Volkswirt Jörg Angelé
Deutschland und die Eurozone rutschen in eine Rezession

Volkswirt Jörg Angelé
Die Industrieproduktion in der Eurozone hat im August unerwartet kräftig um 1,5 Prozent gegenüber dem Vormonat zugenommen. Damit ergibt sich seit Ende 2021 eine Seitwärtsbewegung des Outputs im verarbeitenden Gewerbe. Beim ein oder anderen Beobachter könnte das die Hoffnung nähren, die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsgebiet kommt vielleicht doch mit einem blauen Auge durch die Energiekrise.
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Die Industrieproduktion in der Eurozone hat im August unerwartet kräftig um 1,5 Prozent gegenüber dem Vormonat zugenommen. Damit ergibt sich seit Ende 2021 eine Seitwärtsbewegung des Outputs im verarbeitenden Gewerbe. Beim ein oder anderen Beobachter könnte das die Hoffnung nähren, die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsgebiet kommt vielleicht doch mit einem blauen Auge durch die Energiekrise.
Das ist jedoch ein Trugschluss. Offensichtlich wird das beim Blick auf die branchenspezifische Entwicklung. Demnach wurde die Produktion in den vergangenen Monaten durch die Automobilindustrie und den Maschinenbau gestützt. Das sind jene Bereiche, die lange Zeit ihre Aufträge wegen fehlender Teile und gestörter Lieferketten nicht abarbeiten konnten. Diese Verspannungen scheinen sich nun zu lösen. Allerdings legen sowohl der Einkaufsmanagerindex für die Industrie als auch die nationalen Unternehmensumfragen wie der Ifo-Index nahe, dass der Auftragseingang seit einigen Monaten rückläufig ist. Die Auftragspolster schmelzen also bereits ab. Vor diesem Hintergrund dürfte die Produktion von Autos und Maschinen in absehbarer Zeit nicht weiter steigen beziehungsweise sogar sinken.
Wohin die Reise geht, verdeutlicht die Entwicklung des Ausstoßes in der Chemiebranche (siehe Abbildung 1). Seit Ende 2021 ist hier bereits ein Minus von rund 9,0 Prozent zu verzeichnen. Weitere Rückgänge sind angesichts der nach wie vor sehr hohen Gas- und Strompreise vorprogrammiert. Davon abgesehen läuft die Entwicklung in der Chemieindustrie dem übrigen verarbeitenden Gewerbe traditionell zwei bis drei Monate voraus, was unsere Erwartung einer in den kommenden Quartalen rückläufigen Industrieproduktion bestärkt.
Besonders hart treffen wird es die deutsche Industrie. Der Anteil der energieintensiven Branchen, zu denen auch die chemische Industrie zählt, ist hier sehr hoch (rund 20 Prozent). Bestärkt werden wir in unserer Einschätzung durch die jüngste Runde konjunktureller Frühindikatoren. Diese lassen keinen Zweifel daran, dass Deutschland in eine Rezession rutscht und die Eurozone mitzieht. ZEW-Index und Ifo-Geschäftserwartungen liegen bereits nahe dem Tiefpunkt der globalen Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 (siehe Abbildung 2). Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe liegt bereits erkennbar unter 50 Punkten und wird in den kommenden Monaten aller Voraussicht nach weiter in Richtung 40 Punkte nachgeben. Mit Blick auf die Wirtschaftsleistung zeichnet sich mithin ein kräftiger Rückgang im vierten Quar-tal 2022 sowie im ersten Quartal 2023 ab.
Wie schnell die Rezession überwunden werden kann, hängt von der weiteren Entwicklung der Versorgungslage bei Gas und Strom im kommenden Jahr ab. Angesichts der mannigfaltigen Risiken (Gasmangellage, Blackouts, Eskalation im Ukraine-Krieg, Finanzmarktturbulenzen, ...) ist unsere Prognose eines BIP-Rückgangs um 0,7 Prozent in der Eurozone beziehungsweise 1,0 Prozent in Deutschland im Jahr 2023 aber alles andere als aggressiv.
Die EZB wird auf den bevorstehenden Konjunktureinbruch mit einer Zinsanhebungspause reagieren. Zuvor wird sie die Leitzinsen im Oktober und Dezember allerdings noch kräftig anheben. Der Einlagensatz dürfte von aktuell 0,75 Prozent auf 2,0 Prozent klettern. Eine weitergehende geldpolitische Straffung im Jahr 2023 in eine konjunkturelle Abwärtsspirale hinein ergibt in unseren Augen jedoch keinen Sinn. Das Ziel einer Nachfrageabschwächung wäre erreicht, der unterliegende Inflationsdruck würde mittelfristig gedämpft. Stiegen die Zinsen trotzdem weiter, könnte sich die Rezession verfestigen und zu einer Depression werden. Dann ergäben sich sogar Disinflations- beziehungsweise Deflationsrisiken. Mit einer geldpolitischen Lockerung, wie sie als Reaktion auf eine Rezession gewöhnlich angebracht ist, rechnen wir allerdings auch nicht. Vor allem der auch im kommenden Jahr noch immer starke Inflationsdruck spricht dagegen.
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