf von Wallwitz, Geschäftsführer
der Vermögensverwaltung Eyb & Wallwitz
Die Griechenlandkrise, die eigentlich eine Euro-Krise ist, ist wie ein Drama ohne Katharsis. Ein Elend, das immer weiter geht,das kein Ende finden kann. κρίσις heißt eigentlich Entscheidung  oder Zuspitzung, aber die gegenwärtige Krise passt nicht in das Wort, denn sie ist eine endlose Zuspitzung ohne Entscheidung. Sophokles hätte die €-Krise, anders als etwa die Perserkriege, nicht dramatisieren können. Die Katharsis, die im griechischen Drama auf die Krisis folgt, bedeutet eine Lösung, eine Reinigung, wie auch immer. Das Drama endet meist mit dem Tod eines der Protagonisten, mit Tränen, mit Trauer. Nach der Katharsis kann es jedenfalls weiter gehen, meist bei Null. Dieses „Gehe-zurück-zur-Badstraße“ ist insofern ein Fortschritt, als die alten Lasten und Verwicklungen nicht mehr drücken und die Überlebenden frei in die Zukunft blicken können. In der Griechenland-Krise weigern sich aber bislang alle Protagonisten strikt, das Opfer zu werden. Aber ohne Opfer kein Ende des Dramas, jedenfalls wenn es nach der antiken Dramentheorie geht.

Die Entscheidungsschwäche (gr. ἀκρασία) der Akteure, die der Grund für die Endlosigkeit der Krise ist, kommt daher, dass es keine Lösung gibt, mit der einer der Beteiligten richtig zufrieden sein könnte und die er daher konsequent verfolgen würde. Es gibt, wie man es in der Spieltheorie ausdrückt, keine dominante Strategie. Wenn aber keine Lösung wirklich verfolgt wird, dauert es lange, bis eine gefunden wird, denn sie hängt vom Zufall ab. Die Optionen sind klar, aber keiner will sie haben. Vielleicht wird das Problem einfach nur falsch formuliert. Vielleicht liegt der tiefere Grund des Problems darin, dass es in wirtschaftlichen Kategorien formuliert wird, wir am Ende aber nicht so sehr ein ökonomisches, als vielmehr ein soziokulturelles Problem haben.

Ökonomisch formuliert lautet das Problem:

Die PIGS haben die Zeit der niedrigen Zinsen nicht genutzt und sich durch wirtschaftliche Unvernunft in eine Situation gebracht, die durch private und/oder öffentliche Überschuldung (weil Geld auf dem deutschen Zinsniveau so billig und lecker war), eine Fehlentwicklung der volkswirtschaftlichen Produktionsstruktur (vulgo: es wurde viel gebaut, aber keine Produktionsanlagen) und den Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gekennzeichnet ist (weil nicht mehr abgewertet werden kann).

Die Sache lässt sich aber auch als kulturelles Problem schildern.

Dazu muss man die Bilanzen in einem breiteren Kontext sehen, wie es etwa Michael Lewis in einem herrlichen Aufsatz für Vanity Fair getan hat. Beispielsweise reicht es nicht hin, zu wissen, dass die griechische Bahn pleite ist, man muss sich die Art der Pleite vergegenwärtigen: Einem jährlichen Umsatz von € 100 Millionen stehen dort Gehaltszahlungen von € 400 Millionen gegenüber, sowie € 300 Millionen an sonstigen Ausgaben. Ein durchschnittlicher Bahnangestellter verdient € 65.000 im Jahr, vom Schrankenwärter bis zum Lokomotivführer.

Oder: Es gibt in Griechenland kein zuverlässiges Grundbuch. Wenn der Staat nun Land verkaufen will, weiß der Käufer weder, ob es überhaupt dem Staat gehört, noch was er darauf bauen darf.

Oder: In Griechenland gehen Männer mit 55 in Rente und Frauen mit 50, wenn sie einen „mühevollen“ Beruf haben. Als „mühevoll“ sind etwa 600 Berufe klassifiziert, wie etwa Friseur, Radioansager, Kellner oder Musiker.

Oder: Erst seit dem letzten Sommer wird ein unabhängiges nationales Statistikamt aufgebaut. Bislang sind die Zahlen zur Verschuldung, zur Wirtschaftsleistung etc. von einer Unterabteilung im Finanzministerium gekommen und da wundert es nicht, wenn sie vor und nach jeder Wahl gründlich frisiert wurden.

Oder: Nur ein Drittel aller Ärzte in Griechenland zahlt überhaupt Steuern, der Rest verdient weniger als das steuerfreie Existenzminimum von € 12.000 im Jahr. Nicht mal 20% des Lohns eines Eisenbahners. Griechenland ist das Land mit der höchsten Quote von Selbständigen in Europa, was nicht verwundert, werden doch Unternehmer praktisch nicht besteuert. Und wenn einer doch mal zum Steuernzahlen herangezogen wird, kann er immer noch vor Gericht gehen, wo die Fälle bis zu 15 Jahre lang anhängig bleiben. So lange bis irgendjemand, die Richter oder das Finanzamt, keine Lust mehr haben.

In Griechenland fehlen die Strukturen, auf die eine moderne Wirtschaft aufsetzen könnte, geschweige denn ein Staat, der seine Schulden bedienen möchte. Griechenland ist in vieler Hinsicht heute deutlich hinter die Schwellenländer Asiens und Lateinamerikas zurückgefallen. Es sind nicht einige Milliarden hin oder her das Problem. Es ist die Kultur. Griechenland hat im Wesentlichen drei Möglichkeiten. Es kann die Drachme wieder einführen und abwerten, es kann einen Schuldenschnitt machen oder es kann sich über brutales Sparen und Transferleistungen der EU-Partner langsam aus dem Schuldensumpf befreien. Keine der Optionen ist für die Griechen, die EZB oder die Länder der Eurozone erbaulich, aber immerhin gibt es jeweils nicht nur ein worstcase-Szenario, sondern etwas Besseres. Allen Szenarien ist aber gleich, dass am Ende die Griechen einen erheblich niedrigeren Lebensstandard haben werden, mit mühevoller (nach griechischen Standards) Arbeit für wenig Geld (dito.)
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