- Startseite
- Versicherungen
-
Rentenfaktoren-Streit vorm BGH: Darauf dürfte Allianz hoffen

Das OLG Stuttgart hatte vor einigen Wochen eine Klausel der Allianz zur einseitigen Herabsetzung des Rentenfaktors bei Riester-Verträgen für unwirksam erklärt. Dass der Versicherer gegen dieses Urteil vor den BGH zieht, sei „ein strategisch nachvollziehbarer Schritt“, meint Rechtsexperte Tobias Strübing. Das kann der Gesellschaft große Vorteile bringen – oder ordentlich nach hinten losgehen. Und auf für die gesamte Branche hätte das Urteil ebenfalls schwerwiegende Folgen.
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat mit seinem Urteil vom 30. Januar 2025(Az. 2 U 143/23) eine Klausel für unwirksam erachtet, welche Lebensversicherungen ermächtigte, den Rentenfaktor einseitig zu reduzieren, wenn sich die Rechnungsgrundlagen verschlechterten. Das OLG kritisierte insbesondere, dass diese Klausel keine Rückanpassung bei einer Verbesserung der Rechnungsgrundlagen vorsah und auch keine adäquate Möglichkeit vorsah durch erhöhte Spareinlage auf eine Kürzung des Rentenfaktors zu reagiere. Damit, so das OLG, benachteiligt die Klausel den Versicherungsnehmer unangemessen und sei unwirksam.
Der Rechtsstreit wurde von einem Verbraucherschutzverband angestrengt. Dieser hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Klausel den Versicherungsnehmer unangemessen benachteilige und damit gegen Paragraf 307 BGB verstoße und außerdem zu Lasten der Versicherungsnehmer von den Regelungen des Paragraf 163 VVG abweiche. Paragraf 163 VVG lässt eine Prämie- und möglicherweise eine Änderung der Versicherungsleistung nur unter den dort konkret genannten Voraussetzungen zu.
Das Landgericht Stuttgart hatte die Klage zunächst abgewiesen und folgte zunächst den Argumenten des Versicherers. Dieser hatte ausgeführt, dass die Klausel notwendig sei, um die dauerhafte Erfüllbarkeit der Rentenzahlungen sicherzustellen. Zudem sei eine freiwillige Rückerhöhung des Rentenfaktors durch den Versicherer zugesagt worden.
Klarer Verstoß gegen das Transparenzgebot
Das OLG Stuttgart sah jedoch einen klaren Verstoß gegen das Transparenzgebot und den Grundsatz der beiderseitigen Leistungsanpassung. Gemäß Paragraf 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Klauseln unwirksam, die den Vertragspartner unangemessen benachteiligen. Eine solche Benachteiligung liegt vor, wenn eine Klausel einseitig zu Lasten des Verbrauchers wirkt. Das OLG Stuttgart befand, dass die streitige Klausel diese Voraussetzung erfüllt, da sie nur eine Reduzierung des Rentenfaktors vorsieht, nicht aber dessen Anhebung im Falle verbesserter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Verstärkend kam laut dem OLG hinzu, dass der Versicherungsnehmer laut den Bedingungen auch keine adäquate Möglichkeit hatte, einer etwaigen Anpassung durch Sonderzahlungen entgegenzuwirken.
Die für unwirksam erklärte Klausel lautete:
„Wenn aufgrund von Umständen, die bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar waren, die Lebenserwartung der Versicherten sich so stark erhöht oder die Rendite der Kapitalanlagen (siehe Paragraf 25 Abs. 1 a Satz 4) nicht nur vorübergehend so stark sinken sollte, dass die in Satz 1 genannten Rechnungsgrundlagen voraussichtlich nicht mehr ausreichen, um unsere Rentenzahlungen auf Dauer zu sichern, sind wir berechtigt, die monatliche Rente für je 10.000 Euro Policenwert so weit herabzusetzen, dass wir die Rentenzahlung bis zu Ihrem Tode garantieren können.“
Ausdrücklich offen gelassen hat das OLG allerdings die Rechtsfrage, ob die Klausel gegen Paragraf 163 VVG verstoße und deswegen unwirksam sein könnte. Nach Paragraf 163 VVG darf der Versicherer eine Prämienanpassung nur vornehmen, wenn sich der Leistungsbedarf nachhaltig und unvorhersehbar verändert hat. Zudem hat der Versicherungsnehmer das Wahlrecht, zwischen einer Prämienerhöhung oder einer Reduzierung der Leistung zu entscheiden. Die beanstandete Klausel wich hiervon zum Nachteil des Versicherungsnehmers ab, indem sie einseitig eine Rentenkürzung ermöglichte, ohne eine alternative Kompensation durch zusätzliche Einzahlungen zuzulassen.
