Zwölf Jahre ging ich zur Schule, sechs Jahre habe ich studiert. Mittlerweile bin ich Volontärin in einem Verlag. Und plötzlich sitze ich wieder auf der Schulbank in einem Seminarraum zwischen Studierenden. Doch hier bin ich, an der Hamburg School of Business Administration, kurz HSBA.
Zu Recherchezwecken schlüpfe ich für einen Tag wieder in die Rolle einer Studentin. Ich möchte herausfinden, wie es um den Nachwuchs im Finanz- und Versicherungswesen bestellt ist. Denn der Fachkräftemangel in der Branche ist auch bei uns in der Finanzredaktion immer wieder Thema.
Die Hamburg School of Business Administration
Am Rödingsmarkt – ein Steinwurf von der Elbphilharmonie und den Landungsbrücken im Hamburger Hafen entfernt – treffe ich Klaus Waubke. „Moin, ich bin Klaus. Wir duzen uns, oder?“, begrüßt er mich und reicht mir die Hand. Klaus ist zuständig für Bewerberrekrutierung und Unternehmenskooperationen, stolz trägt er ein blaues HSBA- Shirt. Er ist heute mein Guide durch die Welt des dualen Studiums an der Business School.
Die HSBA bietet vier Bachelor-Studiengänge in Betriebswirtschaftslehre an und zählt rund 1.000 Studierende. Das duale Studienmodell teilt sich in einen A- und B-Track auf: Drei Monate Theorie an der Hochschule wechseln sich mit drei Monaten Praxis im Ausbildungsunternehmen ab. Wenn ein Schwung Studierender in die Praxisphase geht, kommt die andere Hälfte für die Lehre zurück.
Studieren im Finanzschwerpunkt: Mergers & Acquisitions
Im sechsten Stock erwartet uns Philipp Zaeh schon vor dem Seminarraum. Er ist Professor für Unternehmensrechnung und Steuern und leitet den Kurs „Mergers & Acquisitions", wo Studierende im Finanzschwerpunkt ihre Abschlussvorträge halten.
Die Themen, merke ich, sind auch interessant für unsere Redaktion. Philipp begrüßt die Studierenden und legt die Reihenfolge fest: „Ich schlage vor, wir starten mit Venture Capital und arbeiten uns über Start-up-Bewertungen zu IPOs und alternativen Börsengängen voran.“ Ein Studententeam hat schon alles für ihren Vortrag über die Daimler-Chrysler-Fusion aufgebaut, muss sich nun jedoch bis zum Ende gedulden. Stattdessen tritt Emily, eine Studentin von KPMG, mit ihrem Laptop nach vorne.
Während die Präsentationen laufen, fällt mir der Dresscode auf: Die Studenten, die nacheinander in kleinen Gruppen nach vorne gehen, tragen Hemdkragen und Anzughosen. Ich frage mich, ob sie sich bereits an ihre späteren Stationen in der Finanzbranche anpassen. Selbst die weißen Turnschuhe fügen sich in dieses Bild ein, denn die sieht man auch immer häufiger auf Kongressen in der Branche.
Als ich an der Uni Hamburg Germanistik studiert habe, gab es mehr Vintage-Kleidung – und mehr Studentinnen. Emily, die einzige Studentin bei den mündlichen Prüfungen erzählt mir später, dass im Modul insgesamt 21 Jungs und drei Mädchen sind. „Im Marketingschwerpunkt ist das Verhältnis dafür andersrum“, fügt sie hinzu. Damit scheint die Frauenquote im Finanzschwerpunkt einen weiteren Stereotyp der Branche abzubilden.
Ein Viertel der Absolventen steigt in der Finanzbranche ein
Beim Mittagessen frage ich Philipp und Klaus nach den HSBA-Absolventen. „Etwa 25 Prozent unserer rund 300 Absolventen pro Jahr landen in der Finanz- und Versicherungsbranche“, erklärt Klaus. „Nicht nur im Schwerpunkt Finance, sondern auch in weiteren Vertiefungen.“
Die HSBA hat einen berufsbegleitenden Bachelor in Versicherungsmanagement eingestellt, da er sich nur an Fachwirte richtete und damit zu speziell war. Trotzdem studieren viele im Finanzschwerpunkt dual bei Versicherungen. Dort lernen sie beides: Versicherungen und Kapitalanlage. Philipp betont: „Versicherungen sind ein Riesenthema, das wir weiter ausbauen werden. Versicherungen und Banken.“
Angeboten wird aber auch ein sogenannter „Minor“-Schwerpunkt Versicherungsmanagement. Dieser lässt sich mit dem Minor Finance kombinieren, wie es viele Studierende bei Versicherungsunternehmen machen. Ein Beispiel dafür ist Linus, der dual bei der Signal Iduna studiert. Zurück im Seminarraum erzählt er mir, dass er auch eine Praxisphase bei der zugehörigen Privatbank Donner und Reuschel absolviert. Seine genauen Berufspläne nach dem Studium sind noch offen.
Herausforderungen und Chancen des dualen Modells
Nach dem Seminar schlendere ich mit Klaus durch das Gebäude, dabei spreche ich ihn auf die Rückmeldungen an, die ich von anderen Ausbildungsleitern gehört habe: Der Drei-Monats-Rhythmus kann auch schwierig sein. „Für kleinere Unternehmen kann es herausfordernd sein“, räumt Klaus ein. „Aber der Mehrwert ist groß: Die Studierenden können in der Praxisphase richtig rangenommen werden.“
Klaus gibt auch zu: „Der zentrale Standort und die Qualität der Lehre haben ihren Preis.“ Unternehmen investieren in ihre Auszubildenden, indem sie die Studiengebühren übernehmen und eine Ausbildungsvergütung zahlen. Dafür ist der Verbleib der Studierenden nach ihrem Abschluss in der Firma vertraglich geregelt.
Die Erfahrungen der Studierenden mit dem dualen Modell sind unterschiedlich. Während Emily die veränderten Tagesabläufe betont, wenn im Betrieb teilweise 60-Stunden-Wochen gearbeitet werden und an der Uni um 13 oder 15 Uhr Schluss ist, fühlte sich die Absolventin Leonora jederzeit gleich stark ausgelastet.
Mit Leonora und ihrem einstigen Ausbildungsleiter Hans-Dirk Kämpfer von PPI, einem auf Versicherungen und Finanzdienstleister spezialisierten Beratungs- und Softwareunternehmen, habe ich nach meinem Besuch in der Hochschule gesprochen. „Ich fand die Abwechslung zwischen drei Monaten Praxis und drei Monaten Theorie sehr wertvoll. Man kann sich jeweils stark auf die Inhalte fokussieren und die vertieften Themen aus der Theorie gleich in der nächsten Praxisphase anwenden“, sagt sie, gibt aber auch zu bedenken, dass jeder, der dual studiert, wissen sollte, was das bedeutet: „Sehr hohe Motivation und Selbstdisziplin.“
Von den Grundlagen zur Anwendung
„Ein grundständiges BWL-Studium muss die Basics vermitteln“, erklärt Klaus, „Zwangsläufig müssen da auch Dinge gelernt werden, die man später nicht mehr braucht.“ Nicht alles aus dem Studium brauchen die Studenten direkt im Job. Dennoch betont er das „aufgeräumte und entstaubte Curriculum“.
Leonora hat aus ihrem Studium wertvolle Inhalte für ihre heutige Arbeit im Consulting mitgenommen: „Grundsätzlich lernt man bei Business Administration, was ein Unternehmen alles braucht: an Menschen, an Abteilungen, an Entscheidungen, an Ressourcen. Alle Unternehmen sind im Kern ähnlich aufgebaut. Das hilft mir heute, meine Kunden besser zu verstehen.“
Die Kooperation zwischen Leonoras Ausbildungsbetrieb PPI und der HSBA begann ursprünglich wegen des ehemaligen Studiengangs Versicherungsmanagement. PPI-Ausbildungsleiter Kämpfer versteht jedoch, dass man Studierende nicht zu früh auf einen Bereich festlegen kann: „Die sind noch zu jung. Wenn sie von der Schule kommen, haben sie noch keine konkrete Vorstellung vom Arbeitsleben. Sowohl unsere Studierenden als auch wir fahren besser damit, wenn die jungen Leute erstmal alles kennenlernen und sie dann selbst ein Gefühl dafür entwickeln, wo es hingehen soll.“
Konkurrenz und beliebte Branchen: Bewerbungssituation an der HSBA
An der HSBA gibt es oft mehr Bewerber als Plätze. Die Konkurrenz, vor allem in den Studiengängen Business Administration und International Management, ist hoch. Bei den beliebten Unternehmen liegen die Bewerberzahlen teilweise im dreistelligen Bereich. „Viele wünschen sich ein internationales Umfeld oder Marketing, oder am besten internationales Marketing“, fasst es Klaus zusammen.
Wer gewillt sei, Business Informatics oder Logistics Management zu studieren, hätte weniger Konkurrenz. Zudem „wäre es nicht schlau, nur ein Unternehmen anzuschreiben“, erinnert auch Leonora, die sich selbst bei mehreren Unternehmen beworben hat.
Trotz des allgemeinen Andrangs kämpft die Finanzbranche mit Nachwuchsproblemen. „Am schwierigsten ist es für die Finanzbranche, Bewerber zu finden. Versicherer, Banken, Wirtschaftsprüfer haben es besonders schwer“, resümiert Klaus. Während Bereiche wie internationales Marketing florieren, müssen traditionelle Finanzinstitute kreative Wege finden, um junge Talente anzuziehen. Dabei spielen Technologie und KI eine Rolle, die auch Philipp als Chance der Weiterentwicklung sieht.
Nachwuchsgewinnung und Zukunftsperspektiven
Mit ihrem praxisorientierten Ansatz und der engen Zusammenarbeit mit Unternehmen versucht die HSBA, die Lücke zwischen akademischer Ausbildung und den Anforderungen der Branche zu schließen. Am Abend erlebe ich, wie die Business School auch außerhalb des Curriculums mit einer Vortragsreihe für die Finanzbranche begeistern möchte. In der Business Lounge spricht Frederik Gottlob, Head of Corporate bei der Berenberg Bank und HSBA-Alumnus, über Trends in Venture Capital, Private Equity und IPOs.
Als ich die HSBA verlasse, schwingt das Gefühl des Studentenlebens noch nach. Doch mein Tag zurück an der Uni war mehr als eine nostalgische Reise – er war ein Blick in die Zukunft der Finanzbranche. Die Verzahnung von Theorie und Praxis und die Begeisterung der Studierenden haben mir gezeigt, dass eine neue Generation bereitsteht. Der Fachkräftemangel mag eine Herausforderung sein, aber er bietet auch Chancen für Innovation und Wandel.