Volkswirt Johannes Mayr
Wirkliche Fortschritte machen die Europäer nur in Krisen
Johannes Mayr ist Chefvolkswirt von Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz
Europäische Politiker versuchen derzeit händeringend, die langfristigen Folgen der Rezession abzufedern. Die Herausforderungen gehen weit über die unmittelbaren Konjunkturrisiken hinaus , sagt Volkswirt Johannes Mayr von der Investmentgesellschaft Eyb & Wallwitz. Mittelfristig sollten sich Politiker nicht nur auf die Abfederung des Energiepreisschocks konzentrieren, sondern auch Investitionen in Forschung, Entwicklung und Ausbildung vorantreiben.
Global dreht die Konjunktur nach Süden. In Europa ist die Lage besonders schwierig. Durch die Energiekrise bleibt die Inflation hoch und zwingt die Privatwirtschaft in die Knie. Anders als in der Vergangenheit kann die EZB diesmal nicht der Retter in der Not sein. Der dynamische Preisauftrieb zwingt sie zu einer restriktiven Politik. Ein Lichtblick ist die Fiskalpolitik in Deutschland, die dank der Sparanstrengungen bis 2020 besondere Härten abfedern kann. In vielen Ländern ist dieser Spielraum aber gering. Der Währungsunion droht einmal mehr die rote Wachstumslaterne. Auch deshalb steigt der politische Druck. Aber die Herausforderungen gehen über die unmittelbaren Konjunkturrisiken hinaus....
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Global dreht die Konjunktur nach Süden. In Europa ist die Lage besonders schwierig. Durch die Energiekrise bleibt die Inflation hoch und zwingt die Privatwirtschaft in die Knie. Anders als in der Vergangenheit kann die EZB diesmal nicht der Retter in der Not sein. Der dynamische Preisauftrieb zwingt sie zu einer restriktiven Politik. Ein Lichtblick ist die Fiskalpolitik in Deutschland, die dank der Sparanstrengungen bis 2020 besondere Härten abfedern kann. In vielen Ländern ist dieser Spielraum aber gering. Der Währungsunion droht einmal mehr die rote Wachstumslaterne. Auch deshalb steigt der politische Druck. Aber die Herausforderungen gehen über die unmittelbaren Konjunkturrisiken hinaus. Zentrale Weichen müssen adjustiert werden, damit Europa ökonomisch auch über 2023 hinaus nicht erneut den Anschluss verliert.
Konjunktur stürzt ab
Auf konjunktureller Seite ist das Bild düster. Der Euroraum fällt im Winterhalbjahr in eine Rezession. Die Energiekrise und die Unsicherheit über Knappheiten und Rationierungen sowie die anhaltenden Engpässe in zentralen Lieferketten lasten auf der Angebotsseite. Mehr und mehr Unternehmen fahren mit Blick auf die fehlende Rentabilität bereits ihre Produktion zurück. Gleichzeitig drückt der starke Anstieg der Inflation und die damit verbundene Erosion der realen Einkommen die Nachfrage. Die Hoffnung, dass die im Zuge der Pandemie stark angestiegenen Ersparnisse der privaten Haushalte den Weg zurück in den Konsum findet, schwindet zunehmend.
Die globale Zinswelle und die Kehrtwende der EZB führen zu einer erheblichen Eintrübung der Finanzierungskonditionen und bremsen die Investitionspläne der Unternehmen und die Immobilienpläne der Haushalte aus. Und schließlich drückt die hohe Importabhängigkeit bei Energie und die nachlassende globale Konjunkturdynamik die Handelsbilanz erstmals in den roten Bereich. Zentrale Säulen der Nachfrage fallen also weg. Im Jahr 2023 dürfte die Wirtschaftsleistung um etwa 2 Prozent zum Vorjahr sinken. Die Prognoserisiken sind dabei abwärtsgerichtet. Im internationalen Vergleich dürfte der Abschwung in Europa damit besonders stark ausfallen.
Inflation bleibt hoch
Auch mit Blick auf die Inflationsentwicklung steht Europa vor einer besonderen Herausforderung. Der Preisauftrieb hat die 10-Prozent-Marke erreicht und wird über das Jahresende sehr hoch bleiben. Im ersten Quartal droht sogar ein weiterer Inflationssprung, wenn die Energieproduzenten die enorm gestiegenen Beschaffungs- und Produktionskosten von Gas und Strom verstärkt an die Verbraucher weitergeben. Staatliche Entlastungsmaßnahmen werden diesen Effekt zwar dämpfen. Sie könnten den Preisdruck an anderer Stelle aber sogar verstärken. Ein spürbarer Rückgang der Teuerung ist erst dann zu erwarten, wenn die Engpässe auf der Angebotsseite und vor allem im Bereich der Energie an Bedeutung verlieren.
Geldpolitik vor Dilemma
Die EZB steuert damit auf ein echtes Dilemma zu. Die Inflationsdynamik legt eine weitere rasche Straffung der Leitzinsen nahe. Dabei haben sich die Finanzierungskonditionen in Europa durch die globale Zinswelle und die Erwartungen der Investoren bereits deutlich eingetrübt. Auch wenn die hohe Teuerung die nominale Wirtschaftsleistung kurzfristig anschiebt und das Steuerpotenzial und damit die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung stützt, dürfte der Markt früher oder später die Entschlossenheit der Geldpolitik testen, die Risikoprämien der Mitgliedsstaaten und damit die Stabilität der Währungsunion zu verteidigen. Der für eine nachhaltige Begrenzung des Inflationspotenzials angestrebte Liquiditätsabbau über eine quantitative Straffung ist wenig realistisch. Dies gilt auch deshalb, da die Fiskalpolitik in zahlreichen Mitgliedsstaaten wieder expansiver ausgerichtet wird, um Haushalte und Unternehmen vor den negativen Folgen der Energiekrise abzuschirmen.
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