Erhebliche Auswirkungen auf Fondspolicen-Anbieter
Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Versicherungsunternehmen, insbesondere auf Anbieter fondsgebundener Altersvorsorgeprodukte. Künftig dürften Klauseln, die einseitige Leistungsanpassungen zulasten des Versicherungsnehmers vorsehen, einer verstärkten richterlichen Kontrolle unterzogen werden. Versicherer müssen ihre Vertragsbedingungen überarbeiten und für mehr Transparenz sowie einen angemessenen Ausgleich der Interessen sorgen.
Für Verbraucher bedeutet das Urteil einen verbesserten Schutz vor einseitigen Vertragsänderungen. Versicherungsnehmer sollten bestehende Riester-Rentenverträge und deren Anpassungsklauseln prüfen lassen, um unzulässige Benachteiligungen zu identifizieren. Im Falle einer unzulässigen Rentenkürzung könnte ein rechtliches Vorgehen auf Grundlage des Urteils erwogen werden. Genau an dieser Stelle dürften auch Beratungspflichten von Versicherungsvermittlern jedenfalls für den Fall ansetzen, dass Lebensversicherer aktiv derartige Klausel für Vertragsanpassungen zum Nachteil des Kunden nutzen oder genutzt haben. Um Verstöße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz zu vermeiden, sollten Versicherungsvermittler dann aber die Beratung und gegebenenfalls Vertretung durch einen Rechtsanwalt empfehlen.
Argument des OLG „mehr als nachvollziehbar“
Das Urteil des OLG Stuttgart setzt grundsätzlich ein klares und aus meiner Sicht richtiges Zeichen für den Verbraucherschutz in der privaten Altersvorsorge. Aus unserer Sicht ist auch das tragende Argument des OLG mehr als nachvollziehbar. Klauseln, die einseitige Rentenkürzungen erlauben, ohne eine Rückanpassung bei verbesserten Rechnungsgrundlagen vorzusehen, geben einseitig der Versicherung Vorteil und benachteiligen damit Versicherungsnehmer, die auf die Altersvorsorge angewiesen sind. Versicherer müssen ihre Vertragsgestaltung überdenken, während Verbraucher von einem gestärkten Rechtsschutz profitieren. Die Entscheidung wird voraussichtlich auch Einfluss auf weitere anhängige Verfahren haben, insbesondere auf die Revision vor dem Bundesgerichtshof.
Das die Allianz dagegen die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt hat, ist aus anwaltlicher Sicht ein strategisch nachvollziehbarer Schritt, insbesondere aus der Perspektive der Versicherungswirtschaft. Dabei sind verschiedene rechtliche und wirtschaftliche Überlegungen zu berücksichtigen:
Die Entscheidung des OLG Stuttgart betrifft nicht nur einen Einzelfall, sondern wirft grundsätzliche Fragen des Versicherungsvertragsrechts auf, insbesondere im Hinblick auf:
- Die Auslegung von Paragraf 163 VVG: Die Beklagte argumentiert, dass Paragraf 163 VVG keine Pflicht zur Rückanpassung vorsieht und ihre Klausel deshalb nicht gegen zwingendes Recht verstößt.
- Die Grenzen der AGB-Kontrolle nach Paragraf 307 BGB: Die Frage, inwieweit eine Klausel, die nur eine Absenkung des Rentenfaktors, aber keine Rückanpassung vorsieht, eine unangemessene Benachteiligung darstellt, könnte für viele vergleichbare Vertragswerke relevant sein.
Der BGH wird klären müssen, ob das OLG Stuttgart zu Recht von einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers ausgegangen ist. Eine höchstrichterliche Entscheidung wäre für die gesamte Branche richtungsweisend.
Die Beklagte kann darauf hoffen, dass der BGH entweder:
- Die Klausel doch als zulässig einstuft, etwa mit der Begründung, dass Paragraf 163 VVG nicht zwingend eine Rückanpassung erfordert und die Klausel deshalb nicht von einer gesetzlichen Regelung abweicht.
- Zumindest eine differenzierte Betrachtung vornimmt, etwa indem er eine teilweise Unwirksamkeit annimmt oder die Möglichkeit einer freiwilligen Kompensation durch den Versicherer berücksichtigt.
Sollte der BGH der Argumentation der Beklagten folgen, könnte dies die Rechtsprechung für künftige Anpassungsklauseln prägen.
OLG-Urteil hat Signalwirkung
Da viele Versicherer vergleichbare Klauseln verwenden dürften, hat das Urteil des OLG Stuttgart Signalwirkung. Eine Bestätigung durch den BGH könnte zahlreiche Versicherer zur Anpassung ihrer Verträge zwingen und zu einer Welle von Verbraucherklagen führen. Durch die Revision wird eine höchstrichterliche Klärung angestrebt, die entweder den Versicherungsgesellschaften mehr Spielraum gibt oder die Unwirksamkeit der Klausel für die gesamte Branche bestätigt.
Durch das Einlegen der Revision wird die Rechtskraft des Urteils zunächst hinausgezögert. In dieser Zeit kann die Branche mögliche Anpassungen ihrer Vertragsbedingungen vorbereiten und sich auf verschiedene Szenarien einstellen. Zudem könnte es dazu führen, dass betroffene Versicherungsnehmer zögern, selbst Klage zu erheben, da sie die Entscheidung des BGH abwarten wollen.
Sollte der BGH entgegen der Entscheidung des OLG Stuttgart urteilen und die Klausel für wirksam erklären, könnte dies der Beklagten helfen, mögliche Rückforderungen oder Schadensersatzansprüche von Versicherungsnehmern zu vermeiden.
Sollte der BGH die Entscheidung des OLG Stuttgart bestätigen, wäre dies eine bindende höchstrichterliche Klärung, die künftig jede Versicherung beachten müsste. Dies könnte erhebliche wirtschaftliche Folgen für die Branche haben, etwa durch notwendige Vertragsanpassungen oder sogar Rückforderungen betroffener Versicherungsnehmer.
Strengere Maßstäbe für Anpassungsklauseln möglich
Der BGH könnte nicht nur das Urteil bestätigen, sondern darüber hinaus strengere Maßstäbe für Anpassungsklauseln formulieren. Dies könnte zu einer Verschärfung der Anforderungen an Klauseln in Altersvorsorgeverträgen führen und die Versicherer langfristig stärker einschränken.
Aus juristischer Sicht ist die Revision der Beklagten zum BGH eine logische und strategisch sinnvolle Maßnahme, da es sich um eine Grundsatzfrage des Versicherungsvertragsrechts handelt, die viele vergleichbare Fälle betrifft. Während die Revision Zeitgewinn bringt und eine für die Versicherer günstigere Entscheidung bewirken könnte, birgt sie gleichzeitig das Risiko, dass der BGH die OLG-Entscheidung bestätigt oder sogar weitergehende Anforderungen an Versicherungsverträge stellt.
Ob die Beklagte letztlich Erfolg haben wird, hängt von der Argumentation vor dem BGH und der rechtlichen Bewertung der Klausel im Lichte des Paragraf 307 BGB und Paragraf 163 VVG ab. Eine höchstrichterliche Entscheidung wird nicht nur die betroffene Versicherung, sondern die gesamte Branche betreffen.
Über den Autor:
Tobias Strübing ist Fachanwalt für Versicherungsrecht bei der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte.